Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R -, Urteil des 12. Senats vom 11.11.2015 - B 12 KR 10/14 R -, Urteil des 12. Senats vom 11.11.2015 - B 12 R 2/14 R -
Kassel, den 2. November 2015
Terminvorschau Nr. 47/15
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 11.
November 2015 im Elisabeth-Selbert-Saal aufgrund mündlicher Verhandlung
über drei Revisionen zu Fragen der Versicherungspflicht in der
Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung
(insbesondere unter dem Blickwinkel der Auswirkungen von sog
Stimmrechtsverträgen) zu entscheiden.
1) 10.00 Uhr - B 12 R 2/14 R -
K. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
4 Beigeladene
Die
Beigeladene zu 1. ‑ eine GmbH, deren Stammkapital ursprünglich der
Kläger (ein Bauingenieur) mit 3000 DM sowie seine Ehefrau bzw (seit 2008
für diese) ihr gemeinsamer Sohn mit 47 000 DM hielten ‑ befasst sich mit
der wirtschaftlichen Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben. Die
Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der GmbH werden mit einfacher
Mehrheit gefasst. Seit September 1999 ist die Ehefrau des Klägers
alleinvertretungsberechtigte alleinige Geschäftsführerin der GmbH, die
dem Kläger eine mehrere Bereiche umfassende Vollmacht erteilte. Der
Kläger gewährte der GmbH seit 1998 Darlehen über insgesamt 900 000 DM
und erwarb eine gegen die GmbH gerichtete Forderung über 600 000 DM.
Im Dezember 2006 vereinbarten der Kläger und seine Ehefrau schriftlich
die Übertragung der Stimmrechte der Ehefrau auf den gemeinsamen Sohn zum
1.8.2008; der Kläger sei "somit" in allen Angelegenheiten "allein
entscheidungsbefugt". Eine Übertragung der Gesellschaftsanteile war
damit nicht verbunden.
Im Dezember 2006 hatte die GmbH mit dem Kläger einen
"Anstellungsvertrag" als "leitender Angestellter" geschlossen, wonach
er ab 1.1.2007 als "technischer Leiter im Baubereich" für diese tätig
sein sollte (ua festes "Jahresbruttogehalt", zahlbar in monatlichen
Teilbeträgen; 30 Arbeitstage Urlaub; mehrmonatige Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall). Die GmbH führte für ihn Lohnsteuer, nicht aber
Sozialversicherungsbeiträge ab. Auf einen im März 2009 bei der beklagten
DRV Bund (= Beklagte) gestellten Antrag auf Statusfeststellung stellte
diese durch Bescheid (schließlich) fest, dass der Kläger wegen
abhängiger Beschäftigung der Versicherungspflicht in der Renten- und
Arbeitslosenversicherung unterliege. Das SG hat nach vorangegangenem
Widerspruchsverfahren unter Aufhebung der Bescheide festgestellt, dass
der Kläger auch im Übrigen nicht der Versicherungspflicht unterliege.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und
die Klage abgewiesen: Der Anstellungsvertrag spreche wesentlich für eine
versicherungspflichtige Beschäftigung. Der Kläger sei als leitender
Angestellter den Weisungen seiner Ehefrau (= Geschäftsführerin)
unterworfen, zumal er keine Sperrminorität besitze. Die
Stimmrechtsübertragung stehe einer Beschäftigung nicht entgegen, weil
eine von Gesellschaftsanteilen isolierte Übertragung schon
gesellschaftsrechtlich unwirksam sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger ua eine Verletzung von § 7 SGB IV
und § 103 SGG durch das LSG. Es habe ihn zu Unrecht nicht als
selbstständig qualifiziert und rechtsfehlerhaft allein die
Vertragsgestaltung formal-rechtlich gewürdigt, ohne alle maßgebenden und
zu seinen Gunsten sprechenden Abgrenzungskriterien und Umstände mit zu
berücksichtigen. Das LSG habe sich nicht maßgebend darauf stützen
dürfen, dass er (der Kläger) formal keine Rechtsmacht besitze, um die
Geschicke der GmbH zu bestimmen, da er "Kopf und Seele" des
Familienunternehmens sei; allein er könne aufgrund seiner Bauleitungs-
und Branchenkenntnisse die Firma führen, übe faktisch die
Unternehmensleitung aus und unterliege insoweit auch keinen Weisungen
seiner Ehefrau. Diese bestimme aufgrund ihrer kaufmännischen Ausbildung
nur die buchhalterischen Geschicke der GmbH und sei in erster Linie
Ehefrau, Hausfrau und Mutter. Das LSG habe insoweit seine
Ermittlungspflichten verletzt, da es zur Klärung der Streitfrage weder
ihn (den Kläger) angehört noch seine Ehefrau vernommen habe.
