Siehe auch: Urteil des 4. Senats vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R -, Urteil des 4. Senats vom 11.2.2015 - B 4 AS 29/14 R -, Urteil des 4. Senats vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R -, Urteil des 4. Senats vom 11.2.2015 - B 4 AS 26/14 R -, EuGH-Vorlage des 4. Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R -
Kassel, den 11. Februar 2015
Terminbericht Nr. 1/15
(zur Terminvorschau Nr. 1/15)
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 11. Februar 2015.
1) Der Senat
hat die Vorlagefrage zu I.1. in dem Vorabentscheidungsersuchen vom
12.12.2013 ("Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004
‑ mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 VO (EG)
883/2004 ‑ auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen
im Sinne von Art 70 Abs 1, 2 VO (EG) 883/2004?") für erledigt erklärt,
nachdem der EuGH diese Rechtsfrage in dem Verfahren "Dano" (C-333/13)
durch Urteil vom 11.11.2014 entschieden hat.
SG Berlin - S 55 AS 18011/12 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 9/13 R -
2) Die Sache wurde zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Der
Senat vermochte auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht
abschließend darüber zu befinden, ob der dem Grunde nach bestehende
Anspruch des Klägers auf eine Härtemehrbedarfsleistung nach § 21 Abs 6
SGB II wegen der durch den Besuch der Tochter in Rumänien entstandenen
Fahrtkosten auch unabweisbar war.
Ein besonderer Bedarf iS des § 21 Abs 6 SGB II wegen der Fahrtkosten für
den Besuch des leiblichen Kindes kann grundsätzlich auch dann entstehen,
wenn die miteinander verheirateten Eltern zwar an zwei Wohnorten, aber
nicht im familienrechtlichen Sinne dauernd getrennt leben. Ob und in
welcher Weise fortbestehende familienrechtliche Pflichten in diesen
Konstellationen Ansprüche auf einen Härtemehrbedarf auszuschließen
vermögen, ist keine Frage der Besonderheit des Bedarfes, sondern eine
solche seiner Unabweisbarkeit.
Im Hinblick auf dieses Tatbestandsmerkmal wird das LSG im
wiedereröffneten Berufungsverfahren zunächst zu prüfen haben, ob der
Bedarf durch Zuwendungen Dritter gedeckt worden ist ‑ hier durch die
Ehefrau des Klägers ‑ und ob er in der geltend gemachten Höhe unter
Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Klägers gerechtfertigt
war. Abgesehen von Einsparmöglichkeiten durch die Wahl der
kostengünstigsten und verhältnismäßigen sowie zumutbaren Variante zur
Bedarfsdeckung, kommt bei familienrechtlich nicht getrennt lebenden
Eheleuten als Einsparmöglichkeit ferner die Aufhebung der getrennten
Wohnsitze und damit die vollständige Vermeidung des besonderen Bedarfs
in Betracht. Der Maßstab für derartige Einsparmöglichkeiten ergibt sich
im Hinblick auf die Begründung der getrennten Wohnsitze, als auch dessen
Aufrechterhaltung zuvörderst aus dem SGB II, unter Berücksichtigung
jedoch auch der einschlägigen familienrechtlichen Regelungen und der
Umstände des Einzelfalls. Zumindest wenn die Bildung getrennter
Wohnsitze der Arbeitsaufnahme im Ausland (im Heimatland) und dem
vollständigen Ausscheiden des Ehepartners sowie hier des damals
siebenjährigen Kindes aus dem Bezug von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II dient, steht es außer Zweifel, dass die
Begründung zweier Wohnsitze vor dem Hintergrund des Grundsatzes der
Verminderung des Hilfebedarfs iS des § 2 Abs 1 SGB II der
Unabweisbarkeit eines Bedarfs durch die Fahrtkosten zum Besuch des
Kindes nicht entgegensteht. Maßstab im Hinblick auf die
Aufrechterhaltung getrennter Wohnsitze ist ‑ unter Berücksichtigung des
§ 1353 Abs 1 S 2 BGB, der zur ehelichen Lebensgemeinschaft
verpflichtet ‑ ob einem Nachzug im Einzelfall, sowohl im In- als auch im
Ausland, gewichtige und im SGB II zu beachtende, rechtliche oder
tatsächliche Hindernisse entgegenstehen.
