Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 8. Senats vom 24.2.2016 - B 8 SO 18/14 R -, Urteil des 8. Senats vom 24.2.2016 - B 8 SO 11/14 R -, Urteil des 8. Senats vom 24.2.2016 - B 8 SO 13/14 R -
Kassel, den 25. Februar 2016
Terminbericht Nr. 5/16
(zur Terminvorschau Nr. 5/16)
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 24. Februar 2016 aus dem Gebiet des Sozialhilferechts.
1) Die Revision des Klägers hatte keinen
Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG einen weiter gehenden Anspruch
des Klägers auf Altenhilfe nach § 71 SGB XII verneint.
Der Kläger ist – wovon auch das LSG ausgegangen ist - ein "alter Mensch"
iS des § 71 Abs 1 Satz 1 SGB XII; denn hierunter fallen jedenfalls
Personen, die die Altersgrenze für den Bezug von Leistungen der
Grundsicherung im Alter erreicht haben. Der Tatbestand der Altenhilfe
setzt darüber hinaus das Bestehen von Bedarfen wegen "altersbedingter
Schwierigkeiten" voraus, was sich aus der gesamten Systematik des SGB
XII, aber auch aus den in § 71 Abs 1 Satz 2 SGB XII genannten Zwecken
der Altenhilfe ergibt. Anders als das LSG meint, können aber auch
Bedarfslagen erfasst sein, die bereits normativ von den Leistungen für
den Lebensunterhalt abgedeckt werden. Es kann sich deshalb durchaus um
Bedarfe handeln, die auch bei jüngeren Menschen bereits bestehen, die
aber erst unter dem Gesichtspunkt altersbedingter Auswirkungen -
insbesondere der drohenden Vereinsamung und Isolation bzw
der zunehmenden körperlichen oder geistigen Schwäche - durch Leistungen
der Altenhilfe ergänzt werden sollen. Ob die geltend gemachten Bedarfe
"altersbedingt" entstehen, kann allerdings nur aufgrund einer wertenden
Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt und festgestellt
werden. Dabei ist der unbestimmte Rechtsbegriff der "altersbedingten
Schwierigkeiten" Anspruchsvoraussetzung; die Frage nach Art und Umfang
der "altersbedingten Schwierigkeiten" leitet aber auch das der
Verwaltung eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung, welche (geeigneten
und ausreichenden) Leistungen zur Deckung der Bedarfslage erbracht
werden.
Ob und in
welchen Fällen danach die Übernahme von Kosten für Grabbesuche bei alten
Menschen als Leistungen der Altenhilfe in Betracht kommen, konnte offen
bleiben; insoweit liegt jedenfalls beim Kläger keine spezifische
altersbedingte Bedarfslage vor. Seine Entscheidung, sich vermehrt um
die Grabstelle seiner Eltern zu kümmern, weist keine Bezüge zu
"altersbedingten Schwierigkeiten" auf. Nichts anderes gilt angesichts
der vom Kläger geschilderten und bestehenden Lebensumstände für die
übrigen geltend gemachten Bedarfe. Insbesondere durch das eheliche
Zusammenleben ist er sozial eingebunden. Gleichwohl bestehende
altersspezifische Probleme sind nicht vorgetragen und bedürfen deshalb
auch keiner weiteren Prüfung. Liegen altersspezifische Bedarfe nach den
objektiven Umständen nicht vor, ist es nämlich Sache des
Leistungsempfängers, Näheres vorzutragen, was über den bloßen Wunsch auf
vermehrte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben im Alter hinausgeht.
SG Wiesbaden
- S 14 SO 77/08 -
Hessisches LSG
- L 9 SO 52/10 -
Bundessozialgericht
- B 8 SO 11/14 R -
2) Die Revision der
Klägerin hatte im Sinne der Aufhebung des Urteils und der
Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg. Es fehlen schon
ausreichende Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen für
Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung dem Grunde
nach - insbesondere zu Einkommen und Vermögen der Klägerin -, um
abschließend beurteilen zu können, ob ihr höhere Leistungen zustehen.
