Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 6. Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 3/16 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 29/15 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 4/16 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 38/15 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 17/15 R -
Kassel, den 1. Dezember 2016
Terminbericht Nr. 45/16
(zur Terminvorschau Nr. 45/16)
Der 6. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 30. November 2016.
1) Auf die Revision der klagenden
Kassenärztlichen Vereinigung hat der Senat das Urteil des LSG aufgehoben
und die Berufung des beklagten Beschwerdeausschusses gegen das
erstinstanzliche Urteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der
Beklagte bei seiner erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des
erkennenden Senats zu beachten hat.
Das SG hat im Ergebnis
zutreffend entschieden, dass der angefochtene Bescheid an einem
Begründungsmangel leidet. Die Prüfgremien sind im Rahmen einer auf
einzelne Gebührenordnungspositionen (GOP) bezogenen statistischen
Vergleichsprüfung zwar grundsätzlich berechtigt, die Grenze zum
offensichtlichen Missverhältnis je nach GOP unterschiedlich
festzusetzen. Sie sind auch nicht gehindert, die Grenze zum
offensichtlichen Missverhältnis nicht – wie vom Senat "typisierend"
angenommen – beim Doppelten des Vergleichsgruppendurchschnitts
anzusetzen, sondern ggf deutlich zu unterschreiten. Dies kommt
insbesondere dann in Betracht, wenn es sich bei der geprüften GOP um
eine typische Grundleistung handelt.
Ungeachtet dessen muss die
zutreffende Anwendung der einschlägigen Beurteilungsmaßstäbe jedoch
erkennbar und nachvollziehbar sein. Daher muss der Bescheid die
Erwägungen erkennen lassen, die den Beschwerdeausschuss bei seiner
Entscheidung, den Grenzwert niedriger anzusetzen, geleitet haben. Dem
wird die Bescheidbegründung nicht gerecht.
Soweit die Klägerin
der Auffassung ist, dass eine Prüfung nach Durchschnittswerten mangels
hinreichender Vergleichbarkeit bei den GOPen entfällt, die neben einem
obligatorischen einen fakultativen Leistungsinhalt aufweisen, ist ihr
der Senat nicht gefolgt. Allein der Umstand, dass der geprüfte Arzt die
GOP signifikant häufiger als seine Fachgruppe erbracht hat, ohne dass
dies durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt ist, begründet die
Annahme der Unwirtschaftlichkeit.
SG Mainz
- S 8 KA 208/11 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 7 KA 25/13 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 29/15 R -
2) Die Revision
des zu 8. beigeladenen Krankenhausarztes hat keinen Erfolg; auf die
Anschlussrevision der klagenden BAG hat der Senat die Urteile der
Vorinstanzen geändert und festgestellt, dass nicht nur die dem
Beigeladenen zu 8. erteilte (inzwischen abgelaufene) Ermächtigung zur
ambulanten Behandlung von Patienten mit Bauchfelldialyse (CAPD) auf
Überweisung von niedergelassenen Vertragsärzten (Punkt A der
Ermächtigung), sondern auch die Ermächtigung zur Mitbehandlung von
maximal 30 Dialysepatienten auf Überweisung durch Nephrologen (Punkt C
der Ermächtigung) rechtswidrig war. Das beruht allerdings - wie der
Senat im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung des BVerfG klarstellt -
nicht darauf, dass § 31 Abs 2 Ärzte-ZV als Rechtsgrundlage für die hier
zu beurteilenden Ermächtigungen nach § 11 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä
unwirksam wäre. Die Norm im Rang einer Rechtsverordnung findet ihre
gesetzliche Grundlage in § 98 Abs 2 Nr 11 SGB V.
Der
Anfechtungsbefugnis des Klägers steht nicht entgegen, dass sich die
Beklagte für die Ermächtigung auf § 11 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä gestützt
hat. Zwar setzt eine Anfechtungsberechtigung Dritter grundsätzlich die
Bedarfsabhängigkeit der erteilten Ermächtigung voraus und nach § 11 Abs
3 Anlage 9.1 BMV-Ä können Krankenhausärzte als Leiter einer
nephrologischen Schwerpunktabteilung unabhängig vom Bedarf zur
Mitbehandlung in begrenztem Umfang ermächtigt werden. Ausschlaggebend
ist indes, dass dem zu 8. beigeladenen Arzt mit den Punkten A und C
keine Ermächtigung zur bloßen Mitbehandlung iSd § 11 Abs 3 Anlage 9.1
BMV-Ä erteilt worden ist. Vielmehr betraf Punkt A die umfassende
ambulante Dialyse-Behandlung einer nicht begrenzten Zahl von
CAPD-Patienten und Punkt C eine Ermächtigung, die jedenfalls nicht mit
der erforderlichen Klarheit auf die bloße Mitbehandlung von
Dialysepatienten begrenzt war, sondern als Behandlung im Umfang eines
vollen Versorgungsauftrags verstanden werden kann. Die Ermächtigung
hätte dem beigeladenen Krankenhausarzt deshalb nur bei Vorliegen eines
entsprechenden Bedarfs erteilt werden dürfen. Der Bedarf ist von der
Beklagten jedoch nicht geprüft worden.
