Siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 25.11.2015 - B 3 P 3/14 R -, Urteil des 3. Senats vom 25.11.2015 - B 3 KS 3/14 R -, Urteil des 3. Senats vom 25.11.2015 - B 3 KR 12/15 R -, Urteil des 3. Senats vom 25.11.2015 - B 3 KR 3/15 R -, Urteil des 3. Senats vom 25.11.2015 - B 3 KR 16/15 R -
Kassel, den 26. November 2015
Terminbericht Nr. 52/15
(zur Terminvorschau Nr. 52/15)
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 25. November 2015.
1) Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.
Sie kann ungeachtet des Bezuges von Verletztengeld (Verlg) Krankengeld
(Krg) in gesetzlicher Höhe für die drei streitbefangenen Zeiträume der
Jahre 2008 bis 2010 beanspruchen. Die Ausschlussregelung des § 11 Abs 5
Satz 1 SGB V greift in Fällen der vorliegenden Art nicht ein.
Die Ausschlussregelung des § 11 Abs 5 SGB V wird von der Erwägung
getragen, dass die wirtschaftlichen Folgen der Arbeitsunfähigkeit (AU)
als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit allein von der
Berufsgenossenschaft (BG) durch die Gewährung von Verlg als der im
Vergleich zum Krg typischerweise höheren Leistung ausgeglichen werden
sollen. Dieser Gedanke kann jedoch nicht auf Konstellationen übertragen
werden, in denen eine Person zwei grundlegend verschiedene Tätigkeiten
ausübt. Die Klägerin hat ihr Einnahmeausfallrisiko aus ihrer
versicherungspflichtigen Beschäftigung als angestellte Tierärztin durch
ihre Pflichtversicherung bei der Beklagten abgesichert. Erleidet sie in
dieser (auch) gesetzlich unfallversicherten Beschäftigung einen
Arbeitsunfall, greift § 11 Abs 5 Satz 1 SGB V ein: sie bekommt "nur"
Verlg, bezogen auf ihr (auch) krankenversicherungsrechtlich
abgesichertes Gehalt. Erleidet sie außerhalb ihrer Beschäftigung einen
Unfall, erhält sie Krg, weil der Ausschluss des § 11 Abs 5 Satz 1 SGB V
nicht generell alle unfallbedingten AU-Zeiten erfasst, sondern nur
eingreift, wenn Leistungen einer BG zu erbringen sind.
Diese Absicherung ihres Einkommens aus der versicherungspflichtigen
Beschäftigung im Falle der AU kann nicht deshalb entfallen, weil die
Klägerin ihr Unfallrisiko im Rahmen ihrer selbstständigen Tätigkeit
freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert hat. Auch
das berechtigte Interesse des Gesetzgebers an einer trennscharfen und
verwaltungspraktikabel umsetzbaren Abgrenzung der versicherten Risiken
rechtfertigt nicht den Wegfall einer die wirtschaftliche Existenz
sichernden Leistung wie des Krg für Personen, die zwei
Berufstätigkeiten ausüben und in beiden Tätigkeiten sachgerecht gegen
die wirtschaftlichen Folgen von AU abgesichert sind.
§ 11 Abs 5 Satz 1 SGB V greift deshalb nur ein, wenn das Verlg aus der
freiwillig eingegangenen Unfallversicherung unter Berücksichtigung des
gesamten Einkommens des Betroffenen bis zur Versicherungspflichtgrenze
in der gesetzlichen Krankenversicherung berechnet wird und so (auch) an
die Stelle des Krg treten kann, das der Versicherte erhalten würde,
wenn er sich nicht freiwillig versichert hätte. Es ist Sache des
Gesetzgebers, entsprechende Regelungen im SGB VII zu treffen, wenn er
auch in solchen Konstellationen bei unfallbedingter AU Ansprüche auf
Krg grundsätzlich ausschließen will. Die traditionelle Fixierung des
Versicherungsrechts auf eine - und nur eine - Beschäftigung einer
Person ist nicht mehr konsequent durchzuhalten; das Nebeneinander von
Beschäftigungen oder die Kombination von abhängiger Beschäftigung und
selbstständiger "Nebentätigkeit" sind kein Randphänomene mehr, bei
denen sachwidrige Ergebnisse als unvermeidbar hingenommen werden
könnten.
