Siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 11.3.2009 - B 12 KR 21/07 R -, Urteil des 12. Senats vom 31.3.2015 - B 12 R 1/13 R -, Urteil des 12. Senats vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R -, Urteil des 12. Senats vom 31.3.2015 - B 12 KR 17/13 R -
Kassel, den 1. April 2015
Terminbericht Nr. 12/15
(zur Terminvorschau Nr. 12/15)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 31. März 2015.
1) Die Revision des Klägers hatte keinen
Erfolg. Der Kläger kann von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die
Erstattung der von ihm für die Zeit vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen
Arbeitnehmeranteile der nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichteten
Beiträge nicht verlangen, weil der Erstattungsanspruch mit Ablauf des
Jahres 2004 verjährt war. Diese Beiträge wurden ‑ wie sich aus dem
rechtskräftig gewordenen, die fehlende Sozialversicherungspflicht wegen
Beschäftigung feststellenden Urteil des SG Düsseldorf vom 30.7.2009
ergibt ‑ zu Unrecht entrichtet und sind daher an sich nach § 26 Abs 2
Halbs 1 iVm Abs 3 S 1 SGB IV zu erstatten. Die darauf bezogen geltend
gemachten Erstattungsansprüche sind jedoch nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV
verjährt. Der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge
verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Beiträge entrichtet worden sind. Das war hier für die bis einschließlich
November 2000 entrichteten Beiträge mit Ablauf des Jahres 2004 der Fall.
Entgegen der Ansicht des Klägers begann die Verjährungsfrist dagegen
nicht erst mit Aufhebung des die Versicherungspflicht feststellenden
Bescheides vom 5.12.2005 durch das SG zu laufen. Der Senat hält in
diesem Zusammenhang nicht mehr an seiner vom Kläger angeführten
Rechtsprechung im Urteil vom 13.9.2006 ‑ B 12 AL 1/05 R ‑ SozR 4-2400
§ 27 Nr 2 fest (vgl insoweit Bedenken äußernd schon BSG ‑ 10. Senat ‑
BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13). Danach sollte die
Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des
Erstattungsanspruchs beginnen können und der Anspruch auf Erstattung zu
Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entstehen,
solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das
Bestehen von Versicherungspflicht feststellte. Entscheidend für eine
davon abweichende Auslegung sind Wortlaut und Entstehungsgeschichte des
§ 27 Abs 2 S 1 SGB IV. Auch die Gesetzessystematik unterstreicht, dass
die Regelung nicht (unausgesprochen) doch auf die Entstehung des
Erstattungsanspruchs als Verjährungsbeginn abstellt, weil mit den
§§ 25 ff SGB IV bewusst ein sehr diffiziles und inhaltlich ganz
unterschiedliches System in Bezug auf den Anknüpfungszeitpunkt des
Verjährungsbeginns geschaffen wurde. Dies lässt sich auch aus Regelungen
des BGB herleiten, deren sinngemäße Geltung § 27 Abs 3 S 1 SGB IV für
die "Wirkung der Verjährung" anordnet. Gleichermaßen unterstreichen Sinn
und Zweck des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV (Schuldnerschutz; Herstellung von
Rechtsfrieden; Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Haushalte der
Sozialversicherungsträger) die Maßgeblichkeit dieser Auslegung, der
verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegenstehen. Die Annahme bereits
eingetretener Verjährung rechtfertigt sich zudem unter einem weiteren
‑ selbstständigen ‑ Gesichtspunkt: Der Bescheid der Beklagten vom
5.12.2005 konnte die im Zeitpunkt der jeweiligen Beitragsentrichtung
entstandenen Erstattungsansprüche im Jahr 2000 schon deshalb nicht
erstmals mit seiner späteren Aufhebung entstehen lassen, weil die
Erstattungsansprüche bereits zuvor entstanden waren. Der Bescheid führte
nicht zum Erlöschen der bereits entstandenen Erstattungsansprüche und
auch nicht zu einer "neuen Anspruchsentstehung" erst im Zeitpunkt der
späteren Aufhebung des Bescheides durch das SG-Urteil vom 30.7.2009,
weil diese auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses zurückwirkte.
Anhaltspunkte für Ermessenfehler der Beklagten bezüglich der
Verweigerung der Beitragserstattung wegen Verjährung bestehen nicht.
SG Düsseldorf - S 13 AL 577/10 -
LSG
Nordrhein-Westfalen - L 16 AL 178/13 -
Bundessozialgericht - B 12 AL 4/13 R -
2) Die Klägerin hat
in der mündlichen Verhandlung nach ausführlicher Erörterung der Sach-
und Rechtslage die Klage zurückgenommen.
