Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 2.4.2014 - B 3 KS 4/13 R -, Urteil des 5. Senats vom 23.4.2015 - B 5 RE 19/14 R -, Urteil des 5. Senats vom 23.4.2015 - B 5 RE 23/14 R -, Urteil des 5. Senats vom 23.4.2015 - B 5 RE 21/14 R -
Kassel, den 24. April 2015
Terminbericht Nr. 16/15
(zur Terminvorschau Nr. 16/15)
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über das Ergebnis der am 23. April 2015 mündlich verhandelten Fälle.
1) Der Termin wurde aufgehoben. Die Parteien
haben sich außergerichtlich verglichen.
SG Berlin - S 6 RA 5951/00 W06 -
LSG
Berlin-Brandenburg - L 6 R 926/08 -
Bundessozialgericht - B 5 R 16/14 R -
2) Die Revision
der Beklagten war nur teilweise erfolgreich. Das SG hat, ohne dass der
zuletzt noch streitige Zeitraum hiervon betroffen war, auch die
Bescheide vom 28.7.2009, 26.2.2010 und 3.8.2012, sämtlich in der Fassung
des Teil-Anerkenntnisses vom 30.4.2013, aufgehoben. Ungeachtet des
Umstands, dass der Antrag des Klägers vordergründig auch diese Bescheide
benannt hat, hat das SG damit das maßgebliche Begehren des Klägers
(§ 123 SGG) verkannt. Ebenfalls ohne dass der Kläger insofern um
Rechtsschutz nachgesucht hätte, hat das SG zudem auch die fehlende
Rentenversicherungspflicht des Klägers festgestellt. Beides hat das LSG
zu Unrecht bestätigt.
Im Übrigen erweist sich das Urteil des Berufungsgerichts als zutreffend.
Der Kläger hat sich mit der "Beratung von Patienten" nicht als Lehrer iS
von § 2 Nr 1 SGB VI betätigt. Insofern kommt daher weder die
Feststellung von Versicherungspflicht in Betracht, noch ist die Beklagte
zur Beitragserhebung berechtigt.
Das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung unterwirft
Erwerbstätigkeiten nur teilweise der Versicherungspflicht. Während dies
in den Fällen der abhängigen Beschäftigung gegen Entgelt wie auch in den
anderen Zweigen der Sozialversicherung grundsätzlich der Fall ist,
beschränkt sich bei Selbstständigen der zwangsweise Eingriff in deren
Vorsorgefreiheit (Art 2 Abs 1 GG) auf wenige, im Gesetz abschließend
aufgeführte, Gruppen. Schon deshalb bedarf es ungeachtet der
Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zur bestimmungsgemäßen Anwendung
der öffentlich-rechtlichen Eingriffsnormen in § 2 SGB VI jeweils deren
Abgrenzung von nicht mit der Rechtsfolge Versicherungspflicht
verbundenen Tatbeständen und in jedem Einzelfall einer konkreten
Feststellung eines nach der selektiven Vorgehensweise des Gesetzes
Versicherungspflicht begründenden Sachverhalts. Insofern kann die
Beklagte von vorne herein nicht mit dem Einwand gehört werden, bei ihr
handele es sich um eine "Massenverwaltung" mit der Folge, dass die
Tätigkeit als Lehrer jede Vermittlung von Kenntnissen und Kompetenzen
umfasse.
