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| Die statthafte und im Übrigen zulässig eingelegte Sprungrevision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2, Abs 4 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Entgegen der Auffassung des Beklagten kann dem Anspruch auf Rücknahme nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht entgegengehalten werden, dieser sei gemäß § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III ausgeschlossen (dazu unter 2). Für eine abschließende Entscheidung, ob dem Kläger höhere KdU zustehen, fehlen allerdings ausreichende tatsächliche Feststellungen durch das SG (dazu unter 3). |
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| 1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 31.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2008, mit dem der Beklagte die Rücknahme der den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 29.2.2008 betreffenden bestandskräftigen Bescheide abgelehnt hat. Auch im Überprüfungsverfahren ist eine Beschränkung des Streitstoffes nur hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II, nicht dagegen ausschließlich auf die Kosten der Heizung zulässig (vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18). In diesem Sinne ist das Begehren des Klägers dahin auszulegen, dass er die Überprüfung der bestandskräftig gewordenen Regelungen in den Ausgangsbescheiden begehrt, soweit sie die KdU betreffen. |
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| 2. Die vom beklagten Grundsicherungsträger geltend gemachten Ausnahmen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III) liegen nicht vor. |
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| § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs 4 Satz 1 SGB X). |
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| Nach § 330 Abs 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen, wenn die in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist. Die für eine zeitlich eingeschränkte Rücknahme in Betracht kommende zweite Alternative scheitert vorliegend daran, dass eine einheitliche Praxis der Leistungsträger des SGB II bezogen auf den streitigen Abzug von Kosten der Warmwasserbereitung nicht existiert hat (vgl bereits BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 78/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 36 RdNr 17 im Hinblick auf die uneinheitliche Praxis der Träger der Grundsicherung zur Kostensenkungsaufforderung im Anwendungsbereich des § 22 SGB II). |
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| Die Vorschrift des § 330 SGB III dient ausschließlich den Interessen der Verwaltung. Nach der Begründung zur Vorgängerregelung des § 152 Arbeitsförderungsgesetz (dazu BT-Drucks 12/5502, S 37 zu Nr 43; siehe auch BT-Drucks 8/2034, S 37) soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass die Arbeitsämter (nunmehr Agenturen für Arbeit) - anders als die meisten Sozialversicherungsträger - die Leistungen überwiegend kurzfristig zu erbringen haben, sodass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden sind. Die BA soll damit von einer massenhaft rückwirkenden Korrektur von Verwaltungsakten entlastet werden. Die Gefahr einer solchen massenhaften Wiederaufnahme bestandskräftig abgeschlossener Verwaltungsverfahren besteht aber nur bei einer einheitlichen Verwaltungspraxis der Leistungsträger, nicht schon bei einheitlicher Handhabung nur durch eine Agentur für Arbeit oder in einem Einzelfall (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 10 S 36). |
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| Über § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II gilt § 330 Abs 1 SGB III sowohl für die BA als Träger der Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II als auch für die kommunalen Träger für Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II (anders Conradis in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 40 RdNr 5). Auch für die Leistungsbereiche der kommunalen Träger eröffnet sich - entgegen der Auffassung des Beklagten - der Anwendungsbereich der Vorschrift aber nur, soweit eine bundeseinheitliche Verwaltungspraxis besteht (vgl Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 57; Brönstrup in GK-SGB II, Stand Oktober 2008, § 40 RdNr 29; Pilz in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Oktober 2008, § 40 SGB II RdNr 15; ähnlich Merten in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand 1.12.2010, § 40 SGB II RdNr 6, der zumindest eine landeseinheitliche Auslegung fordert). Erst wenn sich die Verwaltungspraxis zu einer Vorschrift so verfestigt hat, dass einheitlich alle Leistungsempfänger im Bundesgebiet betroffen sind, kann von einer mit dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 330 SGB III vergleichbaren Lage ausgegangen werden. Auch die Gefahr einer massenhaften Wiederaufnahme bestandskräftig abgeschlossener Verwaltungsverfahren besteht insoweit nur bei einer einheitlichen Verwaltungspraxis im Bundesgebiet. Mit dieser Auslegung des § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III ist zwar de facto ein erheblich eingeschränkter Anwendungsbereich für kommunale Träger verbunden. Die mit der entsprechenden Anwendung des § 330 Abs 1 SGB III einhergehende Privilegierung der Leistungsträger erscheint aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn eine nur teilweise oder gar vereinzelt vertretene Auslegung in der Folge durch eine ständige Rechtsprechung korrigiert wird. |
