Siehe auch: Urteil des 2. Senats vom 31.8.2017 - B 2 U 2/16 R -, Urteil des 2. Senats vom 31.8.2017 - B 2 U 9/16 R -, Urteil des 2. Senats vom 31.8.2017 - B 2 U 1/16 R -, Urteil des 2. Senats vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R -
Kassel, den 15. August 2017
Terminvorschau Nr. 38/17
Der für Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung zuständige 2. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 31. August 2017 im Jacob-Grimm-Saal über vier Revisionen nach mündlicher Verhandlung und mehrere Nichtzulassungsbeschwerden zu entscheiden.
1) 11.00 Uhr - B 2 U 1/16 R -
B. S. ./. BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Wegeunfall
erlitten hat. Der Kläger fuhr am Morgen des 29.11.2011 morgens mit
seinem PKW von seiner Wohnung in München zu einer Endmontage. Der Kläger
parkte sein Fahrzeug gegenüber einer Bäckerei auf der rechten
Straßenseite, um sich in dieser Bäckerei auf der anderen Straßenseite
belegte "Semmeln für eine Brotzeit" zu kaufen. Hierzu überquerte er die
Straße. Als er vor der Bäckerei eine lange Schlange sah, kehrte er um.
Beim Umdrehen stolperte er, verlor das Gleichgewicht und fiel kurz vor
seinem Wagen auf die linke Schulter, wobei er ein Trauma erlitt. Die
Beklagte lehnte es ab, einen Arbeitsunfall zu entschädigen. Die Klage
zum SG blieb erfolglos. Auf die Berufung hat das LSG das Urteil des SG
und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass der
Unfall des Klägers ein Arbeitsunfall war. Der Kläger habe den
unmittelbaren Weg zu seiner Arbeitsstätte zwar nicht nur geringfügig aus
rein eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen, als er mit seinem PKW
gegenüber der Bäckerei parkte, um sich Lebensmittel zu besorgen. Der
Kauf von Lebensmitteln gehöre zu der rein privaten Risikosphäre des
Versicherten. Bereits mit dem Abbremsen des Fahrzeugs habe der Kläger
diese eigenwirtschaftliche Handlungstendenz nach außen objektivierbar in
Gang gesetzt und damit den versicherten Weg unterbrochen. Diese
Unterbrechung sei durch das Umdrehen auf dem Fußweg in Richtung auf
seine Arbeitsstätte aber beendet gewesen, weil er nunmehr wieder in
Richtung auf seine Arbeitsstätte und zu seinem Fahrzeug unterwegs
gewesen sei. Der Kläger habe glaubhaft versichert, dass er nicht noch in
ein anderes Lebensmittelgeschäft habe gehen wollen, da ihm das
pünktliche Erscheinen an der Arbeitsstelle besonders wichtig gewesen
sei. Sein beobachtbares Handeln habe mit seiner inneren Tendenz, zur
Arbeit zu gelangen, übereingestimmt. Unter Berücksichtigung der
objektiven Handlungstendenz sei mithin mit dem Umdrehen auf dem
Randstein die privatwirtschaftliche Unterbrechung des Arbeitsweges
beendet gewesen. Nehme man vorliegend eine Unterbrechung bis zum
Einsteigen in das Kfz an, so käme es zu unterschiedlichen Lösungen wenn
jemand zu Fuß unterwegs sei oder - wie im vorliegenden Fall - mit dem
PKW. Dies sei mit dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung
unvereinbar, weil Versicherte grundsätzlich frei in der Wahl ihres
Verkehrsmittels seien.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte
eine Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII.
SG München
- S 23 U 348/12 -
Bayerisches LSG
- L 3 U 402/13 -
2)
12.00 Uhr - B 2 U 11/16 R -
A.S. ./. BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
Auch in
diesem Fall streiten die Beteiligten - ebenso wie in dem Rechtsstreit zu
Nr 1 - darüber, ob die Klägerin einen in der gesetzlichen
Unfallversicherung versicherten Wegeunfall erlitten hat.