Hinsichtlich der Versicherungspflicht von Lehrern in der gesetzlichen
Rentenversicherung ist durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung
geklärt, dass deren Tätigkeit grundsätzlich jede Anleitung zu einem
gemeinsamen Tun umfasst. Die erstrebte "Gemeinsamkeit" entsteht dabei
aus der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen des Lehrenden an einen
Lernenden unabhängig von einem konkreten Anwendungsbezug. Demgegenüber
basiert zwar auch der Vorgang der Beratung auf einer vorhandenen
Wissens- und Kompetenzdifferenz, doch liegt hier der Schwerpunkt des
entsprechenden Tuns auf der Eröffnung konkreter Handlungsmöglichkeiten
zu einem bestimmten Anwendungszweck. Ein derartiger Beratungsbegriff
liegt etwa auch § 2 Abs 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes zugrunde. Wo
sich beide Bereiche überlagern, müssen sie nach ihrem sachlichen
Schwerpunkt getrennt werden. Im Blick hierauf haben das SG und das LSG
die vom Kläger durchgeführte "Einzelberatung von Patienten" zutreffend
nicht als Lehrtätigkeit beurteilt. Nach den für den Senat verbindlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts steht hier nicht der Ausgleich von
Wissens- und Kompetenzdifferenzen für sich im Vordergrund, sondern die
Vorbereitung individueller Entscheidungen und Verhaltensänderungen. Dies
gilt ungeachtet des Umstandes, dass zu diesem anwendungsbezogenen Zweck
auch abstraktes Wissen vermittelt wird und sich der Kläger pädagogischer
Methoden wie des sokratischen Gesprächs bedient. Ebenso ist unerheblich,
ob das jeweils zu lösende Problem Krankheitswert besitzt.
SG Frankfurt am Main - S 24 KR 27/10 -
Hessisches LSG - L 8 KR 154/13 -
Bundessozialgericht - B 5 RE 23/14 R -
3) Die
Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt. Über das Ergebnis des Verfahrens wird nach
Zustellung der Entscheidung an die Beteiligten berichtet.
SG Potsdam - S 48 R 26/10 -
LSG
Berlin-Brandenburg - L 22 R 1149/11 -
Bundessozialgericht - B 5 RE 19/14 R -
4) Die Revision
der Beklagten war überwiegend im Sinne der Aufhebung und
Zurückverweisung, ansonsten endgültig erfolgreich.
Das Begehren des Klägers war von Anfang an auf die Frage der
Versicherungspflicht und damit auf die Aufhebung des diese Rechtsfolge
verlautbarenden Verwaltungsakts bzw der hierauf beruhenden Regelungen
zur Beitragspflicht begrenzt. Entgegen der scheinbar weiteren Fassung
seiner Anträge vor dem SG und im Berufungsverfahren war daher auf seine
Klage weder über die Ablehnung der Befreiung im Bescheid vom 12.5.2011
noch über die ‑ ihn allein begünstigende ‑ Feststellung fehlender
Versicherungspflicht im Kalenderjahr 2008 im Bescheid vom 17.5.2011,
jeweils bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 18.10.2011, zu
entscheiden. Durch die dennoch erfolgte Aufhebung der genannten
Bescheide auch insofern hat das SG gegen das Verbot des "ultra petita"
verstoßen. Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung insofern zu
Unrecht bestätigt.
Im
Übrigen war das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. Der
Senat vermag auf der Grundlage der derzeit getroffenen Feststellungen
noch keine abschließende Entscheidung zu treffen.
Die Voraussetzungen des § 2 S 1 Nr 9 Buchstabe a SGB VI liegen vor. Der
selbstständig tätige Kläger beschäftigt keine versicherungspflichtigen
Arbeitnehmer. Auch sind die Voraussetzungen von § 2 S 1 Nr 9 Buchstabe b
SGB VI insofern erfüllt, als die Firma L Auftraggeber im Sinn der Norm
ist. Durch die Rechtsprechung des 12. Senats des BSG ist bereits
geklärt, dass Auftraggeber in diesem Sinn jede natürliche oder
juristische Person oder Personenmehrheit ist, die im Wege eines Auftrags
oder in sonstiger Weise eine andere Person mit einer Tätigkeit betraut,
sie ihr vermittelt oder ihr Vermarktung oder Verkauf von Produkten nach
einem bestimmten Organisations- oder Marketingkonzept überlässt. Dabei
kann dahinstehen, ob es sich zwischen der Firma L und ihren "Partnern"
um vertragliche oder sonstige, insbesondere tatsächliche Beziehungen
handelt. Der Schutzzweck des § 2 S 1 Nr 9 SGB VI gebietet es jedenfalls
bei einer Geschäftsbeziehung wie der vorliegenden, in der der das
Handeln Veranlassende das Marketingsystem und die Produkte vorgibt sowie
die Voraussetzungen für die Auszahlung einer Provision und deren Höhe
festlegt, Personen wie den Kläger in den Versicherungspflichttatbestand
einzubeziehen. Dem steht die bisherige Rechtsprechung des BSG nicht
entgegen. Jedenfalls bei Anwendbarkeit deutschen Rechts hätte der Senat
im Übrigen auch keine Bedenken, zwischen dem Kläger und der Firma L eine
vertragliche Beziehung anzunehmen.