SG Osnabrück - S 13 KR 378/10 -
LSG
Niedersachsen-Bremen - L 1/4 KR 449/12 -
Bundessozialgericht - B 3 KR 3/15 R -
2) Die
Sprungrevision der beklagten Krankenkasse hatte Erfolg. Der klagende
Apotheker hat keinen Vergütungsanspruch für die von ihm im Dezember 2013
hergestellten und an eine onkologische Praxis gelieferten
anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen. Vielmehr kann die Beklagte
die Rückzahlung der vorläufig bereits geleisteten 70.502 Euro in voller
Höhe verlangen. Die Klage mit dem entgegenstehenden
Feststellungsbegehren des Klägers war abzuweisen.
Die in § 129 Abs 5 Satz 3 SGB V normierte Berechtigung der
Krankenkassen, die Versorgung mit in Apotheken hergestellten
parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur
unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten durch Verträge mit
Apotheken sicherzustellen, einschließlich der hierzu ausdrücklich
eingeräumten Möglichkeit, Abschläge auf die ansonsten geltenden Preise
zu vereinbaren, zielt nach Auffassung des Senats auf die Hebung von
Wirtschaftlichkeitsreserven. Um den Krankenkassen neben der rechtlichen
auch die tatsächliche Möglichkeit einzuräumen, im Verhandlungsweg
Abschläge auf die ansonsten geltenden Preise zu erzielen, muss die
Krankenkasse in der Lage sein, die Abnahme einer bestimmten Menge
verlässlich zuzusagen. Deshalb gehört eine zumindest prinzipielle
Exklusivität der Lieferbeziehungen zu den Essentialia eines
entsprechenden Vertrages, und im Umfang eines solchen
Exklusivliefervertrages werden alle anderen Apotheken von der
Versorgungsberechtigung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
ausgeschlossen. Werden die Zytostatikazubereitungen - wie gesetzlich
vorgeschrieben - direkt von der Apotheke an die ärztliche Praxis
geliefert, haben die Patienten kein rechtlich geschütztes Interesse an
der Wahl einer bestimmten Apotheke und sind - wie die behandelnden Ärzte
auch - auf den wirtschaftlichsten Versorgungsweg beschränkt. Dieser
Versorgungsweg bietet grundsätzlich im Einzelfall auch die Möglichkeit
einer "ad-hoc" Belieferung. Es war nicht darüber zu entscheiden, ob und
unter welchen Voraussetzungen eine nicht selektivvertraglich gebundene
Apotheke ausnahmsweise eine Lieferung übernehmen darf, weil die
gebundene Apotheke diese unter Beachtung der medizinischen Erfordernisse
im konkreten Einzelfall nicht erbringen kann. Verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen nicht. Art 12 Abs 1 GG gewährt den Leistungserbringern
keinen Anspruch auf unveränderte Wettbewerbsbedingungen oder
Marktverhältnisse, und durch ein Ausschreibungsverfahren werden die
Rechte der Leistungserbringer auf gleichen Zugang zum
Versorgungsgeschehen gewahrt. Zur Durchsetzung des gesetzlich
vorgesehenen Systems die Versorgung mit Zytostatikazubereitungen zur
ärztlichen Anwendung durch Einzelverträge sicherzustellen, ist hier der
vollständige Vergütungsausschluss erforderlich, weil andernfalls der
zugesagte Lieferumfang nicht eingehalten und Preisabschläge nicht
erzielt werden könnten. Der Kläger ist das Risiko des vollständigen
Vergütungsausschlusses sehenden Auges eingegangen, denn die Beklagte
hatte ihn hierüber rechtzeitig informiert.