SG Mainz - S 7 KR 451/09 -
LSG
Rheinland-Pfalz - L 6 R 65/12 -
2) 11.00 Uhr - B
12 KR 13/14 R - R. ./. BARMER GEK
3 Beigeladene
Beigeladene zu 2 (= Revisionsklägerin):
Deutsche Rentenversicherung Bund
Die Klägerin ist seit 1984 bei der Beigeladenen zu 1. - ein
Reisebürounternehmen mit ca 60 Mitarbeitern und vier Filialen in der
Rechtsform einer GmbH - als Reiseverkehrskauffrau tätig. Sie ist
Gesellschafterin der GmbH, welche aus einem von ihren Schwiegereltern
gegründeten Unternehmen hervorging. Nachdem zunächst der Ehemann der
Klägerin Alleingesellschafter der GmbH war, hielt sie aufgrund eines
notariell beurkundeten Schenkungs- und Übertragungsvertrages vom
18.12.2008 40% der GmbH-Anteile, ihr Ehemann, der zugleich
alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist, seither 60%; die
Klägerin hat Einzelprokura. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom selben Tag
besitzt der Ehemann für die Dauer seiner Eigenschaft als
GmbH-Gesellschafter das unentziehbare Recht, Geschäftsführer zu sein.
Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst, bezüglich der
Auflösung der GmbH sowie Änderungen des Unternehmensgegenstandes
einstimmig. Am 30.12.2008 schlossen die Klägerin und ihr Ehemann darüber
hinaus einen schriftlichen "Stimmbindungsvertrag". Darin heißt es ua,
die Klägerin solle erbrechtlich mindestens 50% der GmbH-Geschäftsanteile
halten; da eine entsprechende Übertragung derzeit
erbschaftsteuerrechtlich nicht sinnvoll sei, solle sie
gesellschaftsrechtlich jedoch schon aktuell so gestellt werden, als
sei sie bereits mit mindestens 50% an der GmbH beteiligt. Die Klägerin
hat bei Gesellschafterbeschlüssen bei der Stimmabgabe die
Stimmführerschaft; ihr Ehemann ist an das Abstimmungsverhalten der
Klägerin gebunden; auch darf die Klägerin seine Stimmrechte verbindlich
für ihn auszuüben.
Am 5.1.2009 schlossen die Klägerin und die GmbH ‑ das bestehende
Arbeitsverhältnis fixierend ‑ einen "Anstellungsvertrag" über die
Tätigkeit als alleinvertretungsberechtigte "leitende Angestellte" mit
Prokura (Aufgaben: Leitung der Finanz- und Personalbuchhaltung sowie
der Finanzen, Vertretung der Geschäftsführung). Die Arbeitszeit beträgt
‑ unter freier Arbeitsort- und Arbeitszeitwahl ‑ mindestens
50 Wochenstunden, die Vergütung 5 000 Euro monatlich; es besteht
Anspruch auf eine Direktversicherung, einen Dienstwagen, 30 Tage
Jahresurlaub sowie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Im Januar 2009
beantragte die GmbH die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen
Status der Klägerin beim regionalen Rentenversicherungsträger, der den
Antrag an die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle weiterleitete. Die
Beklagte stellte daraufhin durch Bescheide fest, dass die Klägerin als
Beschäftigte versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege-, Renten-
und Arbeitslosenversicherung sei; sie habe aufgrund ihrer
Minderkapitalbeteiligung auch keinen wesentlichen Einfluss auf die
Entscheidungen der GmbH.