Den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich nicht
entnehmen, ob der Kläger im Wesentlichen nur für die Firma L tätig
gewesen ist. Ggf wäre dann zu prüfen, ob die Versicherungspflicht
dennoch aufgrund besonderer Tatbestände ausgeschlossen ist. Das LSG wird
schließlich zu beachten haben, dass hinsichtlich der Verhängung von
Säumniszuschlägen im Bescheid vom 10.1.2012 § 96 SGG keine Anwendung
findet und ggf zunächst noch ein Widerspruchsverfahren durch die
Beklagte durchzuführen ist.
SG Koblenz - S 5 R 1497/11 -
LSG
Rheinland-Pfalz - L 6 R 64/14 -
Bundessozialgericht - B 5 RE 21/14 R -
5) Der Termin
wurde aufgehoben. Die Beklagte hat ihre Revision nach Auswertung der
Terminvorschau zurückgenommen.
SG Kiel - S 1 R 170/08 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 7 R 3/11 -
Bundessozialgericht - B 5 RE 16/14 R -
Kassel, den 18. August 2015
Nachtrag
zum Terminbericht Nr.
16/15
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts berichtet nach
Zustellung der Entscheidung an die Beteiligten über das Ergebnis der am
23. April 2015 ohne mündliche Verhandlung entschiedenen Streitsache
(Nr. 3 der Terminvorschau Nr. 16/15).
Die Revision der
Beklagten war erfolglos. Das LSG hat den Bescheid vom 29.6.2009 und den
Widerspruchsbescheid vom 14.12.2009 zu Recht aufgehoben, soweit sie den
Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2007 betreffen. Dies erweist sich
jedenfalls im Ergebnis als zutreffend.
Entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts steht den angegriffenen beitragsrechtlichen
Regelungen allerdings bereits durchgreifend entgegen, dass die Klägerin
nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
unterliegt. Die Beklagte hat mit dem Verwaltungsakt vom 14.7.2005 selbst
festgestellt, dass die Klägerin "ab dem 17.5.2005 versicherungsfrei"
ist. Dies gilt unverändert fort und bestimmt gemäß § 77 SGG weiterhin
verbindlich die Rechtsbeziehung der Beteiligten (vgl zu den Grundlagen
einer verbindlichen Regelung durch Verwaltungsakt im Bereich des
Deckungsverhältnisses der Sozialversicherung bereits Urteil des
3. Senats vom 29.9.1961 ‑ 3 RK 74/59, BSGE 15, 118 = SozR Nr 2 zu § 1399
RVO). Die damalige Feststellung hat sich weder erledigt, noch ist sie
ausdrücklich oder sinngemäß aufgehoben worden. Insbesondere kann den
Regelungen zur "Änderung der Beitragszahlung" im Bescheid vom 29.6.2009
schon wegen ihres andersartigen Gegenstandes nicht schlüssig zugleich
ein actus contrarius zur Feststellung der Versicherungsfreiheit
entnommen werden.
Soweit der 3. Senat des BSG mit Urteil vom
2.4.2014 (B 3 KS 4/13 R, SozR 4-5425 § 3 Nr 3) entschieden hat, dass ein
Verwaltungsakt über die Versicherungsfreiheit in der
Künstlersozialversicherung keine Dauerwirkung habe, sondern nur die
Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Erlasses betreffe, beschränkt sich
diese Aussage auf diesen Versicherungszweig. Der erkennende Senat folgt
ihr für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nicht.
SG Potsdam
- S 48 R 26/10 -
LSG Berlin-Brandenburg
- L 22 R 1149/11 -
Bundessozialgericht
- B 5 RE 19/14 R -