Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 22.4.2009 - B 3 KR 24/07 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.5.2013 - B 3 KR 32/12 R -, Urteil des 1. Senats vom 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.5.2013 - B 3 P 5/12 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.5.2013 - B 3 P 2/12 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.5.2013 - B 3 P 1/12 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.5.2012 - B 3 KR 14/11 R -
Kassel, den 16. Mai 2013
Terminbericht Nr. 23/13
(zur Terminvorschau Nr. 23/13)
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 16. Mai 2013 wie folgt:
1) Der Senat hat die Revision des klagenden
Krankenhauses zurückgewiesen, obwohl die beklagte Krankenkasse das
Verfahren zur Rechnungsprüfung in doppelter Hinsicht verletzt hat und
die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen in wesentlichen Punkten
falsch sind: Eine Rechnungsprüfung nach § 275 Abs 1 Nr 1, 2. Alt SGB V
ist grundsätzlich nur zulässig, wenn sich Auffälligkeiten ergeben, die
die Krankenkasse von sich aus oder ohne weitere Sachverhaltsermittlung
und -bewertung durch den MDK nicht klären kann (vgl BSG, U. v.
13.11.2012 ‑ B 1 KR 24/11 R ‑ RdNr 18 mwN). Solche Auffälligkeiten hat
die Beklagte hier nicht benannt; ihre Behauptung, die Operation hätte
schon am Aufnahmetag durchgeführt werden können, hat sie nicht belegt.
Das Schreiben vom 22.12.2006 deutet vielmehr darauf hin, dass es sich um
eine routinemäßige Abfrage gehandelt hat mit dem Ziel, die Dauer der
Krankenhausbehandlung zu verkürzen und somit die sog "Untere
Grenzverweildauer" (uGVD) zwecks Kostenreduzierung zu unterschreiten.
Die Rechnungsprüfung hätte demnach gar nicht durchgeführt werden dürfen
(BSG, U. v. 13.12.2012 aaO). Die Beklagte hat zudem das dreistufige
Prüfverfahren (vgl BSG, U. v. 22.4.2009 ‑ B 3 KR 24/07 R ‑ SozR 4‑2500
§ 109 Nr 18 RdNr 24 ff) verletzt, indem sie die Klägerin wiederholt zur
Angabe medizinischer Gründe bzw zur Vorlage medizinischer Unterlagen an
den MDK aufgefordert hat. Eine solche Verlagerung der gesetzlichen
Obliegenheiten ist unzulässig; nach § 275 Abs 1 sind die Krankenkassen
‑ vom Ausnahmefall des § 301 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V abgesehen ‑
grundsätzlich verpflichtet, bei medizinischen Fragestellungen den MDK
einzuschalten. Dies hat auch das LSG verkannt, weil es sowohl eine im
Gesetz nicht vorgesehene Ausnahme von dieser Verpflichtung statuiert
‑ "dürfte diese Verlagerung des Prüfverfahrens auf den MDK unpraktikabel
sein" ‑ und sich zudem nicht an die Vorgaben des dreistufigen
Prüfungsverfahrens (BSG, U. v. 22.4.2009 aaO) gehalten hat.
Der Senat hat die Revision trotzdem zurückgewiesen, weil das LSG auf der
Grundlage der erstinstanzlich eingeholten Stellungnahme des MDK
festgestellt hat, dass eine stationäre Behandlung schon am 20.11.2006
nicht erforderlich gewesen ist; dem hat die Klägerin selbst im
Revisionsverfahren nicht widersprochen. Es bestand auch ‑ anders als in
dem vom Senat zu § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V entschiedenen Fall (BSG, U.
v. 16.5.2012 ‑ B 3 KR 14/11 R) ‑ kein Beweisverwertungsverbot, weil der
Beklagten kein so gravierendes Fehlverhalten vorzuwerfen ist, dass die
gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr hätten verwertet werden dürfen (wie
zB in den sog "Berliner Fällen" -‑ BSGE 89, 104 = SozR 3‑2500 § 112
Nr 2). Etwas anderes könnte aber gelten, wenn die Krankenkasse
systematisch und ohne konkreten Anlass Behandlungsfälle an der uGVD
geprüft hätte; dies würde den Verdacht nahelegen, dass es sich um reine
Prüfungen zum Zwecke der Kostenreduzierung handelt. Denn eine
Krankenhausbehandlung ist nicht allein deshalb "auffällig", weil sie
sich zeitlich innerhalb der uGVD hält. Ein solcher Fall war hier indes
nicht feststellbar.