SG Berlin - S 208 KR 920/09 -
LSG
Berlin-Brandenburg - L 1 KR 120/12 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 19/13 R -
3) Die Revision der
Beklagten blieb erfolglos. Die Vorinstanzen haben revisionsrechtlich
beanstandungsfrei entschieden, dass die Beklagte nicht die
Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. aufgrund (abhängiger)
Beschäftigung bei der Klägerin feststellen durfte. Nach der stRspr des
BSG setzt Beschäftigung im Wesentlichen voraus, dass der Betroffene von
einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist, dh in einen fremden Betrieb
eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der
Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt; eine
selbstständige Tätigkeit ist dagegen vornehmlich geprägt durch ein
eigenes Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im
Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Was im
Einzelfall vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtbild der
Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl zB
BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 21 RdNr 13 mwN). Dafür müssen alle nach Lage des
Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in
ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit
diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar und widerspruchsfrei
gegeneinander abgewogen werden (vgl BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 LS und
RdNr 25). All das hat das LSG im Kern im Ausgangspunkt berücksichtigt
und begründet, dass und warum die gegen eine Beschäftigung sprechenden
Umstände hier nicht überwiegen. Die zentralen ‑ für den Senat bindenden
(§ 163 SGG) ‑ Feststellungen des LSG zum Inhalt des Projektvertrages,
die von der Beklagten nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen
angegriffenen wurden, sowie die hiermit nicht in Widerspruch stehende
tatsächliche Umsetzung des Vertrages rechtfertigen in dem hier
(ausschließlich) zu beurteilenden Fall die Annahme des LSG, dass der
Beigeladene zu 1. nicht für die Klägerin als Beschäftigter tätig war. So
war der Beigeladene zu 1. in zeitlicher Hinsicht weitgehend frei,
berechtigt, die Leistungen durch Dritte erbringen zu lassen und hatte
bei seiner Verhinderung für eine Vertretung zu sorgen. Als Entlohnung
erhielt er eine Kombination aus Besuchspauschale und erfolgsabhängiger
Stückprämie, und durfte auch für weitere ähnliche Auftraggeber tätig
werden. Es ist nicht ersichtlich, dass das LSG bedeutsame, als Indizien
in Betracht kommenden Umstände unzureichend ermittelt oder in ihrer
Tragweite in die nötige Gesamtabwägung eingestellt hätte. Der
Beigeladene zu 1. hatte weitreichende Freiheiten beim "Ob und Wie" der
Erbringung der Tätigkeit mit eigenen gestalterischen Elementen, die über
diejenigen von Regalauffüllern hinausgingen. Dass der Beigeladene zu 1.
vertraglich berechtigt war, Dritte in die Auftragserledigung
einzubeziehen, durfte als Indiz für selbstständige Tätigkeit gewertet
werden, auch wenn davon tatsächlich kein Gebrauch gemacht worden war
(vgl BSG Urteil vom 11.3.2009 ‑ B 12 KR 21/07 R ‑ Juris RdNr 17; BAGE
98, 146, 150). Von der Beklagten erhobene Verfahrensrügen greifen nicht
durch. Auch mit ihrem Vorbringen fehlender Anhaltspunkte für ein
rechtlich relevantes Unternehmerrisiko des Beigeladenen zu 1., kann die
Beklagte nicht durchdringen. Die Feststellungen des LSG machen ein
Unternehmerrisiko nachvollziehbar, weil er im Zusammenhang mit der
Verwertung seiner Arbeitskraft bei der Durchführung des Projektvertrags
ein Verdienstausfallrisiko trug. Der Belastung mit dem Ausfallrisiko
standen hinsichtlich der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs des
Einsatzes der eigenen Arbeitskraft auch größere Freiheiten und
Erwerbschancen gegenüber. Schließlich führt auch nicht der Vortrag zum
Erfolg der Revision, die Ansicht des LSG habe zur Folge, dass nahezu
jede eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzende Tätigkeit, nicht
in (abhängiger) Beschäftigung ausgeübt werden könnte. Wie der Senat
wiederholt ausgeführt hat, ist Gegenstand eines Rechtsstreits zu
sozialversicherungsrechtlichen Statusfragen immer ausschließlich die
ganz konkrete Tätigkeit eines Erwerbstätigen in einem ganz bestimmten
vertraglichen und tatsächlichen Kontext, nicht aber etwa ein bestimmtes
Berufsbild allgemein.
