Siehe auch: Urteil des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 14/13 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 7/13 R -, EuGH-Vorlage des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R -
Kassel, den 12. Dezember 2013
Terminbericht Nr. 59/13
(zur Terminvorschau Nr. 59/13)
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 12. Dezember 2013.
1) Die Revision des Klägers wurde
zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine
Ermessensentscheidung über seinen Antrag auf Mobilitätshilfen. Die
Voraussetzungen des § 16 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 53 SGB III aF hierfür
liegen nicht vor, weil die vom Kläger aufgenommene Referendartätigkeit
nicht der Versicherungspflicht unterlag. Der Tatbestand des § 53 SGB III
aF ist bei seiner Anwendung im Geltungsbereich des SGB II insoweit nicht
einzuschränken. Für die darin liegende Ungleichbehandlung liegen
hinreichende sachliche Gründe vor.
Schließlich eröffnet auch die im streitigen Zeitraum anwendbare
Generalklausel des § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II aF einen Anspruch auf
Förderungsleistungen nicht. Bei der Anwendung der Generalklausel galt
auch ohne ausdrückliche Regelung ein Umgehungsverbot. Die nach
derzeitiger Rechtslage für die Freie Förderung nach § 16f SGB II
vorgesehenen Ausnahmen vom Aufstockungs- und Umgehungsverbot fanden im
streitigen Zeitraum noch keine Anwendung.
SG Detmold - S 21 AS 151/07 -
LSG
Nordrhein-Westfalen - L 12 AS 1702/11 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 7/13 R -
2) Die Revision
war erfolgreich im Sinne der Zurückverweisung der Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Der Senat konnte nicht
abschließend darüber entscheiden, ob die Klägerin in dem hier streitigen
Bewilligungsabschnitt einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts hat. Es fehlt an Feststellungen des LSG dazu, ob
die Klägerin ‑ ohne die geltend gemachte Mehrbedarfsleistung ‑ höheres
Sozialgeld beanspruchen kann. Streitgegenstand ist nicht allein eine
Leistung für Mehrbedarf durch die ergänzende kieferorthopädische
Behandlung der Klägerin ab dem 18.1.2010. Zu befinden war vielmehr über
die Höhe der Regelleistung insgesamt, allerdings ohne Leistungen für
Unterkunft und Heizung, im Bewilligungszeitraum ab dem 1.12.2009 bis
31.5.2010.
Die
Voraussetzungen für die Gewährung einer Mehrbedarfsleistung wegen einer
Härte auf Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (BVerfGE
125, 175) lagen im hier streitigen Zeitraum jedoch nicht vor. Zwar
ergibt sich nach Aktenlage, dass im Bewilligungszeitraum ein Bedarf
durch die Aufwendungen für die Behandlung aufgrund einer Forderung des
Kieferorthopäden entstanden war. Der Bedarf war jedoch nicht
unabweisbar. Unabweisbar iS des Grundsicherungsrechts kann wegen der
Subsidiarität dieses Leistungssystems ein medizinischer Bedarf nur sein,
wenn nicht die Krankenversicherung als Dritter zur Leistungserbringung,
also zur Bedarfsdeckung verpflichtet ist. Dazu hat der
Leistungsberechtigte den Bedarf grundsätzlich zunächst einmal gegenüber
der Krankenkasse geltend zu machen. Erst nachdem diese die
Leistungsgewährung ablehnt, kann, wenn es sich gleichwohl um einen
medizinisch notwendigen Bedarf handelt, unter weiteren Voraussetzungen
eine Bedarfsdeckung durch existenzsichernde Leistungen in Betracht
kommen. Im Bereich der kieferorthopädischen Versorgung sind im SGB V
zwar Beschränkungen im Hinblick auf die Leistungsverpflichtung der
gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen. Insoweit handelt es sich
jedoch "nur" um Beschränkungen beim Zugang zur Versorgung. Wird eine
kieferorthopädische Versorgung - wie hier - durch die gesetzliche
Krankenversicherung gewährt, erbringt sie auf Grundlage von § 27 SGB V
die medizinisch notwendige Versorgung. Die medizinische Notwendigkeit
für die ergänzenden Behandlungsmaßnahmen des Kieferorthopäden war damit
bereits aus diesem Grunde nicht gegeben.
