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| Die Revisionen der Kläger sind im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begründet. Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist es dem Senat nicht möglich, abschließend zu entscheiden, ob den Klägern höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen. Insbesondere fehlt es an nachvollziehbaren Feststellungen zu dem Einkommen des Vaters der Kläger und zur Höhe der Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II (sogleich unter 1.). Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen nach der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (aaO) hingegen mehr dagegen, dass die Beklagte für den hier streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.4.2005 die Regelleistung der beiden Kinder gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II mit 207 Euro festgesetzt hat (hierzu unter 2.). Die weiteren prozessualen Anregungen der Kläger ("Hilfsanträge") blieben ebenfalls ohne Erfolg (hierzu unter 3.). |
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| 1. Streitgegenstand des Rechtsstreits sind - nachdem die Eltern der Kläger zu 1 bis 2 keine Revision eingelegt haben - nur noch die Ansprüche der zu Beginn des Jahres 2005 sieben bzw fünf Jahre alten Kläger. Diese Ansprüche umfassen alle den Klägern nach dem SGB II rechtlich möglichen Leistungen, hier insbesondere die Regelleistung gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II und als Sozialgeld im weiteren Sinne die anteiligen Kosten der angemessenen Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II. Die Höhe der Einzelansprüche der Kläger hängt nach dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft gemäß §§ 7, 9 Abs 2 SGB II grundsätzlich von dem gesamten Bedarf der Bedarfsgemeinschaft und dessen Deckung durch Einkommen und Vermögen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ab (grundlegend BSGE 97, 217, 219 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 11 ff; vgl zum Konzept der Bedarfsgemeinschaft Spellbrink, NZS 2007, 121; Karola Stephan, Die Ansprüche zusammenlebender Personen nach SGB II und SGB XII, 2008). Nach § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II (in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I, 2954) ist bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen. § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II bestimmt weiterhin: Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig. Hieraus folgt, dass der gesamte ungedeckte Bedarf in einer Bedarfsgemeinschaft anteilig auf die einzelnen Mitglieder proportional verteilt wird, jeweils in Abhängigkeit von ihrem Anteil am Gesamtbedarf (zur Verfassungswidrigkeit dieser Regelung Labrenz, ZfF 2008, 217; kritisch auch Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 9 RdNr 54). Ergänzt (und verkompliziert) wird die Einkommens- und Leistungsberechnung in der Bedarfsgemeinschaft durch die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II (ebenfalls in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, aaO: jetzt § 19 Satz 3 SGB II). Hiernach mindert das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit. Nur soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen ist, mindert es die Geldleistungen der kommunalen Träger (kritisch zu den Folgen des § 19 Satz 3 SGB II für die kommunalen Träger vgl Gerenkamp, ZfF 2007, 106; anders Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2008, 10). |
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| Hieraus folgt, dass auch die Höhe des gemäß §§ 11, 30 SGB II zu berücksichtigenden Erwerbseinkommens der Eltern die Leistungshöhe (den ungedeckten Bedarf) der Kinder beeinflusst. Wäre das im Rahmen der § 11 Abs 2 SGB II und § 30 SGB II zu bereinigende Elterneinkommen niedriger anzusetzen, so würde der - ungedeckte - Bedarf der Bedarfsgemeinschaft insgesamt und damit auch der Bedarf der Kläger steigen. Diese Zusammenhänge erhellt die in den in Bezug genommenen Verwaltungsakten vorliegende sog Horizontalberechnung der Beklagten für den Monat Januar 2005. Zunächst war gemäß § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II das Kindergeld schon bei der Errechnung des Bedarfs der Kinder abzusetzen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird (zur Verfassungsgemäßheit dieser Regelung vgl bereits BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 30; sowie Urteil vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 61/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 12). Als Erwerbseinkommen seitens des Vaters wurden ausweislich dieses Bescheides monatlich 607,15 Euro berücksichtigt, was mit den im Urteil des LSG wiedergegebenen "Absetzbeträgen" von 583,78 Euro in Einklang zu bringen ist. Unter Anwendung des § 19 Satz 2 SGB II wurde von der Beklagten dieses Einkommen sodann zunächst bei den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) berücksichtigt. Die den vier Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zustehenden Regelleistungen in Höhe von 2 x 311 Euro (§ 20 Abs 3 Satz 1 SGB II) und 2 x 207 Euro (§ 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II) minderte die Beklagte um das anteilig auf die vier Köpfe der Bedarfsgemeinschaft umgelegte Einkommen des Vaters in Höhe von 607,15 Euro. Entsprechend den Anteilen am Gesamtbedarf wurde von der Beklagten sodann ein Berücksichtigungsbetrag von 212,01 Euro bei den Eltern und von je 91,57 Euro bei den Kindern aus den 607,15 Euro Einkommen errechnet. Mithin überstieg nach dieser Berechnung das zu berücksichtigende Einkommen der beiden Kinder (je 91,57 Euro anteilig aus dem Einkommen des Vaters und das ihnen zustehenden Kindergeld in Höhe von 154 Euro monatlich) ihren Bedarf an Leistungen bei der BA in Höhe der Regelleistung nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II (Sozialgeld) von 207 Euro monatlich. |
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Die Kläger haben bislang im streitigen Zeitraum ausweislich der in Bezug genommenen Bescheide wegen der Rangfolge der Berücksichtigung von Einkommen gemäß § 19 Satz 2 SGB II überhaupt keine Regelleistungen gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II erhalten, sondern nur anteilige Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II. Der erkennende Senat hat deshalb in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 27.1.2009 ausgeführt, dass den Klägern im vorliegenden Fall unter drei Voraussetzungen höhere Leistungen zustehen könnten. Dies wäre der Fall: |