SG Frankfurt am Main - S 9 KR 74/10 -
Hessisches LSG - L 8 KR 162/11 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 17/13 R -
4) Der Revision der
klagenden Freien und Hansestadt Hamburg war kein Erfolg beschieden. Die
beklagte DRV Bund kann von ihr weitere Sozialversicherungsbeiträge
beanspruchen, denn bei der Beitragsbemessung sind auch die Zahlungen zu
berücksichtigen, welche die Beigeladene zu 1. (eine Anwaltssozietät) den
ihr zur Ausbildung zugewiesenen (beigeladenen) Referendarinnen und
Referendaren gewährt hat. Die Klägerin war insoweit als alleinige
Arbeitgeberin der Referendare zur Zahlung aller Beiträge aus dieser
Beschäftigung verpflichtet. Die Referendarausbildung im Rahmen eines
öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses zur Klägerin ist eine
"Beschäftigung" iS von § 7 SGB IV (vgl bereits für Praktika in der
einstufigen Juristenausbildung sowie zur Referendarausbildung im
Beamtenverhältnis zB BSGE 66, 211, 213 f = SozR 3-2940 § 2 Nr 1 S 3 f;
BSGE 46, 241 = SozR 2200 § 1229 Nr 7). Dabei bleibt das ausbildende Land
auch dann alleiniger Arbeitgeber der Referendare, wenn die praktische
Ausbildung bei Stellen außerhalb von Gerichtsbarkeit und der Verwaltung
erfolgt. Der "Dienstherr" überlässt der auszubildenden Person bzw Stelle
dabei regelmäßig nur das Weisungsrecht in Bezug auf die von den
Referendaren im Einzelnen zu erfüllenden Aufgaben (vgl BSG SozR 3-2940
§ 2 Nr 2 S 14; BSGE 64, 130, 135 f = SozR 2200 § 1232 Nr 26 S 78; BSGE
66, 211, 213 f = SozR 3-2940 § 2 Nr 1 S 3 f). So verhielt es sich nach
den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und daher für den
Senat bindenden Feststellungen des LSG auch im vorliegenden Fall. Die
Klägerin war während der gesamten Ausbildung zur Zahlung einer
Unterhaltsbeihilfe verpflichtet, auch wenn Entgelt, das ein Referendar
im Rahmen der Ausbildung von dritter Seite oder für andere Tätigkeiten
erhielt, auf die Unterhaltsbeihilfe angerechnet wurde. Die Beigeladene
zu 1. war nicht neben der Klägerin weitere Arbeitgeberin der
zugewiesenen Referendare. Entgegen dem Revisionsvorbringen existierten
nach den Feststellungen des LSG keine mündliche Absprachen, wonach sich
die Referendare wegen der zusätzlichen Vergütung verpflichteten, über
die Ausbildung hinaus Leistungen zu erbringen. Die von der Beigeladenen
zu 1. gewährten Zahlungen wurden danach vielmehr freiwillig und ohne
Rechtsgrund erbracht und die Eingliederung in deren Betrieb ging nicht
über das Maß hinaus, welches die Referendarausbildung erforderte. Eine
Beschäftigung durch die Beigeladene zu 1., die abgrenzbar neben dem
"öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis" zur Klägerin bestand,
kann damit nicht angenommen werden (vgl hierzu zB BSGE 46, 241 = SozR
2200 § 1229 Nr 7; BSG SozR 2200 § 1229 Nr 8). Als alleinige
Arbeitgeberin war nur die Klägerin zur Zahlung der Beiträge auf das
Arbeitsentgelt der Referendare verpflichtet. Hierzu gehören auch die von
der Beigeladenen zu 1. gewährten Zahlungen. Denn Arbeitsentgelt sind
nach § 14 Abs 1 S 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus
einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die
Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie
geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im
Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Dies können ‑ ähnlich wie bei
Trinkgeldern ‑ auch Zahlungen Dritter sein (vgl bereits BSG SozR 2100
§ 14 Nr 19 S 18 f unter Hinweis auf § 160 Abs 1 RVO sowie die
Gesetzesmaterialien in BT-Drucks 7/4122, S 32) oder auch dem Betroffenen
zufließende freiwillige und "überobligatorische" Zahlungen (BSGE 93, 119
= SozR 4-2400 § 22 Nr 2, RdNr 19; BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 64). Auf
die Frage, ob eine "einheitliche Beschäftigung" vorliegt (dazu zuletzt
BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 16 f mwN), kommt es bei alledem nicht
an; hierfür fehlt es schon an einer neben der eigentlichen Beschäftigung
ausgeübten und von dieser abgrenzbaren Tätigkeit.
SG Hamburg - S 10 R 326/07 -
LSG
Hamburg - L 2 R 16/10 -
Bundessozialgericht - B 12 R 1/13 R -