SG Darmstadt - S 13 KR 344/14 -
Bundessozialgericht - B 3 KR 16/15 R -
3) Die Revision
der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Die vorinstanzlichen Gerichte
haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin zwischen Oktober 2010
und April 2014 der Versicherungspflicht in der
Künstlersozialversicherung unterlag. Die Klägerin hat in dieser Zeit
Tanz als darstellende Kunst gelehrt und war daher nach § 2 Satz 1 KSVG
versicherungspflichtig.
Für die Abgrenzung zwischen dem Tanz als darstellender Kunst und dem
Tanz als (Breiten-, Freizeit- oder Turnier-)Sport ist der Schwerpunkt
der jeweiligen Tätigkeit entscheidend. Hierbei kommt die von der
Beklagten favorisierte Differenzierung, wonach einzelne Stile (Ballett,
Modern Dance) immer als Kunst, andere (Jazztanz, Hip Hop) immer als
Sport zu behandeln seien, nicht in Betracht. Der Bühnentanz in seiner
heutigen Form lässt sich nicht mehr auf einen bestimmten Stil festlegen.
Er umfasst insbesondere nicht nur das klassische Ballett, sondern alle
zeitgenössischen Tanzformen. Dass aus dem - im Künstlerbericht 1975 noch
ausdrücklich erwähnten - "Balletttänzer" der Ausbildungsberuf des
"Bühnentänzers" hervorgegangen ist, belegt den Wandel der
Erscheinungsformen des auf Bühnen dargebotenen Tanzes.
Das LSG hat in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin festgestellt, dass
der Schwerpunkt des Unterrichts dem Bereich des Bühnentanzes zuzuordnen
ist. Der Unterricht soll die Schüler dazu befähigen, den Tanz vor
Publikum darzubieten. Nicht die Entwicklung sportlicher Fitness, sondern
die Präsentation - als typisches Merkmal von Kunst - steht im
Vordergrund. Der sportlich-wettkampforientierte Aspekt, den Tanz auch
haben kann, tritt demgegenüber zurück. Dies kommt auch darin zum
Ausdruck, dass beide Tanzschulen, an denen die Klägerin unterrichtet,
als Vorausbildungsschulen auf eine spätere Bühnentanzausbildung
vorbereiten und damit die Voraussetzungen sowohl für eine Betätigung im
Bereich des klassischen Balletts als auch zB für eine solche im Bereich
des modernen Musicaltanzes schaffen.
SG Köln - S 23 KR 810/11 -
LSG
Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 249/12 -
Bundessozialgericht - B 3 KS 3/14 R -
4) Die Revision
des Klägers hatte Erfolg. Die mit dem Umbau der Dusche verbundenen
Erleichterungen der Körperpflege sind nach den individuellen Umständen
der Lebens‑ und Wohnsituation des Klägers "erheblich" iS des § 40 Abs 4
Satz 1 SGB XI und der gleichlautenden Vertragsbedingungen des beklagten
Unternehmens. Deshalb hat der Kläger Anspruch auf Zahlung des
Zuschusses zu den Umbaukosten.
