Siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 8.10.2014 - B 3 P 4/13 R -, Urteil des 3. Senats vom 8.10.2014 - B 3 KR 7/14 R -, Urteil des 3. Senats vom 8.10.2014 - B 3 KS 1/13 R -, Urteil des 3. Senats vom 8.10.2014 - B 3 KS 6/13 R -
Kassel, den 9. Oktober 2014
Terminbericht Nr. 44/14
(zur Terminvorschau Nr. 44/14)
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über die am 8. Oktober 2014 nach mündlicher Verhandlung entschiedenen Revisionen.
1) Die Revision des klagenden
Krankenhausträgers hat im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits
an das SG Erfolg. Das SG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig
abgewiesen. Die Klägerin war nicht gehalten, vor Erhebung der Klage den
Schlichtungsausschuss anzurufen.
Allerdings ist die Klage,
deren Gegenstand die richtige Abrechnung von Leistungen der Klägerin
anlässlich eines Behandlungsfalles aus dem Jahre 2009 ist, vom
Regelungsbereich des § 17c Abs 4b S 3 KHG erfasst. Der Senat folgt nicht
der Auffassung, dass der Ausschluss von Direktklagen über "streitig
gebliebene Krankenhausvergütungen" nur solche Krankenhausbehandlungen
erfasst, die nach dem 1.8.2013 durchgeführt worden sind. Für eine so
weitgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift bieten
Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zielsetzung der Regelung keine
hinreichenden Anhaltspunkte.
Unabhängig von der Frage, ob die
hier streitige Behandlung von § 275c Abs 1 SGB V erfasst wird, hat die
Klagesperre des § 17c Abs 4b KHG hier jedenfalls nicht eingegriffen,
weil zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Berlin kein
Schlichtungsausschuss existierte, den die Klägerin hätte anrufen können.
Ein Schlichtungsausschuss war nicht errichtet und konnte infolgedessen
auch keine Schlichtungen durchführen. Der Gesetzgeber darf grundsätzlich
die Anrufung der Gerichte von der vorherigen Einschaltung eines
Schlichtungsausschusses abhängig machen, das Schlichtungsverfahren muss
dann aber tatsächlich durchführbar sein; andernfalls wird den
Beteiligten kein effektiver Rechtschutz zur Verfügung gestellt. Dieser
effektive Rechtsschutz ist nicht gewährleistet, wenn das
Schlichtungsgremium nicht existiert oder nicht handlungsfähig ist.
Die Klage ist auch nicht unzulässig geworden, nachdem der Gesetzgeber
mit Gesetz vom 21.7.2014 § 17c Abs 4 um die Sätze 8 - 10 ergänzt und
bestimmt hat, dass die Schiedsstellen nach § 18a Abs 1 KHG ab dem
1.9.2014 die Funktion der Schlichtungsausschüsse übernehmen, solange
diese nicht errichtet sind. Zulässig erhobene Klagen bleiben nach
allgemeinen prozessualen Grundsätzen auch dann grundsätzlich zulässig,
wenn sie Zulässigkeitserfordernisse nicht erfüllen, die erst nach
Klageerhebung normiert worden sind.
Im Übrigen sind auch nach
dem 1.9.2014 Klagen über streitig gebliebene Krankenhausvergütungen
zunächst noch ohne Anrufung der Schiedsstelle oder eines
Schlichtungsausschusses zulässig. Im Hinblick auf die im
Gesetzgebungsverfahren deutlich angesprochenen Zweifel an der
tatsächlichen Fähigkeit der Schiedsstellen nach § 18a Abs 1 KHG zur
Bewältigung der Aufgaben der Schlichtungsausschüsse greift die Sperre
des § 17c Abs 4b S 3 KHG erst ein, wenn die Schiedsstelle oder der
Schlichtungsausschuss den jeweiligen Landeskrankenhausgesellschaften und
den Verbänden der Krankenkassen förmlich angezeigt haben, dass sie
"funktionsfähig errichtet" sind und die Aufgaben der Schlichtung
übernehmen können. Dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes
wird nicht hinreichend entsprochen, wenn die betroffenen
Krankenhausträger und Krankenkassen jeweils recherchieren müssen, ob ein
Ausschuss besteht und auch arbeitsfähig ist. Die "Anzeige" als
Mitteilung mit rechtlicher Außenwirkung ist etwa in § 116b Abs 2 S 1
SGB V ausdrücklich vorgesehen.
