Siehe auch: Urteil des 11. Senats vom 4.4.2017 - B 11 AL 19/16 R -, Urteil des 4. Senats vom 4.4.2017 - B 4 AS 6/16 R -, Urteil des 4. Senats vom 4.4.2017 - B 4 AS 2/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 4.4.2017 - B 11 AL 5/16 R -
Kassel, den 4. April 2017
Terminbericht Nr. 13/17
(zur Terminvorschau Nr. 13/17)
Der 4./11. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 4. April 2017.
1) Die Revision des Klägers wurde
zurückgewiesen. Gegenüber den bei Erlass des Bewilligungsbescheids
gegebenen rechtlichen Verhältnissen ist eine wesentliche Änderung
eingetreten, weil eine Sperrzeit wegen unzureichender Eigenbemühungen am
1.2.2012 für zwei Wochen mit Rücksicht darauf eingetreten war, dass der
Kläger entgegen der in der Eingliederungsvereinbarung vom 5.1.2012
konkretisierten Pflicht Eigenbemühungen vorzunehmen, diese nicht bis zum
31.1.2012 nachgewiesen hat. Welche Eigenbemühungen der Arbeitslose
konkret vorzunehmen hat, kann ua durch Eingliederungsvereinbarung
festgelegt werden. Sie sind in der Eingliederungsvereinbarung vom
5.1.2012 zwischen den Beteiligten auch wirksam festgelegt worden. Bei
einer Eingliederungsvereinbarung nach § 37 Abs 2 SGB III handelt es sich
- auch im Bereich des SGB III - um einen öffentlich-rechtlichen
Austauschvertrag. In diesem kann die notwendige Konkretisierung des
Eingliederungsziels, der auf die konkrete Person bezogenen
Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur, der jeweiligen
Eigenbemühungen der Leistungsberechtigten und der auf den Einzelfall
bezogenen Leistungen stattfinden. Der öffentlich-rechtliche Vertrag vom
5.1.2012 ist nicht nichtig. Insbesondere hat die Beklagte sich keine für
einen Austauschvertrag unzulässige Gegenleistung versprechen lassen. Der
Kläger hat den Nachweis von Eigenbemühungen in bestimmten Fristen
zugesagt. Dem steht die Zusage mehrerer Leistungen der Beklagten - wie
Bewerbungscoaching, insbesondere aber auch die Übernahme von Bewerbungs-
und Reisekosten - gegenüber. Die Zumutbarkeit der vereinbarten
Eigenbemühungen ist in einem solchen Fall nur in den Grenzen der
Nichtigkeit iS des § 40 SGB X zu prüfen.
Der Kläger hat die
zugesagten Eigenbemühungen der Beklagten nicht bis 31.1.2012
nach-gewiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der
Sperrzeittatbestand nicht so zu verstehen, dass es (nur) auf die
Vornahme der Eigenbemühungen ankäme. Der Sperrzeittatbestand nach § 144
Abs 1 S 2 Nr 3 SGB III aF setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass
der Arbeitslose die Eigenbemühungen jedenfalls "nachweist". Die
gesetzliche Regelung einer solchen Nachweispflicht ist möglich und auch
zulässig, um im Einzelfall überprüfen zu können, ob der Arbeitslose die
vereinbarten Eigenbemühungen unternommen hat. Die Voraussetzungen des
Sperrzeittatbestands sind auch im Übrigen erfüllt. Beginn und Ende der
Sperrzeit sind vom Beklagten zutreffend festgelegt worden. Auch die
weiteren Vorausset-zungen für eine Aufhebung der Bewilligung von Alg mit
Wirkung für die Vergangenheit (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB X, § 330 Abs 3
SGB III) sind gegeben. Der Kläger hat - wie das LSG festgestellt hat -
grob fahrlässig gehandelt. Schließlich ist die Aufhebung auch im
Hinblick auf die Anspruchsdauer rechtmäßig erfolgt. Insoweit handelt es
sich um eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft, weil sich die
Minderung der Anspruchsdauer erst gegen Ende des Bezugs von Alg
auswirken kann.
SG Trier
- S 6 AL 22/12 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 1 AL 74/14 -
Bundessozialgericht
- B 11 AL 19/16 R -
2) Die
zulässige Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen. Das LSG ist im
Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Bescheide vom 19.11.2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2014 aufzuheben sind.
Die angefochtenen Bescheide sind materiell rechtswidrig, weil keine
wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des
ursprünglichen Bewilligungsbescheides eingetreten ist. Es liegt keine
den Eintritt einer Sperrzeit rechtfertigende Pflichtverletzung vor. Wie
der Senat am heutigen Tag bereits entschieden hat, kann der fehlende
Nachweis ausreichender Eigenbemühungen zu einer Sperrzeit führen, wenn
die geforderten Eigenbemühungen und das Erfordernis des Nachweises
ausreichend bestimmt waren. Wie der Senat gleichfalls entschieden hat,
können Eigenbemühungen, Nachweispflichten und die
Rechtsfolgenbelehrungen in der nach § 37 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB III
vorgesehenen Eingliederungsvereinbarung näher und abschließend
umschrieben werden. Anders als das LSG meint, sind keine weiteren
konkreten Aufforderungen zu Eigenbemühungen erforderlich, um vom
Eintritt einer Sperrzeit bei Obliegenheitsverletzungen ausgehen zu
können.