SG Köln - S 15 AS 664/10 -
LSG
Nordrhein-Westfalen - L 6 AS 139/12 ZVW -
Bundessozialgericht - B 4 AS 6/13 R -
3) Auf die
Revision des Beklagten hat der Senat das Urteil des LSG aufgehoben und
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Einem
Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten wegen dessen möglicher
Verpflichtung zur Erbringung der gegenüber den Leistungen der
Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gleichartigen beruflichen
Rehabilitationsleistungen nach § 16 SGB II iVm den §§ 97 ff SGB III
steht hier die Spezialregelung des § 14 SGB IX entgegen. Die
Erstattungsregelungen dieser Vorschrift begründen einen Ausgleich dafür,
dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger bei Vorliegen eines
entsprechenden Bedarfs Rehabilitationsmaßnahmen selbst dann ‑ auch nach
anderen Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuchs ‑ erbringen muss, wenn
er der Meinung ist, hierfür nicht zuständig zu sein. Als Konsequenz
scheidet ein Erstattungsanspruch für den erstangegangenen Träger
regelmäßig mangels Notwendigkeit aus, weil er nach § 14 Abs 1 S 1 und 2
SGB IX eine Prüfungs-, Ablehnungs- und Weiterleistungskompetenz hat. Die
Konstellation der irrtümlichen Annahme einer eigenen Zuständigkeit lag
hier nicht vor.
Entsprechend seiner Verpflichtung als iS von § 14 Abs 2 SGB IX und § 6a
S 2 SGB IX zuständiger Rehabilitationsträger für die Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben bei behinderten erwerbsfähigen
Leistungsberechtigten hat der Beklagte die für die Feststellung des
Rehabilitationsbedarfs und den Eingliederungsvorschlag zuständige
Bundesagentur für Arbeit beteiligt. Allein der Umstand, dass der
Beklagte dem Kläger nach Eingang deren Stellungnahme mitteilte, dass aus
seiner Ansicht kein Rehabilitationsfall gegeben war, berechtigte den
Kläger nicht zur "Vorleistung", nachdem er sich zuvor für unzuständig
erklärt hatte. Die Rechtsbeziehungen zwischen unterschiedlichen
Sozialleistungsträgern im gegliederten Sozialleistungssystem erfordern
es im Rahmen der §§ 102 ff SGB X, aber auch bei Anwendung des § 14
SGB IX, dass jeder Leistungsträger die Regelungsbefugnis des zuständigen
bzw ‑ im Rahmen des § 14 SGB IX als zuständig festgelegten ‑ Trägers
respektiert und seinen eigenen Entscheidungen zugrunde legt.
SG Gießen - S 22 AS 405/09 -
Hessisches LSG - L 7 AS 697/11 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 14/13 R -
4) Die Revision
ist erfolglos geblieben. Der Beklagte wendet sich zu Unrecht gegen die
Verurteilung zu weiteren Kosten der Unterkunft unter Hinzurechnung eines
Zuschlages von 10 vH zu den Tabellenwerten der Wohngeldtabelle. Hierbei
ist der Senat mit den Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die
angemessene Wohngröße für Alleinstehende in Baden-Württemberg 45 qm
beträgt. Auch die Festlegung des Vergleichsraums durch den Beklagten
entspricht den vom Senat hierzu entwickelten Kriterien. Schließlich ist
das LSG in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass
weder der Beklagte über ein vorrangig von diesem zu entwickelndes
schlüssiges Konzept verfügt, noch ein solches Konzept durch das LSG
entwickelt werden kann, da ein Ausfall von lokalen Kenntnismöglichkeiten
anzunehmen ist. Letzteres ist anzuerkennen, wenn für weit zurückliegende
Zeiträume unverhältnismäßig aufwändige Ermittlungen nachträglich
durchgeführt werden müssten.
