Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 30.11.2017 - B 3 P 5/16 R -, Urteil des 3. Senats vom 30.11.2017 - B 3 KR 3/16 R -, Urteil des 3. Senats vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R -
Kassel, den 3. November 2017
Terminbericht Nr. 55/17
(zur Terminvorschau Nr. 55/17)
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 30. November 2017.
1) Die Revision der Klägerin war
erfolglos; sie hat keinen Anspruch auf Aufnahme des Speedy Duo 2 ins
HMV, weil es sich nicht um ein von der Leistungspflicht der GKV
umfasstes Hilfsmittel iS von § 139 Abs 1 S 2 SGB V handelt. Ein solcher
Anspruch scheitert allerdings nicht schon deshalb, weil es dem
Versicherten im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs eine über
den Nahbereich hinausgehende Mobilität ermöglicht und daher nur im
Einzelfall bei Vorliegen besonderer qualitativer Momente vom
Versorgungsanspruch umfasst ist. Für die Aufnahme eines Hilfsmittels ins
HMV kommt es nicht darauf an, ob das Hilfsmittel nur ausnahmsweise oder
regelmäßig zur Befriedigung von Grundbedürfnissen benötigt wird. Ggf
können die objektiven medizinischen und sonstigen Voraussetzungen für
eine Versorgung zu Lasten der GKV im HMV abstrakt definiert werden,
indem in diesem Regelwerk zB die Verordnungsindikation auf Fälle
beschränkt wird, in denen der Nahbereich ohne das begehrte Hilfsmittel
nicht in zumutbarer Weise erschlossen werden kann. Das Speedy-Duo 2
überschreitet jedoch aufgrund seiner motorunterstützten
Leistungsfähigkeit in beiden Geschwindigkeitsvarianten (10 bzw 14 km/h)
unabhängig von der medizinischen Indikation und den Umständen des
Einzelfalls das Maß des Notwendigen. Ein Grundbedürfnis von
Leistungsberechtigten, sich den Nahbereich schneller als in
Schrittgeschwindigkeit nichtbehinderter Menschen zu erschließen, ist
nicht ersichtlich. Aus diesem Grund fehlt es an einer Indikation, bei
deren Vorliegen eine Verordnung zu Lasten der GKV in Betracht kommen und
die im HMV abstrakt umschrieben werden könnte. Versicherte können solche
Hilfsmittel zwar ggf nach § 33 Abs 1 S 5 SGB V unter Tragung der
Mehrkosten und der dadurch bedingten höheren Folgekosten wählen;
derartige Hilfsmittel sind aber nicht in das HMV aufzunehmen.
SG Detmold
- S 3 KR 89/07 -
LSG Nordrhein-Westfalen
- L 1 KR 61/11 -
Bundessozialgericht
- B 3 KR 3/16 R -
2) Die Revision
der Klägerin erwies sich als unbegründet, weil ihr verstorbener Ehemann
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung aus
der sozialen PV vor dem 1.5.2015 nicht erfüllte. Insbesondere war die
von ihm in der privaten PV zurückgelegte Versicherungszeit nicht auf die
Vorversicherungszeit in der sozialen PV anzurechnen. Nach § 33 Abs 2 S 1
Nr 6 SGB XI (hier noch anzuwenden idF bis 31.12.2015 des Gesetzes vom
28.5.2008, BGBl I 874; seit 1.1.2016 generell nach § 33 Abs 2 S 1 SGB XI
idF des Gesetzes vom 21.12.2015, BGBl I 2424) besteht Anspruch auf
Leistungen der sozialen PV ua (nur) dann, "wenn der Versicherte in den
letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindestens zwei Jahre als
Mitglied versichert oder nach § 25 familienversichert war". Der
Versicherte war indessen durchgehend bis 30.4.2013 bei der G. privat
pflegeversichert. Zu seinen Gunsten greift die Gleichstellung des § 33
Abs 3 SGB XI nicht ein, wonach "Personen, die wegen des Eintritts von
Versicherungspflicht in der sozialen PV aus der privaten PV
ausscheiden", die dort ununterbrochen zurückgelegte Versicherungszeit
auf die Vorversicherungszeit anzurechnen ist. Der Versicherte schied
nämlich aus der privaten PV aus, weil er ab 1.5.2013 über die Klägerin
als seiner Ehegattin familienversichert wurde. Dieser Fall steht dem
"Eintritt von Versicherungspflicht" nicht gleich. Das folgt aus einer
Auslegung des § 33 Abs 3 SGB XI nach Wortlaut, systematischen
Zusammenhang sowie Sinn und Zweck. Insbesondere liegt nach der
Systematik der Versicherungspflicht-Tatbestände des SGB XI kein bloßes
Redaktionsversehen des Gesetzgebers vor; denn in anderen Regelungen
werden Differenzierungen zwischen Versicherungspflicht und
Familienversicherung und Gleichstellungen nur in Einzelfällen
vorgenommen (vgl zB § 23 Abs 6 Nr 2, § 27 S 2, § 33 Abs 2 S 1 und Abs 3
SGB XI, § 205 Abs 2 S 5 VVG). Das Recht der PV enthält auch keinen
Grundsatz, dass jede vom Versicherungsschutz in der GKV erfasste Person
quasi "automatisch" versicherungspflichtig in der sozialen PV wäre
(anders zB § 22 Abs 3 SGB XI). Auch in der GKV ist die
Familienversicherung nicht etwa ein bloßer Unterfall der
Versicherungspflicht.