Zwar hat die Klägerin Eigenbemühungen nach den
Feststellungen des LSG nicht fristgerecht nachgewiesen. Eine Sperrzeit
ist aber deshalb nicht eingetreten, weil die den Obliegenheiten
zugrundeliegende Eingliederungsvereinbarung nichtig ist. Die
festgelegten Bewerbungsbemühungen sind iS des § 55 Abs 1 S 2 SGB X
unangemessen im Verhältnis zu den von der Arbeitsverwaltung übernommenen
Leistungsverpflichtungen. Dies führt zu einer Nichtigkeit der
Eingliederungsvereinbarung nach § 58 Abs 2 Nr 4 SGB X. Für die
Bemühungen zur Anbahnung einer Beschäftigung hat die Beklagte keine auf
die Bewerbung bezogenen Leistungen wie zB die Zusage der Übernahme von
angemessenen Kosten für schriftliche Bewerbungen, der Fahrkosten zu
Vorstellungsgesprächen zugesagt. Bei der Übernahme von Bewerbungs-
und/oder Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen handelt es sich um
vermittlungsunterstützende Leistungen, die aus dem Vermittlungsbudgets
nach § 44 SGB III erbracht werden können. Die Erbringung
korrespondierender Leistungen prägt - so wie bei von der BA angebotenen
beruflichen Bildungsmaßnahmen - wesentlich die Zumutbarkeit der
Eigenbemühungen der Arbeitslosen. Bewerbungskosten sind daher im
Regelfall - im Gegenzug zu den Eigenbemühungen - von der
Arbeitsverwaltung zumindest dem Grunde nach in Aussicht zu stellen.
Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Ausnahmefall sind
nach den vom LSG festgestellten Einzelfallumständen - nämlich
Lebensalter der Klägerin bei Beginn der Arbeitslosigkeit, Höhe des Alg,
persönliche Umstände - nicht ersichtlich.
SG Freiburg
- S 15 AL 5989/14 -
LSG Baden-Württemberg
- L 8 AL 2197/15 -
Bundessozialgericht
- B 11 AL 5/16 R -
3) Die Revision
des Beklagten hatte keinen Erfolg. Die hier zu überprüfenden Bescheide aus
2004 und 2005 waren unstreitig anfänglich rechtswidrig iS des § 44 Abs 1
S 1 SGB X, weil der Beklagte bei Erlass der genannten Bescheide
unzutreffend davon ausgegangen war, dass nur ein Teil der Kosten der
Kläger für deren Unterkunft und Heizung zu übernehmen war.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist ein Anspruch der Kläger nicht
dadurch ausgeschlossen, dass deren Hilfebedürftigkeit ab Oktober 2010
entfallen ist. Eine fortbestehende Hilfebedürftigkeit als zusätzliche
Anspruchsvoraussetzung lässt sich den anwendbaren Verfahrensbestimmungen
nicht entnehmen. Der Senat hat bereits entschieden, dass sich aus dem
SGB II keine § 40 Abs 1 SGB II iVm § 44 SGB X verdrängende
Besonderheiten ergeben. Solche Besonderheiten, aus denen - auch ohne
ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers - abzuleiten sein könnte, dass
die Rücknahme- und Nachzahlungsansprüche nach § 44 SGB X für bestimmte
Sachverhalte (teilweise) eigenständig und abweichend festzulegen sind,
hat zur Sozialhilfe zwar der zuständige 8. Senat angenommen. Für das SGB
II folgt aus der Ausgestaltung des § 40 SGB II indes, dass der
Gesetzgeber den Berechtigten im SGB II grundsätzlich so stellen wollte,
als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden. Dem
Hilfebedürftigen sollen diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach
materiellem Recht zugestanden hätten.
Zwar sind die Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im allgemeinen von
einer aktuellen, nicht anderweitig zu beseitigenden Hilfebedürftigkeit
abhängig. Anders als die Sozialhilfe nach dem SGB XII werden sie aber
nur auf Antrag erbracht. Und die Bewilligung erfolgt für einen Zeitraum
von seinerzeit regelmäßig sechs Monaten. Dies verdeutlicht, dass eine
Bedarfsdeckung nicht nur wegen eines gegenwärtigen, sondern auch wegen
eines prognostischen zukünftigen Hilfebedarfs durch eine Dauerleistung
stattfindet und insofern bereits normativ eine Einschränkung von dem in
der Vergangenheit für die Sozialhilfe vertretenen Konzept einer
"Nothilfe" vorliegt. Hinzu kommt die Bezugnahme nicht auf
sozialhilferechtliche Grundsätze, sondern auf die in § 330 SGB III für
das Arbeitsförderungsrecht geltenden Besonderheiten für die Aufhebung
von Verwaltungsakten, die der Senat als abschließend ansieht.
