Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 7. Senats vom 21.7.2009 - B 7 AL 6/08 R -, Urteil des 11. Senats vom 12.9.2017 - B 11 AL 18/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R -
Kassel, den 12. September 2017
Terminbericht Nr. 36/17
(zur Terminvorschau Nr. 36/17)
Der 11. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 12. September 2017.
1) Die Revision der Beklagten hatte keinen
Erfolg. Der Kläger hat neben den anderen Anspruchsvoraussetzungen auch
die Anwartschaftszeit erfüllt. Er ist innerhalb der vom 7.2.2010 bis
6.2.2012 verlaufenden Rahmenfrist als Gefangener für mindestens zwölf
Monate versicherungspflichtig gewesen. Nach § 26 Abs 1 Nr 4 Satz 1 SGB
III in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung sind ua Gefangene
versicherungspflichtig, die Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG erhalten.
Die mit Wirkung zum 1.8.2016 vorgenommene gesetzliche Ergänzung um den
Zusatz, dass das Versicherungsverhältnis während arbeitsfreier
Sonnabende, Sonntage und gesetzlicher Feiertage als fortbestehend gelte,
wenn diese Tage innerhalb eines zusammenhängenden Arbeitsabschnittes
lägen, findet zwar noch keine Anwendung. Doch sind, wie das LSG
zutreffend erkannt hat, unabhängig von dieser Änderung bei Gefangenen
entsprechende Tage innerhalb von zusammenhängenden Arbeitsabschnitten
auch vor dem 1.8.2016 als Zeiten der Versicherungspflicht zu
berücksichtigen. Dies folgt aus Wortlaut, Gesetzessystematik und dem
Zweck der Regelung, eine weitgehende Gleichstellung von Gefangenenarbeit
mit Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen. Das Ergebnis
wird schließlich gestützt durch die beitragsrechtliche Behandlung der
Gefangenenarbeit. Jeder Tag, an dem tatsächlich gearbeitet worden ist,
wird bei der Beitragserhebung mit einem zweihundertfünfzigstel der
Beitragsbemessungsgrundlage angesetzt. Im Ergebnis wird damit der
Beitrag für einen Gefangenen, der an fünf Tagen in der Woche gegen
Arbeitsentgelt beschäftigt ist, bei durchgehender Beschäftigung von 250
Arbeitstagen im Jahr als Jahresbeitrag erhoben. Beitragsrechtlich ist
damit festgelegt, dass eine Anzahl von (nur) 250 Arbeitstagen des
Gefangenen einer jährlichen Arbeitsleistung entspricht.
Nach
den Feststellungen des LSG war der Kläger vom 7.2.2010 bis 24.6.2011 und
damit innerhalb der Rahmenfrist mehr als ein Jahr durchgehend als
Strafgefangener tätig. Weil er für diesen Zeitraum auch Arbeitsentgelt
iS von § 43 StVollzG erhalten hat, war er versicherungspflichtig iS von
§ 26 Abs 1 Nr 4 SGB III, sodass die Anwartschaftszeit für einen Anspruch
auf Alg dem Grunde nach jedenfalls für die streitige Zeit vom 7.2.2012
bis 6.7.2012 erfüllt ist.
SG Gotha
- S 34 AL 1963/12 -
Thüringer LSG
- L 10 AL 1150/13 -
Bundessozialgericht
- B 11 AL 18/16 R -
2) Die Revision
der Beklagten wurde zurückgewiesen. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht
entschieden, dass der Klägerin im streitigen Zeitraum Alg zusteht. Da
nur die Beklagte Revision eingelegt hat, ist der Gegenstand des
Revisionsverfahrens auf die Frage beschränkt, ob der Klägerin ein
Anspruch auf Zahlung von Alg für die Zeit vom 12.1.2016 bis 22.2.2016
zusteht.
Nach § 159 Abs 1 S 1 SGB III ruht der Anspruch für die
Dauer einer Sperrzeit, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig
verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.
Versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 159 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB III
ua vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und
dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit
herbeigeführt hat - Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe. Die Klägerin hat hier
das Beschäftigungsverhältnis dadurch gelöst, dass sie im November 2006
mit ihrem Arbeitgeber im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung das
unbefristete Arbeitsverhältnis in ein befristetes umgewandelt hat,
wodurch sie nach dem Ende der Freistellungsphase zum 1.12.2015
beschäftigungslos geworden ist. Grob fahrlässig war ihr Verhalten
deshalb, weil sie keine konkrete Aussichten auf einen
Anschlussarbeitsplatz hatte. Doch kann sich die Klägerin für ihr
Verhalten auf einen wichtigen Grund berufen. Für den Fall der Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses durch Altersteilzeitvertrag hat der 7. Senat
des BSG mit Urteil vom 21.7.2009 - B 7 AL 6/08 R - bereits entschieden,
dass sich ein Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund berufen kann, wenn
er bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt, nahtlos von der
Freistellungsphase der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln und
eine entsprechende Annahme prognostisch objektiv gerechtfertigt ist. Die
Beurteilung des künftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist dabei
abhängig von der rentenrechtlichen Situation und davon, ob bzw wie er
diese unter Berücksichtigung welcher Kenntnisse bzw Nachfragen bei
sachkundigen Stellen eingeschätzt hat. Dem schließt sich der Senat an.
Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat sich die Klägerin
bereits vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung bei einer
Rentenstelle über die Möglichkeit des Rentenbezugs ab 1.12.2015 mit
einem Rentenabschlag von 7,5 % informiert und auch darüber hinaus
verschiedene Informationsgespräche mit dem Arbeitgeber, Personalrat und
Kollegen geführt. Hieraus hat das LSG, ohne dass dies zu beanstanden
wäre, gefolgert, dass sie die Altersteilzeitvereinbarung in der Absicht
abgeschlossen hat, vorzeitige Altersrente nach dem Ende der
Freistellungsphase in Anspruch zu nehmen. Von ihren ursprünglichen
Rentenplänen nahm sie nach den weiteren Feststellungen erst im Jahr 2014
Abstand wegen der mit Wirkung zum 1.7.2014 neu eingeführten
abschlagsfreien Rente für besonders langjährige Versicherte. Erst
dadurch ergab sich für sie die Möglichkeit, drei Monate nach dem
geplanten Rentenbeginn Altersrente ohne Abschlag zu beziehen. Dies ist
für die Beurteilung des wichtigen Grundes unerheblich, weil es bezüglich
des wichtigen Grundes keiner retrospektiven Prüfung, sondern einer in
die Zukunft gerichteten Prognose und damit einer ex-ante-Betrachtung im
Zeitpunkt des Lösungstatbestandes bedarf. Der wichtige Grund ist nicht
deshalb entfallen, weil die Klägerin entgegen ihrer ursprünglichen
Absicht keine Altersrente mit Abschlägen beantragt hat. Das Vorliegen
eines wichtigen Grundes ist nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich
allein bezogen auf den das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt zu
prüfen.
SG Ulm
- S 6 AL 137/16 -
LSG Baden-Württemberg
- L 8 AL 1777/16 -
Bundessozialgericht
- B 11 AL 25/16 R -