Im Fall eines Erkenntnisausfalls sind grundsätzlich die tatsächlichen
Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden jedoch im Rahmen der
allgemeinen Angemessenheitsprüfung durch die Tabellenwerte der
Wohngeldtabelle gedeckelt. Hierbei ist nach der Rspr zu der bis zum
31.12.2008 geltenden Regelung in § 8 WoGG auf den jeweiligen
Höchstbetrag der Tabelle zurückzugreifen und ein Sicherheitszuschlag
einzubeziehen. Diese Einbeziehung des Sicherheitszuschlages hat auch im
Fall der Heranziehung von § 12 WoGG zu erfolgen. Trotz der Anhebung der
Tabellenwerte in § 12 WoGG hat sich nichts daran geändert, dass es sich
lediglich um eine abstrakte Deckelung der zu übernehmenden Aufwendungen
handelt, die unabhängig von den konkreten Umständen im Vergleichsraum
erfolgt. Es gilt deshalb auch weiterhin, dass beide Regelungen
unterschiedliche Ziele verfolgen und die abstrakte Angemessenheitsgrenze
so zu gestalten ist, dass zu dem fraglichen Wert möglichst Wohnraum
verfügbar ist. Der Höhe nach hält der Senat weiterhin einen Zuschlag von
10 vH als angemessen. Da lediglich der Beklagte gegen das Urteil des LSG
Revision eingelegt hat, bestand keine Veranlassung zu Ausführungen dazu,
unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen in eine
konkrete Prüfung der Angemessenheit einzutreten ist, auch nicht
insoweit, ob es dem Kläger objektiv möglich war, zu dem aus § 12 WoGG
mit Zuschlag folgenden Mietpreis auf dem Wohnungsmarkt im Vergleichsraum
tatsächlich eine Wohnung anzumieten.
SG Konstanz - S 3 AS 947/10 -
LSG
Baden-Württemberg - L 3 AS 5600/11 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 87/12 R -
5) In der
Hauptsache hatte die Revision keinen Erfolg. Die Klage betreffend
höheres Alg II für die Monate September und Oktober 2007 ist unzulässig.
Ihr steht insoweit die Rechtskraftwirkung der Entscheidung aus dem
Klageverfahren zu dem Aktenzeichen S 2 AS 4872/10 entgegen. Das Begehren
nach höherem Alg II für den davor liegenden Leistungszeitraum bis August
2007 scheitert im konkreten Fall an einem, in dem Verfahren zu dem
Aktenzeichen S 12 AS 6275/07 geschlossenen gerichtlichen Vergleich.
Dessen Auslegung ergibt, dass die Beteiligten den vom Kläger erneut
geltend gemachten Anspruch endgültig erledigen wollten.
Soweit hingegen das LSG dem Kläger Verschuldenskosten in Höhe von
225 Euro auferlegt hat, wurde der Revision stattgegeben und das Urteil
des LSG aufgehoben. Die Voraussetzungen für die Auferlegung der
Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG waren nicht gegeben,
denn der Kläger ist nicht über die "Missbräuchlichkeit" seines Handelns
und die Folgen dessen belehrt worden. Die Belehrung in mündlicher
Verhandlung vor dem LSG in Abwesenheit des Klägers ersetzt die
zwischenzeitlich auch mögliche schriftliche Belehrung nicht.
SG Freiburg - S 2 AS 6581/10 -
LSG
Baden-Württemberg - L 13 AS 500/12 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 17/13 R -
6) Der Senat hat
das Verfahren nach Art 267 Abs 1 und 3 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union ausgesetzt, um eine
Vorabentscheidung des EuGH zu folgenden Fragen einzuholen:
1.
Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 ‑ mit
Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 ‑ auch
für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen iS von Art 70
Abs 1, 2 VO (EG) 883/2004?
2. Falls 1. bejaht wird: Sind ‑ ggf
in welchem Umfang ‑ Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des
Art 4 VO (EG) 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen
Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich,
nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos nicht besteht,
wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen
Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt?
3.
Steht Art 45 Abs 2 AEUV in Verbindung mit Art 18 AEUV einer nationalen
Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf
die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine
Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch
den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines
Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung
mit dem Aufnahmestaat verweigert?
SG Berlin - S 55 AS 18011/12 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 9/13 R -