Die
Klägerin fuhr am 1.12.2010 mit ihrem PKW von ihrer Arbeitsstelle nach
Hause. Wegen der winterlichen Witterungsverhältnisse hatte sie in der
Mittagspause darauf verzichtet, ein Mittagessen zu sich zu nehmen. Sie
trat ihre Heimfahrt deshalb mit einem deutlichen Hungergefühl an.
Während der Fahrt sah sie eine Metzgerei, hielt ihr Fahrzeug am rechten
Fahrbahnrand an und parkte dort. Sie verließ den PKW, betrat das wenige
Schritte entfernt gelegene Geschäft, kaufte dort eine Mahlzeit ein und
begab sich danach wieder zu ihrem Fahrzeug. Auf dem Bürgersteig stehend
öffnete sie die Beifahrertür und stellte die Nahrungsmittel auf dem
Beifahrersitz ab. Nachdem sie die Beifahrertür geschlossen hatte, ging
sie auf dem Bürgersteig in Richtung des Fahrzeughecks, um die Fahrertür
zu erreichen und mit dem Fahrzeug ihre Fahrt nach Hause fortzusetzen. In
Höhe des rechten hinteren Kotflügels ihres PKWs stürzte sie, fiel auf
die Bordsteinkante und erlitt einen Bruch der rechten Hand sowie des
rechten Oberschenkels und Prellungen. Die Beklagte lehnte die
Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Die Klage blieb vor
dem SG und LSG ohne Erfolg. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der
grundsätzlich bestehende Versicherungsschutz während eines mit ihrer
versicherten Tätigkeit als Beschäftigte zusammenhängenden unmittelbaren
Weg von dem Ort der versicherten Tätigkeit sei mit dem Parken des
Fahrzeugs am Straßenrand unterbrochen worden. Diese Unterbrechung sei
zum Zeitpunkt des Unfallereignisses auch noch nicht beendet gewesen. Der
während der Unterbrechung erfolgte Essenskauf habe nicht im inneren
Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden, denn der Kauf von
Nahrungsmitteln stelle ebenso wie die Nahrungsaufnahme selbst eine
unversicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar. Dies gelte auch dann,
wenn auf dem Heimweg Lebensmittel eingekauft würden, weil der
Versicherte während seiner vorhergehenden Beschäftigung hungrig geworden
sei und das Verlangen habe, nach der Arbeit sogleich eine Mahlzeit zu
sich zu nehmen.
Die Klägerin rügt mit ihrer vom Senat
zugelassenen Revision die Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Sie
habe einen als Wegeunfall versicherten Arbeitsunfall erlitten, weil die
eigenwirtschaftliche Tätigkeit spätestens beendet gewesen sei, als sie
die Einkäufe auf dem Beifahrersitz verstaut, die Beifahrertür
geschlossen und um ihr Fahrzeug herum gegangen sei, um den versicherten
Weg von der Arbeitsstätte nach Hause fortzusetzen.
SG Gießen
- S 1 U 136/11 -
Hessisches LSG
- L 3 U 95/14 -
3) 13.00 Uhr
- B 2 U 2/16 R -
M. K. ./. BG Verkehr
Die Beteiligten streiten darüber, ob der
Kläger einen Wegeunfall erlitten hat, als er seine Wohnung durch ein
Fenster verließ.
Der Kläger betreibt ein Unternehmen der
Fahrzeugaufbereitung, das zwei Kilometer von seiner Dachgeschosswohnung
entfernt liegt. Diese Wohnung befindet sich in einem 2 ½ stöckigen
Mehrfamilienhaus. Das Erdgeschoss ist größer als die darüber liegenden
Geschosse und springt zu einem Stichweg hin vor. Dieser Vorsprung hat
ein Flachdach, das etwa 2,60 m über dem Niveau des Stichweges liegt.
