Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 4. Senats vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 24.8.2017 - B 11 AL 16/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 11.6.2015 - B 11 AL 13/14 R -
Kassel, den 24. August 2017
Terminbericht Nr. 35/17
(zur Terminvorschau Nr. 35/17)
Der 4./11. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 24. August 2017.
1) Die Revision des Klägers hatte teilweise
Erfolg.
Soweit der Kläger für die Monate Juni, August und
Oktober 2013 höhere Leistungen nach dem SGB II begehrt, hat die Revision
keinen Erfolg. Die Aufwandsentschädigungen nach §§ 1908i, 1835a BGB
gehören nicht zu den nach § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II nicht zu
berücksichtigenden Einkommensarten, denn es handelt sich nicht um
Einnahmen, die in ihrer Verwendung zweckbestimmt sind. Der Beklagte hat
von den in den Monaten des Zuflusses zu berücksichtigenden Einnahmen vor
der Anrechnung die Beträge nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II zutreffend
abgesetzt. Nach dieser Regelung tritt an die Stelle des Grundfreibetrags
von 100 Euro ein Betrag von 200 Euro, wenn eine leistungsberechtigte
Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen hat, die
nach § 3 Nr 12, 26, 26a oder 26b EStG steuerfrei sind. Dies trifft gemäß
§ 3 Nr 26b EStG für die Aufwandsentschädigung des Betreuers nach § 1835a
BGB zu. Der Freibetrag ist ‑ entgegen der Ansicht der Revision ‑
monatlich und nicht etwa als Jahresfreibetrag in Höhe von 12 x 200 Euro
zu berücksichtigen. § 1835a Abs 2 BGB schreibt zwar zwingend eine
jährliche Zahlung der Pauschale vor. Für den Freibetrag gilt aber das
Monatsprinzip. Dies hat das BSG in seiner Rechtsprechung bereits
mehrfach herausgestellt. Die Voraussetzungen der vom BSG für den
unplanmäßigen Zufluss von in mehreren Monaten erarbeitetem
Arbeitsentgelt entwickelten Ausnahme liegen ersichtlich nicht vor. Eine
Abweichung vom Monatsprinzip kann für die vorliegende Fallgestaltung
nicht anerkannt werden. Insbesondere hat der Gesetzgeber durch das
Ehrenamtsstärkungsgesetz zwar die jährlichen Steuerfreibeträge erhöht.
Er hat aber bei der mit demselben Gesetz vorgenommenen Änderung des
SGB II keine Abweichung vom Monatsprinzip angeordnet. Nur der
Gesetzgeber ist berufen, eine "gerechtere" Regelung zu schaffen, indem
er an der Schnittstelle von Betreuungs‑ und Steuerrecht entweder das
dortige Jahresprinzip (partiell) aufhebt oder im Bereich des SGB II eine
(partielle) Abweichung vom Monatsprinzip regelt. Verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen nicht, denn der Kläger kann gemäß § 11b Abs 1 Satz 1
Nr 5 SGB II bei entsprechendem Nachweis die mit der Erzielung des
Einkommens verbundenen tatsächlichen notwendigen Ausgaben absetzen;
solche hat er aber auch auf Nachfrage nicht geltend gemacht.
Die
Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung und
das Erheben einer Erstattungsforderung mit Wirkung für die Vergangenheit
sind hingegen nicht erfüllt. Durch den Zufluss der
Aufwandsentschädigungen in Höhe von jeweils 323 Euro für drei
Betreuungen am 6.6.2012, 13.8.2012 und 2.10.2012 ist zwar eine
wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber dem
Bewilligungsbescheid eingetreten. Der Kläger hat nach Erlass dieser
Verwaltungsakte mit Dauerwirkung Einkommen erzielt, das seinen
Leistungsanspruch gemindert haben würde. Gemäß § 11 Abs 2 Satz 3, Abs 3
SGB II sind laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen
Zeitabständen zufließen, in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie
zufließen. Sind aber für den Monat des Zuflusses ‑ wie hier ‑ schon
Leistungen erbracht, werden die Einnahmen erst im Folgemonat
berücksichtigt. Da der Beklagte demgegenüber das Einkommen ausdrücklich
in den Monaten des Zuflusses berücksichtigt und nur diese Bewilligungen
aufgehoben sowie die Erstattung von Leistungen gefordert hat, ist der
angefochtene Bescheid rechtswidrig.