Maßstab für die Beurteilung der Erheblichkeit der mit einer Maßnahme zur
Verbesserung des Wohnumfeldes angestrebten Erleichterung der Pflege ist,
ob damit die Pflege in zentralen Bereichen des Hilfebedarfs deutlich
und spürbar einfacher wird, was auch zu einer Entlastung bzw Vermeidung
der Überforderung der Pflegeperson führt. Eine drohende oder schon
eingetretene Überforderung der Pflegeperson ist ein gewichtiges Indiz
für eine erhebliche Erleichterung, aber nicht in dem Sinne
tatbestandliche Voraussetzung, dass ohne die Wohnumfeldverbesserung
konkret und wahrscheinlich eine stationäre Unterbringung des
Pflegebedürftigen bevorstehen musste.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist hier die Schwelle der
"Erheblichkeit" erreicht worden. Durch die Verbreiterung des Zugangs zur
Duschkabine und den Wegfall der bisher vorhandenen Bodenkante der
Duschtasse wurde der Bewegungsfreiraum der Lebensgefährtin und
Pflegerin des Klägers vergrößert. Außerdem wurden die Standsicherheit
erhöht und eine Gefahrenquelle beseitigt. Der Austausch der Duscharmatur
ermöglichte es dem Kläger, trotz seiner deutlich reduzierten
Greiffunktion Wassermenge und Temperatur wieder selbst einstellen zu
können. Dies ist ein Beitrag zur Verbesserung des Selbstbestimmung des
Klägers in einem höchst privaten Lebensbereich und zur Sicherung der
Barrierefreiheit.
SG
Braunschweig - S 30 P 54/09 -
LSG
Niedersachsen-Bremen - L 15 P 28/12 -
Bundessozialgericht - B 3 P 3/14 R -
5) Die Revision
des Klägers hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen
Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG
Erfolg.
Das LSG muss
erneut über den erforderlichen Leistungsumfang der selbst beschafften
Betriebshilfe im Zeitraum vom 21.3.2012 bis 18.8.2012 entscheiden. Als
Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch kommt § 8 Abs 1 des
Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) iVm § 13
Abs 3 SGB V in Betracht. Nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen des
LSG lässt sich nicht beurteilen, ob die selbst beschaffte Betriebshilfe
im Umfang von zusätzlichen 20 Wochenstunden durch eine rechtswidrige
Leistungsablehnung verursacht worden ist.
Nach § 9 Abs 1 KVLG 1989 wird die Betriebshilfe "anstelle von
Krankengeld" gewährt. Der Senat konnte sich den Vorinstanzen nicht
anschließen, die den Leistungsumfang der erforderlichen Betriebshilfe an
der Höhe des Krg der GKV (70% des Arbeitseinkommens, § 47 Abs 1 Satz 1
SGB V) orientiert haben und daher die tatsächlich geleisteten Stunden an
Betriebshilfe nur etwa in dieser Größenordnung anerkannt haben. Das BSG
hat bereits entschieden, dass Betriebshilfe - anders als das Krg - die
Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs im Krankheitsfall des
Unternehmers sicherstellen und die Erledigung der im
landwirtschaftlichen Unternehmen unaufschiebbar anfallenden Arbeiten
ermöglichen soll. Nicht der Ausfall an Arbeitsentgelt, sondern der
Ausfall an Arbeitskraft ist der entscheidende Ansatz für die gesetzliche
Einrichtung der Betriebshilfe. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs wird
das LSG daher den erforderlichen Umfang an Betriebshilfe im streitigen
Zeitraum prüfen und in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären haben. Dies
ist bislang nicht geschehen. Je nachdem, welche Arbeiten während der
Erkrankung im Betrieb unaufschiebbar zu erledigen waren, können diese
den Umfang von 40 Stunden sowohl unter- als auch überschreiten.
Pauschalierende oder generalisierende Bemessungen des Umfangs, die sich
an Durchschnittswerten anderer Betriebe orientieren, verbieten sich
daher von vornherein. Unerheblich ist auch die von der Beklagten für
unwirtschaftlich gehaltene Betriebsstruktur des Klägers. Denn die
Betriebshilfe soll sicherstellen, dass das Unternehmen - so wie es ist -
auch im Krankheitsfall weiterbetrieben wird, ohne dass eine Gefährdung
der Existenzsicherung des Betriebs eintritt.
SG Nürnberg - S 7 KR 335/12 -
Bayerisches LSG - L 4 KR 88/13 -
Bundessozialgericht - B 3 KR 12/15 R -