Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 11. Senats vom 21.6.2018 - B 11 AL 13/17 R -, Urteil des 11. Senats vom 21.6.2018 - B 11 AL 4/17 R -, Urteil des 11. Senats vom 21.6.2018 - B 11 AL 8/17 R -
Kassel, den 21. Juni 2018
Terminbericht Nr. 27/18
(zur Terminvorschau Nr. 27/18)
Der 11 .Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 21. Juni 2018.
1) Auf die Revision der Klägerin ist das
Urteil des LSG aufgehoben worden. Die Klägerin hat Anspruch auf Alg auch
in dem Zeitraum vom 24.6.2010 bis 22.9.2010, weil sämtliche
Anspruchsvoraussetzungen vorlagen und ein Ruhen des Anspruchs wegen der
an sie gezahlten Entlassungsentschädigung nicht eingetreten ist.
Es liegt keine der Fallgestaltungen des § 143a SGB III aF vor. Das
Anstellungsverhältnis der Klägerin ist unter Einhaltung einer der
ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist
beendet worden. Nach den Regelungen des BAT, die kraft
arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Anstellungsverhältnis anwendbar
waren, war sie mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum
Quartalsende ordentlich kündbar. Bei Abschluss des Aufhebungsvertrags
ist diese Kündigungsfrist eingehalten worden. Aus dem Tarifvertrag über
den Rationalisierungsschutz für Angestellte (RatSchTVAng) - seine
Anwendbarkeit auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin unterstellt -
ergibt sich keine Modifikation der Kündigungsfristen des BAT.
Die vom LSG zugrunde gelegte Einzelfallprüfung zu konkret vorhandenen
Kündigungsmöglichkeiten ist mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte
und dem Sinn und Zweck der Ruhensregelungen des § 143a SGB III aF nicht
vereinbar, weil grundsätzlich an das Vorhandensein der Möglichkeit zur
ordentlichen Kündigung und die Einhaltung bzw Nichteinhaltung der
Kündigungsfristen angeknüpft wird. Daher ist es unerheblich, ob eine
ordentliche Kündigung im Falle der Klägerin durch objektiv erforderliche
und vorrangige Maßnahmen der Arbeitsplatzsicherung nach dem RatSchTVAng
möglicherweise erschwert gewesen wäre. Denn dies hätte nicht dazu
geführt, dass von einem zeitlich unbegrenzten Ausschluss der
ordentlichen Kündigung iS des § 143a Abs 1 Satz 3 SGB III aF auszugehen
gewesen wäre. Entsprechend liegen auch die Voraussetzungen des § 143a
Abs 1 Satz 4 SGB III aF nicht vor.
Sozialgericht Marburg - S 2
AL 5/15
Hessisches Landessozialgericht - L 7 AL 126/15
Bundessozialgericht - B 11 AL 13/17 R
2)
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf höheres Alg nach Maßgabe eines fiktiven
Bemessungsentgelts, denn als Bemessungszeitraum ist der gesamte Zeitraum
der Teilzeitbeschäftigung und das darin erzielte und abgerechnete
Arbeitsentgelt im Umfang von 228 Tagen zu Grunde zu legen. Eine fiktive
Bemessung kommt jedoch nur in Betracht, wenn ein Bemessungszeitraum von
mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf
zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden kann.
Nach § 150 Abs 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum
sämtliche versicherungspflichtige Beschäftigungen. Der Zeitraum des
parallelen Bezugs von Elterngeld und der Teilzeitbeschäftigung bleibt
nicht nach § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III außer Betracht mit der Folge,
dass lediglich für 143 Tage ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestand und
die fiktive Bemessung nach § 152 SGB III greift. Diese Sonderregelung
ist nicht unmittelbar auf die Lage der Klägerin anwendbar, die bis zum
Elterngeldbezug und auch in der Folgezeit selbständig tätig war. Es
fehlt an einer versicherungspflichtigen Beschäftigung vor dem
Elterngeldbezug, die Ausgangspunkt für eine Vergleichsbetrachtung
zwischen der vor dem und einer anschließend parallel zum Elterngeldbezug
ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung sein könnte.