Die Entscheidung des
Gesetzgebers, zumindest vorübergehend die Schiedsstellen nach § 18a
Abs 1 KHG mit der Wahrnehmung der Aufgabe der Schlichtungsausschüsse zu
betrauen, hat Konsequenzen für die Rechtsnatur der "Entscheidungen" im
Sinne des § 17c Abs 4b S 1 KHG. Die Schiedsstelle nach § 18a Abs 1 KHG
ist nach der Rechtsprechung des Senats eine Behörde im Sinne des
Verfahrensrechts, die durch Verwaltungsakt entscheidet. Das kann dann
für die Schlichtungsausschüsse, deren Funktion die Schiedsstelle
zunächst übernehmen soll, nicht anders beurteilt werden. Diese
Auffassung hat zur Folge, dass eine Klage "gegen die Entscheidung des
Schlichtungsausschusses nach § 17c Abs 4 KHG" gegen diesen Ausschuss zu
richten ist. Insoweit entspricht die Rechtskonstruktion derjenigen der
Schiedsämter im Sinne des § 89 SGB V und nicht derjenigen der
Schiedspersonen im Sinne des § 132a Abs 2 S 6 SGB V für die häusliche
Krankenpflege und im Sinne des § 65c Abs 6 Sätze 8ff SGB V für die
klinischen Krebsregister. In der letztgenannten Bestimmung ist mit
Wirkung vom 9.4.2013 ausdrücklich geregelt, dass Klagen gegen einen der
Vereinbarungspartner und nicht gegen die Schiedsperson zu richten sind.
Dass der Gesetzgeber wenige Monate später bei Erlass des § 17c Abs 4b
KHG eine entsprechende Regelung unterlassen hat, kann angesichts der
auch im Übrigen auf ein Handeln der Schlichtungsausschüsse in der
Rechtsform des Verwaltungsaktes hinweisenden Fassung dieser Vorschrift
nicht als unbeachtliches Versehen gewertet werden.
Da sich das
SG mit den Beanstandungen der Beklagten in der Sache nicht befasst hat,
muss die Sache zurückverwiesen werden. Die Rückzahlungsforderung der
Beklagten ist nicht verjährt und - entgegen der Auffassung der Klägerin
- auch nicht verwirkt.
SG Berlin
- S 182 KR 2450/13 -
Bundessozialgericht
- B 3 KR 7/14 R -
2) Die Revision
des Klägers hat im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und
Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg.
Die Zeit, die die
den Kläger pflegende Mutter für die Durchführung der parenteralen
Ernährung ihres Sohnes benötigt, ist entgegen der Auffassung der
Vorinstanzen auf die je nach Pflegestufe erforderliche Pflegzeit gemäß
§ 15 Abs 3 SGB XI anzurechnen. Die parenterale Ernährung kann eine
verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme sein, die bei
der Ermittlung des Zeitaufwandes für die Zuordnung zu einer Pflegestufe
zu berücksichtigen ist.
Die parenterale Nahrungsaufnahme über
eine Infusion umgeht den Mund- und Halsbereich des Betroffenen und auch
- insoweit im Unterschied zur Ernährung über eine Magensonde - den
Verdauungstrakt. Sie bleibt aber - wie der Senat für die Ernährung über
eine Magensonde bereits entschieden hat - eine Form der Nahrungsaufnahme
im Sinne des § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI. Die Hilfe dabei ist deshalb (auch)
eine verrichtungsbezogene Maßnahme der Grundpflege.
Die Beklagte
hat zwar auf die besonderen Risiken einer parenteralen Ernährung
hingewiesen und zutreffend ausgeführt, dass insoweit in gewissen
Abständen auch ärztliche und/oder krankenpflegerische Interventionen
erforderlich sein können. Sie hat aber die routinemäßige Durchführung
der parenteralen Ernährung des Klägers durch dessen Mutter seit Jahren
hingenommen und keine Hinweise auf qualitative Defizite der Versorgung
des Klägers bei der Aufnahme der notwendigen Nährlösungen über eine
Infusion gefunden. Auch deshalb ist es gerechtfertigt, die dafür ‑ und
nicht für spezielle ärztliche oder krankenpflegerische Interventionen ‑
von der Mutter benötigte Zeit der Grundpflege zuzuordnen und bei der
Ermittlung der richtigen Pflegestufe des Klägers zu berücksichtigen.
Dass in anderen Konstellationen die Durchführung der parenteralen
Ernährung eines Versicherten auch die Merkmale der Behandlungspflege im
Sinne des § 37 Abs 2 SGB V erfüllen kann, ist insoweit ohne Bedeutung.
Da das LSG - von seinem Rechtstandpunkt aus folgerichtig -
keine Ermittlungen zum Zeitaufwand der Mutter für die abendliche
Einstellung und morgendliche Abschaltung der dem Kläger in der Regel
nachts verabreichten Infusionen zur Ernährung getroffen hat, kann der
Senat nicht selbst entscheiden, ob der Kläger Leistungen nach
Pflegestufe II zu beanspruchen hat. Der Rechtsstreit ist deshalb an das
LSG zurückzuverweisen.
SG Trier
- S 2 P 41/10 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 2 P 33/12 -
Bundessozialgericht
- B 3 P 4/13 R -
3) Die Revision
der klagenden Bundessteuerberaterkammer ist ohne Erfolg geblieben. Diese
muss für ihre Aufträge an Fotografen Künstlersozialabgabe (KSA)
entrichten.