SG Heilbronn
- S 8 P 101/15 -
LSG Baden-Württemberg
- L 4 P 949/16 -
Bundessozialgericht
- B 3 P 5/16 R -
3) Der Senat hat
die Sache auf die Berufung der beklagten Krankenkasse hin zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Mangels
ausreichender Tatsachenfeststellungen kann der Senat nicht abschließend
beurteilen, ob und in welcher Höhe die Klägerin einen
Kostenfreistellungsanspruch hat. Allerdings greifen - wie das LSG
zutreffend entschieden hat - die von der Beklagten vorgetragenen
Einwände zur gesellschaftsrechtlichen Verflechtung zwischen ambulantem
Pflegedienst und Wohnungsvermieterin sowie zur Verjährung nicht. Das LSG
hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden,
dass die von der Klägerin gewählte Wohnform gemessen am Landesgesetz
über Wohnen und Teilhabe eine Leistungsverweigerung durch die Beklagte
nicht rechtfertigen kann. Die Beklagte übersieht auch, dass die Klägerin
als Betreuerin dem Wunsch ihres Vaters nachkam, ihn gerade nicht in
einem Pflegeheim unterzubringen. Dies entsprach seinem - auch
leistungsrechtlich grundsätzlich zu beachtenden -
Selbstbestimmungsrecht.
Die Zurückverweisung an das LSG war
jedoch aus mehreren Gründen erforderlich: Vor Bejahung eines
Kostenfreistellungsanspruchs nach § 13 Abs 3 Alt 2 SGB V wäre zunächst
zu prüfen, ob die Klägerin möglicherweise auf die konkret gewählte
Leistungserbringung vorfestgelegt war und ihr daher Kosten nicht erst
"durch" eine unrechtmäßige Leistungsablehnung der Beklagten entstanden.
Das LSG musste sowohl für diesen als auch für den nach § 37 Abs 4 SGB V
in Betracht kommenden Anspruch den vom Gutachter des MDK geäußerten
Zweifeln hinsichtlich der ausreichenden Versorgung des Versicherten vor
Ort nachgehen. Das LSG wird daher noch unter Berücksichtigung aller
tatsächlichen Umstände des Wohnens und der damit verbundenen Pflege- und
Betreuungssituation im Einzelfall erneut entscheiden müssen, ob der von
der Klägerin als Betreuerin angemietete Wohnraum ein geeigneter Ort im
Sinne der HKP-RL war. Die RL enthält auch Vorgaben hinsichtlich der
Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse für die 24
Stunden-Intensiv-Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege
nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V. Im Übrigen hätte das LSG schon nach seiner
eigenen Rechtsansicht die Pflegekasse nach § 75 Abs 2 SGG notwendig
beiladen müssen, weil es davon ausging, dass der Versicherte in die
Pflegestufe III aF einzustufen war. Daraus könnte sich eine Begrenzung
des Kostenfreistellungsanspruchs der Höhe nach gemäß § 37 Abs 2 S 6 SGB
V ergeben. Ferner hätte das LSG eine etwaige Eigenbeteiligung des
Versicherten nach § 37 Abs 5 SGB V zu prüfen. Feststellungen und
Erörterungen dazu sind nun im wiedereröffneten Berufungsverfahren
nachzuholen.
SG Koblenz
- S 5 KR 11/13 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 5 KR 5/15 -
Bundessozialgericht
- B 3 KR 11/16 R -
4) Wie bereits
in der Terminvorschau dargestellt, hat der Senat den Termin in dieser
Sache aufgehoben und wird über die Kosten des Rechtsstreits ohne
mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden.
SG Nürnberg
- S 11 KR 465/04 -
Bayerisches LSG
- L 5 KR 383/11 -
Bundessozialgericht
- B 3 KR 2/16 R -