Entgegen der Ansicht des LSG kommt eine analoge Anwendung des § 150
Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III auf vor dem Elterngeldbezug selbständig Tätige
nicht in Betracht, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Die
freiwillige Weiterversicherung bei selbständiger Tätigkeit in der
Arbeitslosenversicherung ist anwartschaftserhaltend. Der Gesetzgeber hat
jedoch nicht vorgesehen, dass das tatsächlich aus der selbständigen
Tätigkeit erzielte Einkommen für die Ermittlung des Bemessungsentgelts
und als Vergleichsmaßstab für die Höhe des Alg herangezogen wird. Für
die unterschiedliche bemessungsrechtliche Behandlung beider Gruppen
liegen hinreichende sachliche Gründe vor, die sich aus den tatsächlichen
Unterschieden einer abhängigen Beschäftigung und einer selbständigen
Tätigkeit sowie den Grundsätzen des Bemessungsrechts ergeben. Auch im
Übrigen ergibt sich Abweichendes nicht aus Verfassungsrecht.
Sozialgericht Hamburg - S 14 AL 351/15
Landessozialgericht Hamburg -
L 2 AL 35/16
Bundessozialgericht - B 11 AL 8/17 R
3)
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat seine Berufung zu
Recht zurückgewiesen, denn es besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld
(Kug).
Der von dem Kläger angezeigte Arbeitsausfall ist nicht
erheblich im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Ausgehend von seinen
nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat
bindenden Feststellungen hat das LSG ohne Rechtsfehler verneint, dass
wirtschaftliche Gründe den Arbeitsausfall wesentlich verursacht haben.
Trotz der veränderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen
infolge der Immobilienkrise in den USA hat es nach den vom Kläger im
Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen keine signifikanten
Unterschiede zwischen seinen Einnahmen im Jahre 2010 und denen der
Vorjahre gegeben. Schon deshalb kommt als wesentliche Ursache für den im
Jahre 2010 möglicherweise eingetretenen Liquiditätsengpass des Klägers
nicht die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in Betracht.
Das LSG hat auch zutreffend erkannt, dass ein Liquiditätsengpass, wenn
er tatsächlich auf einen sogenannten Kreditboykott der als Kreditgeber
in Frage kommenden Banken zurückzuführen sein sollte, nicht als ein
unabwendbares Ereignis iS des § 170 Abs 1 Nr 1 Alt 2 SGB III aF
anzusehen wäre. Unter einem "unabwendbaren Ereignis" ist nach ständiger
Rechtsprechung entsprechend der Wortlautbedeutung von "Ereignis" ein
zeitlich begrenztes, außergewöhnliches und von außen auf den Betrieb
einwirkendes Geschehen zu verstehen. Eine rein innerbetriebliche
Entwicklung genügt dagegen nicht. Denn mit dem Kug als Leistung der
aktiven Arbeitsförderung soll nicht das gesamte Betriebs- und
Wirtschaftsrisiko auf die Solidargemeinschaft verlagert werden. Vor
diesem Hintergrund ist das vom LSG als plausibel angesehene
geschäftsfelduntypische Marktverhalten verschiedener Kreditinstitute zum
Nachteil des Klägers nicht als Ereignis iS von § 170 Abs 1 Nr 1 Alt 2
SGB III aF zu beurteilen. Denn der Kläger ist nach den weiteren
Feststellungen des LSG schon seit 2006 mit diesem Verhalten konfrontiert
und auch weiter nach dem streitbefangenen Zeitraum im Jahre 2010.
Selbst wenn dieses Marktverhalten Ursache für - möglicherweise auch nur
vorübergehende - Liquiditätsengpässe des Klägers gewesen sein sollte,
könnten auch diese innerbetrieblichen Folgewirkungen nicht als
außergewöhnliches und von außen auf den Betrieb einwirkendes Geschehen
beurteilt werden. Sie wären letztlich nur Ausdruck von auf Dauer
angelegten Akzeptanzproblemen des Klägers als Akteur im
Wirtschaftsleben, die dessen Risikosphäre angehören.
Sozialgericht Gelsenkirchen - S 4 AL 312/11
Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen - L 20 AL 92/14
Bundessozialgericht - B 11 AL
4/17 R