Die Klägerin ist ungeachtet ihrer rechtlichen
Verfassung als Körperschaft des öffentlichen Rechts (auch) ein
Unternehmen im Sinne des § 24 Abs 1 S 2 KSVG. Sie betreibt für eigene
Zwecke, nämlich zur Erfüllung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben,
Öffentlichkeitsarbeit und vergibt dazu nicht nur gelegentlich Aufträge
an selbständige (Foto)-Künstler.
Auch öffentlich-rechtlich
organisierte Einrichtungen, die (nur) ihre gesetzlich oder satzungsgemäß
zugewiesenen Aufgaben erfüllen, können dabei die Werke selbständiger
Künstler nutzen und gelten dann als Verwerter von Kunst, die zur
Entrichtung des KSA verpflichtet sind. Die von Fotografen bezogenen
Werke können auch der Präsentation der Arbeit der Klägerin in der
Öffentlichkeit dienen; dass die Klägerin keine Werbung im herkömmlichen
Sinne mit dem Ziel der Steigerung von Umsatz und Gewinn betreibt, ist
insoweit ohne Bedeutung.
Der Senat hat sich nicht davon
überzeugen können, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der KSA
inzwischen verfassungswidrig geworden sein könnte. Das System der KSA
ist vom BVerfG 1987 ausdrücklich als mit dem Grundgesetz vereinbar
beurteilt worden. Die seit diesem Zeitpunkt veränderten
Verwertungsmöglichkeiten künstlerischer Erzeugnisse über das Internet
rechtfertigen keine andere Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der
maßgeblichen Vorschriften des KSVG.
SG Berlin
- S 73 KR 3216/07 -
LSG Berlin-Brandenburg
- L 1 KR 337/10 -
Bundessozialgericht
- B 3 KS 1/13 R -
4) Die Revision
der beklagten Künstlersozialkasse hat keinen Erfolg gehabt. Die Beklagte
muss den Bescheid über eine dem Grunde nach bestehende Abgabepflicht des
klagenden Vereins nach aufheben. Dieser Bescheid ist im Sinne des § 44
Abs 1 SGB X rechtswidrig, und auf seiner Grundlage sind zu Unrecht
Beiträge erhoben worden.
Eine Abgabepflicht des Klägers ergibt
sich zunächst nicht aus § 24 Abs 1 S 1 Nr 2 KSVG. Der überwiegende Zweck
des Klägers besteht nicht darin, künstlerische Werke anzubieten. Der vom
Kläger gepflegte Country- und Westerntanz, vor allem in der Form des
Line-Dance, ist keine künstlerische sondern eine sportliche Betätigung.
Der Kläger ist Mitglied im Landestanzsportbund Brandenburg und mittelbar
im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).
Auch auf § 24 Abs 1
S 1 Nr 3 KSVG kann eine Abgabepflicht des Klägers nicht gestützt werden.
Der wesentliche Zweck des Klägers besteht in der Ausübung und Förderung
einer Form des Tanzes. Künstlerische Leistungen benötigt der Kläger nur
zur Gestaltung seiner beiden größeren öffentlichen Auftritte (Weekend
und Weihnacht). Die bei diesen Veranstaltungen auftretenden Musikgruppen
und Bands geben der Präsentation des Tanzes einen musikalischen Rahmen.
Das Ziel des Klägers besteht aber nicht vorrangig darin, Bands
Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen und davon selbst zu profitieren.
Schließlich bewirkt auch die Generalklausel des § 24 Abs 2 S 1 KSVG
keine Abgabepflicht des Klägers. Dieser erteilt zwar "regelmäßig" - Jahr
für Jahr - Aufträge an Musikgruppen für Zwecke seines Unternehmens,
nämlich zur Förderung von Tanzveranstaltungen, doch erfolgt dies nur
"gelegentlich". Die Grenze von mehr als drei Veranstaltungen pro Jahr
wird nicht überschritten.
Die auf der Grundlage einer
Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände getroffene Würdigung des LSG,
dass es sich bei dem "Country-Weekend" um eine einheitliche
Veranstaltung handelt, die sich über knapp drei Tage erstreckt, ist dem
Bereich der tatrichterlichen Beurteilung zuzurechnen. Bundesrechtlich
relevante Rechtsfehler sind dem LSG insoweit nicht unterlaufen. Deshalb
kann das Revisionsgericht nur von den Feststellungen des LSG ausgehen.
Dass auf dieser Basis mit dem "Country-Weekend" und der
"Country-Weihnacht" nur zwei Veranstaltungen durchgeführt und deshalb
Künstler nur "gelegentlich" herangezogen werden, stellt auch die
Beklagte nicht in Frage.
SG Potsdam
- S 16 KR 329/08 -
LSG Berlin-Brandenburg
- L 9 KR 353/10 -
Bundessozialgericht
- B 3 KS 6/13 R -