Das nach erfolglosem Widerspruch angerufene SG hat die Bescheide der
Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass aufgrund der vereinbarten
Stimmbindung keine Versicherungspflicht der Klägerin bestehe. Das LSG
hat die dagegen (nur) von der Beigeladenen zu 2. (= DRV Bund) eingelegte
Berufung zurückgewiesen: Die zuständig gewesene Beklagte habe
‑ ausgehend von den in der Rechtsprechung des BSG anerkannten
Abgrenzungskriterien und -grundsätzen ‑ zu Unrecht einen Fall
angenommen, in dem ein GmbH-Gesellschafter neben seiner
gesellschaftsrechtlichen Stellung gleichzeitig in einem
Beschäftigungsverhältnis zur GmbH stehe. Im Rahmen einer Gesamtabwägung
komme den für eine Beschäftigung sprechenden Indizien geringeres Gewicht
gegenüber der Rechtsmacht der Klägerin im Unternehmen und ihrem
Unternehmerrisiko zu; daher sei die Klägerin ab 30.12.2008 trotz ihrer
GmbH-Minderheitsbeteiligung und fehlenden Geschäftsführer-Eigenschaft
selbstständig erwerbstätig. Sie verfüge aufgrund des wirksamen, keiner
notariellen Form bedürfenden Stimmbindungsvertrages (Hinweis ua auf
Rechtsprechung des
BGH) über die umfassende Rechtsmacht zur maßgebenden Beeinflussung
der Geschicke der GmbH und zur Verhinderung ihr nicht genehmer
Weisungen. Die Mitunternehmerschaft werde auch nach außen gelebt. Die
Klägerin trage durch ihre Partizipation an Gewinn und Verlust der GmbH
ein Unternehmerrisiko.
Mit ihrer Revision rügt die Beigeladene zu 2. eine Verletzung von
Prozessrecht durch das LSG (zutreffender Beginn der Beurteilung der
Versicherungspflicht bereits am 18.12.2008, nicht erst am 30.12.2008),
ferner eine Verletzung des § 7 Abs 1 SGB IV. Ausgehend von der
Rechtsprechung des BSG führten die Regelungen im Gesellschafts-,
Anstellungs- und Stimmbindungsvertrag vorliegend zur Zuordnung zum
Typus der Beschäftigung. Der Gesellschaftsvertrag regele weder eine
Stimmenmehrheit der Klägerin noch ihre Sperrminorität; im
Anstellungsvertrag überwögen beschäftigungstypische Regelungen; der
Stimmbindungsvertrag könne die gesellschaftsvertraglich begründete
Rechtsmacht nicht wirksam abbedingen. Der Stimmbindungsvertrag bewirke
allenfalls eine "Schönwetter-Selbstständigkeit", die für die
vorausschauende sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht
maßgebend sei. Nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG sei die bloße
Nichtausübung eines Rechts im Sozialversicherungsrecht ohne erfolgte
wirksame Abbedingung unbeachtlich (ua BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7
Nr 17). Der bloße Verzicht auf die Ausübung eines Weisungsrechts durch
Gesellschafterbeschluss reiche insoweit nicht aus, da der Verzicht im
Konfliktfall jederzeit widerrufen werden könne; auch der
Stimmbindungsvertrag könne nachträglich geändert bzw gekündigt werden.
Ein solcher Vertrag sei sozialversicherungsrechtlich nicht anders zu
beurteilen als eine vom Gesellschaftsvertrag abweichende tatsächliche
Handhabung. Rechtsprechung des BGH stehe einer solchen Sichtweise nicht
entgegen.