Mehrere Fenster der Wohnung im Obergeschoss gehen auf dieses Flachdach
hinaus. Etwa 2,60 m oberhalb des Flachdaches liegt die
Dachgeschosswohnung des Klägers, deren Fenster zum Stichweg in einer
Schleppgaube im Satteldach liegen. Unterhalb dieser Fenster befinden
sich vier Ziegelreihen der Dachschräge mit abschließender Dachrinne. Am
Unfalltag war der Kläger um 15.30 Uhr an seiner Betriebsstätte
geschäftlich verabredet. Als er die verriegelte Wohnungstür von innen
aufschließen wollte, um zu seinem Geschäftstermin zu gelangen, brach ihm
der Haustürschlüssel ab und der Weg durch diese Tür war versperrt, so
dass er die Hausaußentür über das Treppenhaus nicht erreichen konnte. Um
den Geschäftstermin einzuhalten, verließ er in Arbeitsmontur mit Overall
und Sicherheitsschuhen die Dachgeschosswohnung über ein Fenster, um sich
auf das Flachdach vor der Obergeschosswohnung herabzulassen. Er stürzte
jedoch ab, fiel auf das Flachdach und brach sich den rechten
Unterschenkel. Die Blutuntersuchung ergab einen positiven Kokain-Befund,
eine konkrete Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit im
Unfallzeitpunkt ließ sich nicht feststellen. Die Beklagte lehnte die
Anerkennung eines Wegeunfalls ab. Die Klage blieb vor dem SG und LSG
ohne Erfolg. Der Kläger habe keinen versicherten Wegeunfall erlitten,
weil der versicherte Weg im Unfallzeitpunkt noch nicht begonnen habe.
Der Versicherungsschutz auf Wegen beginne grundsätzlich erst mit dem
Durchschreiten der Außentür des Gebäudes, durch die der häusliche
Bereich verlassen werde. Sei die Außentür nicht erreich- oder benutzbar,
so seien Fenster (auch im oberen Geschoss) der Außentür ausnahmsweise
gleichzustellen, wenn der häusliche Bereich durch ein Fenster
tatsächlich verlassen werde. Der Kläger habe sich auf dem Weg vom
Dachgeschoss zu seinem "Zwischenziel" Flachdach aber noch im
unversicherten häuslichen Bereich aufgehalten und den öffentlichen Raum
- anders als beim Durchschreiten der Außentür - noch nicht erreicht
gehabt. Ein solcher "öffentlicher Raum" setze in Abgrenzung zum
"häuslichen Bereich" zumindest voraus, dass er von außen auf normalem
Wege aufgesucht werden könne. Dies sei bei einer Dachfläche, wie auch
bei einem Balkon, nicht der Fall. Als Teil des Hauses sei diese Fläche
noch dem häuslichen Bereich zuzuordnen. Den häuslichen Bereich hätte der
Kläger frühestens mit dem Überschreiten der Dachkante zum weiteren
Abstieg von der Dachfläche in Richtung "Weg vor dem Haus" verlassen
gehabt.
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des
§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Nach der Rechtsprechung des BSG sei bereits das
Besteigen einer an das Wohnungsfenster gelehnten Leiter auf dem Weg zur
Arbeitsstätte als versichert betrachtet worden.
SG Gelsenkirchen
- S 37 U 329/13 -
LSG Nordrhein-Westfalen
- L 17 U 313/14 -
4) 14.00 Uhr
- B 2 U 9/16 R -
K.L. ./. BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines von der Klägerin in
ihrem Wohnhaus erlittenen Sturzes als Arbeitsunfall streitig.