SG Duisburg
- S 45 AS 177/13, S 45 AS 2524/13 -
LSG Nordrhein-Westfalen
- L 6 AS 532/14, L 6 AS 533/14 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 9/16 R -
2) Die Revision
der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht die Verurteilung
des Beklagten bestätigt, wonach dieser im Wege des Zugunstenverfahrens
zur Zahlung von Alg für die Zeit vom 1. bis 29.7.2012 nach einem
Bemessungsentgelt von 34 988,62 Euro jährlich verpflichtet ist. Der
Bewilligungsbescheid vom 20.7.2012 war insoweit zurückzunehmen, weil der
Klägerin Alg nicht in der von ihr zu beanspruchenden Höhe geleistet
worden ist.
Die Klägerin hat mit Rücksicht auf den
ursprünglichen Lohnverzicht Anspruch auf Alg bemessen nach einem Entgelt
von 34 913,41 Euro. Der Bemessungszeitraum umfasst die Zeit vom 1.7.2011
bis 30.6.2012. Beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis war das
Entgelt für Abrechnungszeiträume bis einschließlich Juni 2012
abgerechnet. Im Bemessungszeitraum sind der Klägerin 34 913,41 Euro an
Arbeitsentgelt zugeflossen. Zwar hat die Klägerin zunächst auf Teile des
Arbeitsentgelts verzichtet, um einen Beitrag zur Stabilisierung des
Arbeitsverhältnisses zu leisten. Für den Fall eines solchen
Lohnverzichts hat sie aber arbeitsrechtlich wirksam vereinbart, dass
Entgeltansprüche nachzuzahlen sind, wenn der Zweck des Verzichts
verfehlt wird. Dementsprechend war vertraglich geregelt, dass Ansprüche
auf Arbeitsentgelt für den Fall nachzuzahlen sind, dass das
Arbeitsverhältnis wegen Betriebsstilllegung vor dem 31.12.2013 endet.
Weil dies der Fall war, hat die Arbeitgeberin im Juni 2012 das
vereinbarte Entgelt in Höhe von 2/3 der Differenz zwischen den gezahlten
25 000 Euro und dem ohne Verzicht zustehenden Arbeitsentgelt für zwölf
Monate nachgezahlt. Der Berücksichtigung des Nachzahlungsbetrags als
Bemessungsentgelt steht § 151 Abs 2 Nr 1 SGB III nicht entgegen, denn
das Arbeitsentgelt wurde im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung
nicht "wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses", sondern wegen
Erfolglosigkeit des vereinbarten Lohnverzichts gezahlt. Diesem Ergebnis
steht das Urteil des Senats vom 11.6.2015 (B 11 AL 13/14 R ‑ BSGE
119, 119) nicht entgegen. In jenem Fall war zur Sanierung und
Arbeitsplatzsicherung ein Verzicht auf Arbeitsentgelt mit der Maßgabe
vereinbart worden, dass im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers
Entgeltansprüche wieder aufleben. Das fragliche Entgelt war den
Arbeitnehmern, als die Insolvenz des Arbeitgebers trotz Verzichts
eintrat, gerade nicht zugeflossen. Der vorliegende Fall ist anders
gelagert, denn es geht um die Berücksichtigung von rechtzeitig
abgerechnetem und zugeflossenem Arbeitsentgelt.
Die Klägerin hat
darüber hinaus auch Anspruch auf rückwirkende Aufhebung der Bewilligung
von Alg nach § 48 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB X, § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III
und Zahlung von Alg nach einem Bemessungsentgelt von insgesamt
34 988,62 Euro wegen der im September 2012 zugeflossenen Nachzahlung.
Auch die Nachzahlung von 75,21 Euro für ein Arbeitszeitguthaben ist als
Bemessungsentgelt zu berücksichtigen.
SG Halle
- S 3 AL 358/12 -
LSG Sachsen-Anhalt
- L 2 AL 12/14 -
Bundessozialgericht
- B 11 AL 16/16 R -