SG Freiburg - S 11 KR 6129/09 -
LSG
Baden-Württemberg - L 5 KR 2911/13 -
3) 11.45 Uhr -
B 12 KR 10/14 R - H. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
4 Beigeladene
Die
Beigeladene zu 1. betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine
Unternehmensberatung, an deren Stammkapital der Kläger mit 30 000
Euro und Mitgesellschafter D. mit 70 000 Euro beteiligt waren; beide
sind alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer. Der
Gesellschaftsvertrag vom 11.9.2006, geändert im Jahr 2014, enthält keine
Regelungen zur Abstimmung in der Gesellschafterversammlung. Nach
einem im Januar 2007 zwischen dem Kläger und der GmbH geschlossenen
schriftlichen "Geschäftsführer-Anstellungsvertrag" hat der Kläger ua ein
Veto-Recht bei der Bestimmung weiterer Geschäftsführer, ferner wegen
seiner fachlichen Kompetenz ein Veto-Recht bei grundsätzlichen, die
Geschäfte der GmbH betreffenden Entscheidungen; die GmbH kann den
Vertrag aus wichtigem Grund außerordentlich kündigen; der Kläger stundet
der GmbH zur Erhaltung ihrer Liquidität verzinslich weitere Vergütung.
Für seine Tätigkeit erhält der Kläger eine jährliche, feste Vergütung,
die in gleichen monatlichen Teilbeträgen am Ende eines Monat ausbezahlt
wird; er hat Anspruch auf 30 Tage Urlaub und auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall für ein Jahr. Auf Antrag des Klägers stellte die beklagte
DRV Bund im April 2011 fest, dass in seine Tätigkeit seit 1.3.2007 der
Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung
Beschäftigung unterliege.
Das nach erfolglosem Widerspruchsverfahren angerufene SG hat die
Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger nicht
sozialversicherungspflichtig sei. Das LSG hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen: Der Kläger könne ihm nicht genehme Weisungen und
Beschlüsse der Gesellschafterversammlung abwenden und die Geschicke der
GmbH maßgebend beeinflussen. Zwar verfüge D. aufgrund seiner höheren
Einlage über die Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung,
jedoch besitze der Kläger bei allen wichtigen Entscheidungen der GmbH
(weitere Geschäftsführerbestellung, grundsätzliche die Geschäfte der
GmbH betreffende Entscheidungen) ein Veto-Recht, das einem
Stimmbindungsvertrag gleichkomme. Ein wegen Verletzung der im Veto-Recht
enthaltenen Stimmbindungsvereinbarung rechtswidrig zustande gekommener
Gesellschafterbeschluss könne mit einer Klage gegen die GmbH angefochten
werden. Der Kläger sei zudem als Geschäftsführer in seiner
Vertretungsbefugnis nicht beschränkt und gewöhnlich weisungsfrei.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 7 SGB IV
durch das LSG, weil der Kläger versicherungspflichtig beschäftigt sei.
Die Bewertung des LSG, dass er wegen seines ausschließlich im
Geschäftsführer-Anstellungsvertrag eingeräumten Veto-Rechts alle ihm
nicht genehmen Beschlüsse und Weisungen habe abwenden könne, stehe im
Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Das Veto-Recht sei ‑ ebenso wie
eine außerhalb des Gesellschaftsvertrages geschlossene, jederzeit
kündbare Stimmbindungsvereinbarung ‑ grundsätzlich nicht geeignet, eine
sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebende, nicht wirksam abbedungene
Rechtsmacht zu negieren; denn die Stimmrechtsvereinbarung greife nicht
in Konfliktsituationen, insbesondere nicht bei Abberufung des
Minderheitsgesellschafters als Geschäftsführer. Auch habe das LSG
Vereinbarungen des Anstellungsvertrages fehlerhaft ausgelegt, weil
schuldrechtlich ein Veto-Recht nicht umfassend, sondern nur bezogen auf
einzelne Entscheidungen der Gesellschafterversammlung vereinbart worden
sei. Im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag überwögen
beschäftigungstypische Regelungen.
SG Gießen - S 19 R 896/11 -
Hessisches LSG - L 1 KR 235/13 -