SG Gotha - S 40 AS 5005/11 -
Thüringer LSG - L 4 AS 1560/12 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 27/14 R -
3) Die Revision des
Klägers hatte keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf höhere
SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung eines (anteiligen) Mehrbedarfs
für Alleinerziehende. Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass eine
Alleinerziehung auch dann vorliegen kann, wenn sich geschiedene und
getrennt wohnende Eltern bei der Pflege und Erziehung des gemeinsamen
Kindes in größeren, mindestens eine Woche umfassenden Intervallen
gleichmäßig abwechseln (sog "Wechselmodell"; vgl Urteil vom 3.3.2009 - B
4 AS 50/07 R). Eine solche Gestaltung liegt hier aber nach den bindenden
Feststellungen des LSG nicht vor.
Eine Übertragung der Rechtsprechung des Senats auf andere
Betreuungskonstellationen, bei denen ‑ nach den tatsächlichen
Verhältnissen ‑ abweichende Anteile der Betreuungsleistungen der Eltern
praktiziert werden, scheidet aus. Mit dem Merkmal der Alleinerziehung
verbindet der Gesetzgeber schon nach dem Wortlaut der Regelung eine
besondere Familienkonstellation und knüpft dabei an die
Hauptverantwortung für ein Kind an. Mit Letzterem wird der Fokus des
Gesetzes jedoch nicht nur auf den "Alleinerziehenden" gerichtet. Es soll
auch die Situation des Kindes in der besonderen Familienkonstellation
der Alleinerziehung verbessert werden. Dessen Lebensbedingungen werden
vorwiegend durch die Situation des Elternteils geprägt, bei dem es
hauptsächlich lebt.
SG Schleswig - S 1 AS 821/06 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 3 AS 119/11 ZVW -
Bundessozialgericht - B 4 AS 26/14 R -
4) Die Revisionen der
Kläger waren nicht erfolgreich. Die Kläger haben im hier streitigen
Zeitraum keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung. Es
liegen im Hinblick auf die als Einkommen zu berücksichtigende
Einkommensteuererstattung weder die Voraussetzungen für die Absetzung
der Erwerbstätigenpauschale von 100 Euro gemäß § 11 Abs 2 S 2 SGB II aF
vor, noch ist ein Erwerbstätigenfreibetrag nach § 30 SGB II aF (seit
1.4.2011 § 11b Abs 3 SGB II) abzusetzen. Beide Freibeträge werden
bereits ihrem Wortlaut nach nur Hilfebedürftigen eingeräumt, die
erwerbstätig sind, was bei den Klägern im Monat Dezember 2008 nicht der
Fall war. Ihre Berücksichtigung hier widerspräche auch den
Gesetzesmotiven. So vermag eine Steuererstattung keine Anreize für die
Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu bieten. Ferner ist
es nicht Sinn und Zweck der Freibeträge, eine unspezifische "Belohnung"
für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu gewähren.
Eine Zurechnung der Steuererstattung als hälftiges Einkommen der
Klägerin ‑ mit der Folge der einkommensmindernden Absetzung einer
weiteren Versicherungspauschale iHv 30 Euro ‑ findet weder in den Regeln
zur Einkommensberücksichtigung nach dem SGB II, noch in den
steuerrechtlichen Zuordnungen eine Grundlage. Zusammen veranlagte
Eheleute sind in Bezug auf einen Steuererstattungsanspruch keine Gesamt-
und auch keine Mitgläubiger. Erstattungsberechtigt ist nach § 37 Abs 2
AO vielmehr derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden
ist. Dies gilt auch für den Fall, dass mehrere Personen Gesamtschuldner
der Steuer sind, wie es bei zusammen veranlagten Ehegatten der Fall ist.
Eine Fallkonstellation, die eine abweichende Zurechnung rechtfertigen
könnte, liegt hier nicht vor.
SG Dresden - S 36 AS 4847/09 -
Sächsisches LSG - L 3 AS 249/11 -
Bundessozialgericht - B 4 AS 29/14 R -