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| Schon die beim BSG anhängig gewesenen Streitigkeiten wegen des Abzuges von Kosten für die Warmwasserzubereitung zeigen, dass eine einheitliche Praxis der Träger der Grundsicherung nicht bestand. So findet sich etwa ein Abzug von den Heizkosten in Höhe von 1/6 (BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 3), in Höhe von 18 % (BSGE 99, 47 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5, RdNr 43-44; BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14/7b AS 4/07 R - Juris RdNr 3) oder pauschal in Höhe 6,50 Euro (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 6 RdNr 20; BSG, FEVS 60, 145, 150) bzw 8,18 Euro für "den Haushaltsvorstand" (Urteil vom 25.6.2008 - B 11b AS 45/06 R - Juris RdNr 4; BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5, RdNr 4). |
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| Damit kann offen bleiben, ob im Anwendungsbereich des § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II - wie bei der unmittelbaren Anwendung des § 330 Abs 1 SGB III - weitere Voraussetzung eine Änderung (nicht schon die erstmalige Begründung) der ständigen Rechtsprechung des Revisionsgerichts ist (vgl BSGE 91, 302, 307 = SozR 4-4100 § 168 Nr 2; Merten, aaO, § 40 SGB II RdNr 7) oder die Änderung von obergerichtlicher Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz (hier des OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.9.1988 - 8 A 1239/86 - FEVS 38, 151), die vom Bundesverwaltungsgericht als dem zuständig gewesenen Revisionsgericht nicht überprüft worden ist, ausreicht. |
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| 3. Ausreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG), ob das Recht bei Erlass des Verwaltungsakts unrichtig angewandt worden ist und damit die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X erfüllt sind, hat das SG nicht getroffen. Dies wird vom LSG nachzuholen sein. |
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| Der Kläger gehört nach den Feststellungen des SG dem Grunde nach zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, weil er das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II). Er hat daher Anspruch auf Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind (vgl § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). |
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| Die weitergehenden Feststellungen des SG, welche Aufwendungen vorliegend für Unterkunft und Heizung tatsächlich zu zahlen waren und welche Kosten der Beklagte hiervon als berücksichtigungsfähig anerkannt hat, sind unklar und in sich widersprüchlich und binden das Revisionsgericht aus diesem Grund nicht (vgl zuletzt BSG Urteil vom 10.8.2000 - B 11 AL 83/99 R - Juris RdNr 20 mwN). So hat das SG insbesondere ausgeführt, der Beklagte habe an Leistungen für Unterkunft und Heizung bis einschließlich Juli 2006 304,44 Euro anerkannt, ausgehend von einer Kaltmiete in Höhe von 194,80 Euro, Heizkosten von 65 Euro und sonstigen Nebenkosten von 44,64 Euro. Zugleich heißt es in dem angegriffenen Urteil aber weiter, der Beklagte habe die Kosten der Warmwasserbereitung "für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum mit einem Abschlag von 18 % der Heizkosten" berücksichtigt. Diese Feststellungen sind zumindest unklar, denn es wird nicht deutlich, ob tatsächlich über den gesamten Zeitraum von den Kosten der Heizung eine Pauschale für die Warmwasserbereitung als nicht berücksichtigungsfähig im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II abgezogen worden ist. Die eingangs getroffenen Feststellungen des SG zur Höhe der Abschlagszahlungen für die Heizung legen vielmehr nahe, dass dies zumindest über einen gewissen Zeitraum nicht der Fall war. Auch im Hinblick auf die "sonstigen" Nebenkosten kann auf Grundlage der Feststellungen des SG bislang nicht überprüft werden, ob sie zu den dem Grunde nach berücksichtigungsfähigen Kosten gehören. Das LSG wird dies nach Zurückverweisung des Rechtsstreits im Einzelnen nachzuvollziehen haben. |
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| In einem weiteren Schritt wird es die Angemessenheit der Kosten zu überprüfen haben. Zwar ist die Angemessenheitsprüfung der Unterkunftskosten getrennt von den Kosten der Heizung durchzuführen (vgl nur BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23) und der Kläger macht im Ergebnis lediglich höhere Heizkosten geltend. Das entbindet das LSG vorliegend aber nicht davon, auch die KdU auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, da eine weitergehende Aufspaltung der Leistung insoweit nicht zulässig ist. Nur wenn und soweit die Unterkunftskosten ursprünglich insgesamt rechtswidrig zu niedrig bewilligt waren, kann das Überprüfungsbegehren des Klägers Erfolg haben. |
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| Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben. |
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