SG für das Saarland
- S 2 KA 128/10 -
LSG für das Saarland
- L 3 KA 10/11 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 3/16 R -
3) Die Revision
des klagenden Vertragsarztes ist ohne Erfolg geblieben. Die Entscheidung
der Beklagten, dem Kläger einen disziplinarischen Verweis zu erteilen,
ist rechtmäßig. Dieser hat seine vertragsärztlichen Pflichten dadurch
schuldhaft verletzt, dass er im Herbst 2012 wiederholt seine Praxis
während der Sprechstundenzeiten schloss, um an einem vertragsärztlichen
"Warnstreik" teilzunehmen. Der Vertragsarzt ist nach § 24 Abs 2 der
Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) verpflichtet, am
Vertragsarztsitz seine Sprechstunde zu halten, also während der
angegebenen Sprechstunden für die vertragsärztliche Versorgung seiner
Patienten zur Verfügung zu stehen (sogenannte "Präsenzpflicht"). Von
dieser Verpflichtung ist der Vertragsarzt nur in den Fällen entbunden,
in denen die Ärzte-ZV eine Vertretung vorsieht. Zu den dort (in § 32
Ärzte-ZV) geregelten Fallgruppen – insbesondere Krankheit, Urlaub,
Fortbildung - gehört die Teilnahme an einem "Warnstreik" jedoch nicht.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, ihm stehe ein
verfassungsrechtlich oder menschenrechtlich geschütztes "Streikrecht"
zu. Der Senat hat offen gelassen, ob sich Angehörige freier Berufe, zu
denen auch die Vertragsärzte gehören, auf die sich aus Art 9 Abs 3
Grundgesetz ("Koalitionsfreiheit") sowie aus Art 11 Abs 1 der
Europäischen Menschenrechtskonvention ergebenden Rechte berufen können
oder ob ein "Streikrecht" dem Grunde nach aus der Berufsfreiheit (Art 12
Abs 1 GG) hergeleitet werden kann. Unabhängig davon ist ein Recht der
Vertragsärzte, Forderungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen im
Wege von "Arbeitskampfmaßnahmen" durchzusetzen, in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise durch die Bestimmungen des
Vertragsarztrechts beschränkt worden.
Dessen Konzeption
schließt es gerade aus, dass die für die vertragsärztliche Versorgung
maßgebenden Bedingungen – insbesondere die Honorierung der Leistungen -
zwischen den daran teilnehmenden Ärzte und den gesetzlichen
Krankenkassen ausgehandelt und gegebenenfalls durch "Kampfmaßnahmen"
durchgesetzt werden. Der Gesetzgeber hat durch die Ausgestaltung des
Vertragsarztrechts die partiell gegenläufigen Interessen von Patienten
und Leistungserbringern zum Ausgleich gebracht, um auf diese Weise eine
verlässliche Versorgung der Versicherten zu angemessenen Bedingungen
sicher zu stellen. Wesentliche Strukturelemente des Vertragsarztrechts
sind ein Kollektivvertragssystem sowie die Übertragung des
Sicherstellungsauftrags auf die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen).
Im Rahmen des Kollektivvertragssystems stehen sich die gesetzlichen
Krankenkassen und die KÄVen als Interessenvertreter der Ärzte gegenüber.
Historisch betrachtet dient die Ablösung von Individualverträgen
zwischen Arzt und Krankenkasse durch Kollektivverträge dem Schutz der
Vertragsärzte. Innerhalb der gesetzlichen Vorgaben gewährt der
Gesetzgeber den Kollektivvertragspartnern ein hohes Maß an Autonomie,
indem er der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen
das Recht einräumt, die Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung
durch sogenannte "Normsetzungsverträge" weitgehend selbst zu regeln.
Zugleich gibt er ihnen allerdings auch durch das Gebot zum
Zusammenwirken (§ 72 Abs 1 Satz 1 SGB V) auf, beim Abschluss der
erforderlichen Vereinbarungen zu einem Interessensausgleich zu finden.
Können sich Krankenkassen und KÄVen auf regionaler Ebene - bzw ihre
Spitzenorganisationen auf Bundesebene – nicht über den Inhalt eines
Vertrages einigen, wird ein solcher Konflikt nicht durch Mittel des
Arbeitskampfes wie "Streik" oder "Aussperrung" ausgetragen, sondern
durch verbindliche Entscheidungen von Schiedsämtern gelöst, deren
Rechtmäßigkeit zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden kann.