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wenn das zu berücksichtigende Einkommen des Vaters bzw der Eltern im Rahmen des SGB II gemäß §§ 9, 11, 30 SGB II falsch berechnet worden wäre, was zur Folge hätte, dass der ungedeckte Bedarf der Bedarfsgemeinschaft insgesamt höher würde; |
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die angemessenen Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II (auf der Bedarfsseite) in unzutreffender Weise berechnet oder festgesetzt worden wären und schließlich |
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die Höhe der den Grundbedarf festlegenden Regelleistungen in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 (bzw § 20 Abs 2) SGB II vom Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise falsch festgesetzt worden wäre, was ebenfalls den Bedarf in der Bedarfsgemeinschaft insgesamt erhöhen würde. |
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| Der Senat hat seinerzeit auch darauf hingewiesen, dass er über die Möglichkeiten für die Kläger zu einer höheren Leistung zu gelangen, die unter a) und b) genannt sind, auf Grund der fehlenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden kann. Das LSG hat sich in dem angefochtenen Urteil lediglich auf eine Prüfung der Verfassungsgemäßheit der Festsetzung der Höhe der Regelleistung gemäß § 20 SGB II beschränkt und zu der Höhe und Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II ebenso wie zu den Nebeneinkünften der Eltern der Kläger gemäß §§ 11, 30 SGB II keinerlei Feststellungen getroffen. Insofern ist der Rechtsstreit jetzt an das LSG zurückzuverweisen, das abschließend über die Höhe der Ansprüche der Kläger unter Berücksichtigung dieser beiden Sachverhaltselemente zu entscheiden haben wird. |
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| 2. Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen hingegen mehr dagegen, dass die Beklagte die Regelleistungen der Kläger für den hier streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.4.2005 gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II mit jeweils 207 Euro festgesetzt hat. Das BVerfG hat in dem zitierten Urteil vom 9.2.2010 zwar § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Zugleich hat es jedoch deutlich gemacht (Bl 74 des Originalurteils, RdNr 211 der elektronischen Fassung), dass nicht festgestellt werden könne, dass die zum damaligen Zeitpunkt gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge evident unzureichend sind. Der Gesetzgeber sei daher auch nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet, rückwirkend höhere Leistungen festzusetzen. Weiterhin hat das BVerfG auf Bl 76 (RdNr 217) des Urteils deutlich gemacht, dass eine rückwirkende Neufestsetzung etwaiger höherer Leistungen für den gesamten Zeitraum ab dem 1.1.2005 auch unvertretbare fiskalische Wirkungen hätte. Von einer Rückwirkung der Neuregelung könne der Gesetzgeber daher absehen, weil im Hinblick auf die beanstandeten Vorschriften eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar ist, sondern diesen allein ein nicht realitätsgerechtes Verfahren der Ermittlung des Existenzminimums zu Grunde liege. Folglich ist im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die den Klägern im Jahre 2005 bewilligte Regelleistung in Höhe von 207 Euro für den hier streitigen Zeitraum hinzunehmen ist, weil eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar ist. Das BVerfG hat in seinem Urteil den ihm vom Senat vorgelegten Sachverhalt umfassend verfassungsrechtlich gewürdigt. Eine solche verfassungsrechtliche Prüf- und Verwerfungskompetenz steht nach der Rechtsordnung des GG ausschließlich dem BVerfG zu (vgl Art 93 GG iVm Art 100 GG). Entgegen der Rechtsansicht der Revision ist es dem Senat deshalb auch verwehrt, nunmehr selbst auf den Prüfungsgesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG abzustellen, nur weil das BVerfG einen anderen verfassungsrechtlichen Prüfungsschwerpunkt (Art 1 GG) gewählt hat. Würde der Senat weiterhin einen Gleichheitsverstoß gemäß Art 3 Abs 1 GG als gegeben erachten, so hätte er gemäß Art 100 GG erneut den Rechtsstreit dem BVerfG vorlegen müssen. |
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| 3. Hierzu besteht aber keinerlei Veranlassung, ebenso wenig wie die von den Klägern hilfsweise angeregte "Vorlage" an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bzw an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Betracht kommt. |
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| Es ist nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht vorgetragen, dass die spezifischen Voraussetzungen des Art 267 (vormals Art 234 EG) der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (- VAEU -, Abl EU 2010 Nr 83/47 vom 30.3.2010) vorliegen. Insbesondere ist es nicht Aufgabe des EuGH, Urteile des BVerfG als letzte Instanz zu überprüfen, wovon die Revision offenbar ausgeht. Eine "Vorlage" eines innerstaatlichen Gerichts an den EGMR ist nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl II 2002, 1054) ohnehin nicht vorgesehen. Die EMRK kennt in Art 33 und 34 nur die Staaten- bzw die Individualbeschwerde. Ein Verfahren, wie es Art 100 GG und Art 267 VAEU vorsehen - Aussetzung des Verfahrens durch Beschluss und Vorlage an das kompetenzmäßig zur Klärung der verfassungs- oder europarechtlichen (Vor)Frage durch das hierfür zuständige Gericht - kennt die EMRK nicht. |
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| Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits unter Beachtung des gesamten Verfahrensgangs zu entscheiden haben. Hierbei wird auch zu berücksichtigen sein, dass das BVerfG (Bl 77 des Urteils; RdNr 219) davon ausgegangen ist, dass die Verfassungswidrigkeit des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II bei Kostenentscheidungen zu Gunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen ist. |
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