Für die Zeit bis zum
31.12.2010 hat die Beklagte der volljährigen Klägerin, die im Haushalt
ihrer Mutter lebt, zu Unrecht einen Regelsatz nur in Höhe von 80 vH des
Eckregelsatzes zugestanden; für die Zeit ab dem 1.1.2011 wird das LSG
auf Grundlage der Rechtsprechung des Senats zur verfassungskonformen
Auslegung des § 27a Abs 3 SGB XII iVm der Anlage zu § 28 SGB XII erneut
zu entscheiden haben. Der Regelsatz ist dagegen nicht wegen eines
behinderungsbedingt erhöhten Kleidungs- und Wäscheverschleißes zu
erhöhen, weil die Bedarfe, die durch die Art und Weise der Fortbewegung
entstehen, auch bei geistigen oder seelischen Einschränkungen, die sich
spezifisch auf das Gehvermögen auswirken, pauschal mit dem Mehrbedarf
nach § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII abgedeckt sind. Weiter gehende
Ermittlungspflichten des LSG zu einem individuell höheren Mehrbedarf
hätten eine nähere Spezifizierung ihrer finanziellen Aufwendungen
verlangt. Wegen der Stromkosten käme andererseits eine Absenkung des
Regelsatzes auf Grundlage von § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII in Betracht,
dies aber nur, wenn sie als Teil der mietvertraglich geschuldeten Kosten
von den Leistungen für Unterkunft und Heizung bereits mitumfasst sind
und insoweit also durch eine anderweitige Leistung der Beklagten
tatsächlich ("im Einzelfall") gedeckt werden. Welche Vereinbarungen der
Mietvertragsparteien hier vorliegen, hat das LSG indes nicht
rechtsfehlerfrei geprüft. Nur wenn nach den Vorstellungen der
Mietvertragsparteien auch die Kosten des Haushaltsstroms von dem im
Vertrag genutzten Begriff der "Betriebskosten" erfasst sein sollten,
handelt es sich um eine "Inklusivmiete" und eine abweichende Bemessung
des Regelsatzes kommt - ggf auf Grundlage einer Schätzung - in Betracht.
SG Freiburg
- S 9 SO 534/13 -
LSG
Baden-Württemberg
- L 2 SO 21/14 -
Bundessozialgericht
- B 8 SO 13/14 R -
3) Auch hier
wurde die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG
zurückverwiesen, weil ein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensfehler
vorliegt. Es hätte die Bundesagentur für Arbeit (BA) nach § 75 Abs 2 1.
Alt SGG beigeladen werden müssen (echte notwendige Beiladung).
In prozessualer Hinsicht hat der Kläger im Revisionsverfahren sein
Begehren zulässigerweise auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der
ablehnenden Entscheidung im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage (§
131 Abs 1 Satz 3 SGG) beschränkt. Der ablehnende Bescheid des Beklagten
hatte sich nämlich dadurch erledigt, dass der Kläger, nachdem er
zunächst erfolglos die Übernahme der Kosten für einen
Behindertenfahrdienst beantragt hatte, die Fahrten mit einem nach der
Ablehnungsentscheidung angeschafften Pkw durchgeführt hat; die für die
Nutzung des Pkw angefallenen Kosten sind aber nicht Streitgegenstand des
vorliegenden Verfahrens.
Eine abschließende Entscheidung war dem Senat nicht möglich, weil unter
Berücksichtigung des § 14 SGB IX, dessen Anwendungsbereich im
vorliegenden Verfahren eröffnet ist, eine Beteiligung der BA als
Rehabilitationsträger für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben als
besonderer Rehabilitationsleistung, abhängig von der Bedürftigkeit des
Klägers, entweder nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch -
Arbeitsförderung - (SGB III) oder nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch
- Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Betracht kommt, wenn auf
andere Weise keine Teilhabe am Arbeitsleben zu erreichen wäre.
SG Magdeburg
- S 16 SO 56/09 -
LSG
Sachsen-Anhalt
- L 8 SO 30/12 -
Bundessozialgericht
- B 8 SO 18/14 R -