Die Klägerin ist selbständige Friseurmeisterin und als Unternehmerin bei
der Beklagten versichert. Ihren Friseursalon betreibt sie im Erdgeschoss
des Gebäudes. Im Obergeschoss dieses Gebäudes befindet sich die
Privatwohnung der Klägerin, die sie mit ihrem Ehemann bewohnt, und - in
der Privatwohnung - ein separater Waschraum, in dem die Waschmaschine
und der Wäschetrockner stehen, die die Klägerin sowohl für die private
Wäsche als auch für die Wäsche aus dem Friseursalon (insbesondere
Handtücher) nutzt. Dabei wird die Geschäftswäsche, weil sich an ihr
viele Haare und Färbemittel befinden, getrennt von der Privatwäsche
gewaschen. Geschäftswäsche fällt mindestens einmal am Tag, freitags und
samstags auch zweimal am Tag an und wird von der Klägerin, gelegentlich
aber auch tagsüber von einem der angestellten Friseure erledigt. Um die
Geschäftswäsche zu waschen, danach in den Trockner zu legen oder
aufzuhängen, muss der Wohnungsflur der Privatwohnung im Obergeschoss
durchschritten werden. Am Unfalltag gegen 23.15 Uhr knickte die Klägerin
im Wohnungsflur ihrer Privatwohnung vor dem Waschraum mit dem rechten
Fuß um, als sie sich auf dem Weg zum Waschraum befand, um
Geschäftswäsche aus der Waschmaschine zu holen und diese zum Trocknen
aufzuhängen. Sie zog sich hierbei eine obere
Sprunggelenksluxationsfraktur rechts zu, welche am Folgetag operativ
versorgt werden musste. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des
Ereignisses als Arbeitsunfall ab, weil die Klägerin in ihrer
Privatwohnung gestürzt sei und sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem
versicherten Weg befunden habe.
Die Klage hatte vor dem SG und LSG
Erfolg. Das LSG hat ausgeführt, grundsätzlich seien Wege innerhalb eines
privaten Haushalts nicht versichert, denn das BSG betrachte Wege in dem
vom Versicherten bewohnten Haus als nicht vom Versicherungsschutz
mitumfasst. Als Grenze sei die "Außentür des Gebäudes“ anzusehen.
Allerdings sei diese Grenze nicht anwendbar, wenn sich die Wohnung des
Versicherten und die Arbeitsstätte in einem Gebäude befänden. Denn bei
Unfällen auf der versicherten Tätigkeit dienenden Wegen in den zur
Arbeitsstätte gehörenden Betriebsräumen dürfe es keinen Unterschied
machen, ob sich die Betriebsstätte in demselben Gebäude wie die Wohnung
des Versicherten befinde oder nicht. Die Bejahung von
Unfallversicherungsschutz setze hier voraus, dass unter Berücksichtigung
der gesamten Umstände des Einzelfalles der Teil des Gebäudes, in dem
sich der Unfall ereignet, rechtlich wesentlich den Zwecken des
Unternehmens gedient habe. Der Wohnungsflur, auf dem sich der Sturz
ereignet habe, verbinde im Wohn- und Geschäftshaus der Klägerin das
Erdgeschoss, in dem sich der Friseursalon befinde, mit dem Waschraum,
der sein Gepräge durch die Waschmaschine und den Wäschetrockner der
Klägerin erhalte, in denen sowohl private als auch Geschäftswäsche
gewaschen bzw getrocknet werde, so dass dieser Raum nicht ausschließlich
privat, sondern auch zu betrieblichen Zwecken genutzt werde. Dies gelte
für den Wohnungsflur vor dem Waschraum, denn angesichts der ständigen
betrieblichen Nutzung des Waschraums liege für diesen eine permanente
betriebliche Nutzung vor, so dass auch der Wohnungsflur, der
notwendigerweise durchschritten werden müsse, um zum Waschraum zu
gelangen, wesentlich für betriebliche Zwecke genutzt werde. In dem
Waschraum werde mindestens einmal täglich Wäsche aus dem Friseursalon
gewaschen, wobei die Geschäftswäsche immer getrennt von der privaten
Wäsche gewaschen werde, was die Klägerin überzeugend mit den in den in
der Geschäftswäsche vorhandenen Haarfärbemittel und Haaren begründet
habe. Da der Waschraum ausschließlich über den Wohnungsflur im
Obergeschoss erreichbar sei, diene dieser Wohnungsflur ständig und damit
wesentlich auch betrieblichen Zwecken. Angesichts dessen habe die
Klägerin dort einen Arbeitsunfall erlitten.
Hiergegen wendet
sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt insbesondere, dass das
LSG keine ausreichenden Feststellungen zur privaten Nutzung des
Unfallorts getroffen habe.
SG Heilbronn
- S 4 U 2935/12 -
LSG Baden-Württemberg
- L 10 U 1241/14 -