SG Braunschweig
- S 33 AS 2816/08 -
LSG Niedersachsen-Bremen
- L 11 AS 1380/13 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 6/16 R -
4) Die Revision
des Klägers hatte keinen Erfolg, weil das Verfahren vor dem SG als
zurückgenommen gilt. Gemäß § 102 Abs 2 SGG gilt die Klage als
zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des
Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Bei der
Klagerücknahmefiktion handelt es sich um eine Regelung zum Wegfall des
Rechtsschutzinteresses. Dieses ist hier anzunehmen.
Die
Betreibensaufforderung entspricht den formellen Anforderungen. Sie hat
auch die Fiktion der Klagerücknahme ausgelöst. Die Fiktion der
Klagerücknahme tritt nach Sinn und Zweck der Vorschrift und ihres
verfassungsrechtlich gebotenen engen Ausnahmecharakters nur ein, wenn
zum einen zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung "sachlich begründete"
Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestanden, die
den späteren Eintritt der Fiktion als gerechtfertigt erscheinen lassen.
Zum anderen hat ein Kläger das Verfahren nur dann nicht mehr betrieben,
wenn er innerhalb der Dreimonatsfrist nach der Betreibensaufforderung
nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das
Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehens, aus
dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist.
Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses zum Zeitpunkt
der Betreibensaufforderung können insbesondere gegeben sein, wenn der
Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten verletzt hat, was eine
zulässige gerichtliche Aufforderung voraussetzt.
Im Rahmen der
gebotenen Gesamtwürdigung waren die Voraussetzungen für den Erlass einer
Betreibensaufforderung wegen der fehlenden Reaktion des Klägers auf die
zulässige Mitwirkungsaufforderung des SG gegeben. Mit Verfügung vom
14.10.2008 forderte das SG den Kläger der Sache nach zur Darlegung auf,
welche Elemente der Berechnung des Überzahlbetrags er beanstande. Dies
betrifft erkennbar die Frage, ob der Bescheid lediglich dem Grunde oder
auch der Höhe nach angefochten wird, insbesondere eventuelle Einwände
gegen die nunmehr im Wege einer rückwirkenden Aufhebung der
Bewilligungsbescheide berücksichtigten Einkünfte des Klägers und seiner
damaligen Ehefrau aus nicht gemeldeten Beschäftigungen. Die Aufforderung
des SG an den Kläger, konkret zu den entscheidungserheblichen Tatsachen
der dem Beklagten erst im Wege des automatisierten Datenabgleichs
bekannt gewordenen Einkünfte des Klägers sowie der damaligen Ehefrau des
Klägers, etwa durch Zustimmung oder Bestreiten, Stellung zu nehmen, ist
vertretbar und deshalb nicht zu beanstanden. Das SG durfte aus der
Reaktion auf seine zulässige Aufforderung zur Mitwirkung schließen, der
Kläger habe das Interesse an dem Rechtsstreit verloren. Der Kläger hat
die Klage kurz begründet, Akteneinsicht genommen und von sich aus
angekündigt, sich weiter äußern zu wollen. Der Vorsitzende beim SG hat
ihn deshalb aufgefordert, die angekündigte Stellungnahme nun abzugeben
und ergänzend zur Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung
Stellung zu nehmen. Bei fortbestehendem Rechtsschutzinteresse hätte der
Kläger - nach erfolgter Akteneinsicht durch seinen Bevollmächtigten und
Kenntnisnahme von den in der Verwaltungsakte befindlichen
Bescheinigungen der Einkünfte (auch der Ehefrau) - entsprechend seiner
Ankündigung zumindest dazu Stellung nehmen müssen, ob und ggf in welchem
Umfang diese dennoch unkorrekt sind. Eine Präzisierung hatte der Kläger
auch ausdrücklich angekündigt und damit zu erkennen gegeben, dass er
Ausführungen zur Höhe selbst für entscheidungserheblich hielt. Der
anwaltlich vertretene Kläger hat sodann aber trotz Ankündigung einer
Stellungnahme für die Dauer von mehreren Monaten weder auf die
gerichtliche Verfügung reagiert noch klargestellt, dass ein weiteres
Vorbringen unterbleiben werde. Auch die weitere Voraussetzung des § 102
Abs 2 SGG, dass es an einem substantiierten Vortrag nach
Betreibensaufforderung fehlt, liegt hier mangels weiteren Vorbringens
innerhalb der Frist vor.
SG Dortmund
- S 31 AS 305/09 -
LSG Nordrhein-Westfalen
- L 12 AS 1287/13 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 2/16 R -