Durch die Übertragung des Sicherstellungsauftrags auf die KÄVen haben
diese die vertragsärztliche Versorgung in dem gesetzlich vorgegebenen
Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden
gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die Versorgung den
gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. In diesen
Sicherstellungsauftrag ist der einzelne Vertragsarzt aufgrund seiner
Zulassung und als Mitglied der körperschaftlich verfassten KÄV
eingebunden. Andererseits erwächst aus dem Sicherstellungsauftrag auch
die Verantwortung der KÄVen und ihrer Mitglieder für die
Funktionsfähigkeit des Systems des Vertragsarztrechts und der
gesetzlichen Krankenversicherung.
SG Stuttgart
- S 4 KA 3147/13 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 38/15 R -
4) Die Revision
der Klägerin war erfolglos. Die angefochtenen Honorarbescheide sind
rechtmäßig.
Aufgrund des Beschlusses des Bewertungsausschusses
vom 20.4.2009 war die Beklagte grundsätzlich berechtigt,
Steuerungsmaßnahmen hinsichtlich der Leistungen, die außerhalb von
Regelleistungsvolumina (RLV), aber innerhalb der morbiditätsbedingten
Gesamtvergütung vergütet wurden (Vorwegleistungen) zu ergreifen. Dazu
durfte für diese Leistungen ein Honorarkontingent gebildet und eine
Quotierung eingeführt werden. Die Bildung gesonderter Kontingente,
insbesondere für überweisungsgebundene Leistungen, war nicht zwingend
erforderlich. Voraussetzung für die Quotierung war auch nicht, dass eine
Mengenausweitung bei den Vorwegleistungen konkret nachgewiesen wurde.
Verlagerungen zwischen dem hausärztlichen und fachärztlichen Bereich
in Folge der Laborreform 2008 hat die Beklagte zum Quartal I/2010
berücksichtigt, indem sie die allgemeinen Laborleistungen unquotiert
vergütet hat. Für die beiden Vorquartale war die Honorarverteilung
insofern unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- und Erprobungsregelung
gerechtfertigt.
SG Marburg
- S 12 KA 780/10 -
Hessisches LSG
- L 4 KA 27/12 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 4/16 R -
5) Die Revision der Klägerin war
erfolglos. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung der
Honorarabrechnung der Klägerin ist nicht zu beanstanden.
Das
sog Splittingverbot findet auch in der Konstellation Anwendung, in der
ein MKG-Chirurg in einer BAG mit Zahnärzten tätig wird, die nicht auch
zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind. Für das Eingreifen
des Splittingverbots spielt es keine Rolle, dass die vertragsärztlichen
Leistungen des MKG-Chirurgen von ihm in seiner Einzelpraxis und die
vertragszahnärztlichen Leistungen von den Mitgliedern der BAG erbracht
und abgerechnet werden. Da die BAG nach außen als Rechtseinheit
auftritt, sind die Leistungen grundsätzlich allen Mitgliedern
zuzurechnen. Anderenfalls könnte durch die Wahl der Organisationsform
das Splittingverbot umgangen werden. Das Verbot, Leistungen in einem
einheitlichen Behandlungsfall teilweise gegenüber der KÄV und teilweise
gegenüber der KZÄV abzurechnen, verstößt nicht gegen das Grundrecht auf
Berufsausübungsfreiheit. Es dient der Sicherstellung einer effizienten
Wirtschaftlichkeitskontrolle der besonderen Arztgruppe der
MKG-Chirurgen, die als einzige Arztgruppe bei einem einheitlichen
Versorgungsauftrag sowohl über eine ärztliche als auch eine
zahnärztliche Zulassung verfügen. Die Berufsausübung dieser Gruppe
wird durch das Splittingverbot nicht in unverhältnismäßiger Weise
beeinträchtigt.
SG Marburg
- S 12 KA 612/13 -
Hessisches LSG
- L 4 KA 42/14 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 17/15 R -
6) Der Senat hat
die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er das Splittingverbot zwar
grundsätzlich nicht beanstandet, es aber nicht als gerechtfertigt
ansieht, die Kürzung unabhängig vom wirtschaftlichen Schwerpunkt danach
vorzunehmen, ob der MKG-Chirurg zeitlich zuerst vertragsärztliche oder
vertragszahnärztliche Leistungen abgerechnet hat. Daraufhin hat sich die
Beklagte zu einer erneuten Überprüfung verpflichtet, ob jeweils die
Leistungen richtiggestellt wurden, bei denen der wirtschaftliche
Schwerpunkt des Behandlungsfalles im vertragsärztlichen Bereich lag. Auf
dieser Grundlage haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für
erledigt erklärt.
SG Hannover
- S 35 KA 4/09 -
LSG Niedersachsen-Bremen
- L 3 KA 123/11 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 30/15 R -