SG Halle
- S 17 KR 71/07 -
LSG
Sachsen-Anhalt
- L 4 KR 17/11 -
Bundessozialgericht
- B 3 KR 32/12 R -
2) Der Senat hat
die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Es bestehen grundsätzlich zwei
Möglichkeiten, wie Pflegeheime ein Erhöhungsverlangen umsetzen können:
Der Weg über § 87a Abs 2 SGB XI setzt die Aufforderung des Heimträgers
an den Pflegebedürftigen voraus, bei der Pflegekasse die Zuordnung zu
einer höheren Pflegestufe zu beantragen; dies ist hier ersichtlich nicht
geschehen. Nach § 84 Abs 2 Satz 3, 2. Halbs SGB XI ist als andere
Alternative ein Antrag des Heimträgers an die Pflegekasse erforderlich,
eine von der Pflegestufe abweichende Pflegeklasse festzusetzen. Einen
solchen Antrag hat die Klägerin hier gestellt; entgegen der Meinung des
LSG waren dabei die Verfahrensgrundsätze des § 87a Abs 2 Satz 1 und 2
SGB XI nicht anzuwenden. Die Pflegekasse hätte daraufhin den MDK
beauftragen müssen, um das erforderliche Einvernehmen iSv § 84 Abs 2
Satz 3, 2. Halbs SGB XI herzustellen oder aber ein solches abzulehnen.
Dieses Einvernehmen ist materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung
einer Pflegeklassen-Höherstufung; im vorliegenden Fall fehlt es daran.
Im Übrigen ist die Zahlungsklage des Heimträgers gegen die Pflegekasse
auch deshalb unbegründet, weil die Pflegekasse zwar Herrin des
Verfahrens nach § 84 Abs 2 Satz 3, 2. Halbs SGB XI ist, die konkrete
Zahlungsklage aus einer höheren, von der zuerkannten Pflegestufe
abweichenden Pflegeklasse letztlich aber nur gegen den Versicherten aus
dem Heimvertrag möglich ist. Denn die Zahlungsverpflichtung der
Pflegekasse bei stationärer Pflege richtet sich nur nach der
Pflegestufe, nicht nach der Pflegeklasse.
SG Duisburg
- S 15 P 167/06 -
LSG
Nordrhein-Westfalen
- L 10 P 105/10 -
Bundessozialgericht
- B 3 P 1/12 R -
3) Der Senat hat
die Revision zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des LSG ist die
‑ jetzt nur noch streitige ‑ vorbeugende Unterlassungsklage mit dem
Ziel, die Erstellung und Veröffentlichung weiterer Transparenzberichte
über die Einrichtung der Klägerin zukünftig zu unterlassen, mangels
eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Klägerin
drohen keine unzumutbaren Nachteile, wenn sie auf nachgängigen
Rechtsschutz verwiesen wird. Eine abstrakte Normenkontrolle ist insoweit
im SGG nicht vorgesehen. Doch auch bei Betrachtung der früher anhängigen
Anträge auf Fortsetzungsfeststellung hätte die Klägerin keinen Anspruch
darauf, die Rechtswidrigkeit der Erstellung und Veröffentlichung von
Transparenzberichten feststellen zu lassen. Sie ist in der Sache nicht
mehr beschwert und kann auch kein aus Art 19 Abs 4 GG herzuleitendes
Rehabilitationsinteresse anführen, welches das BVerfG zB annimmt in
Fällen, in denen schwerwiegende Grundrechtseingriffe erfolgt sind und
wegen Zeitablaufs keine Möglichkeit mehr zur gerichtlichen Klärung
besteht. Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; in Rede
stehen lediglich Berufsausübungsregelungen, hinsichtlich derer die
Klägerin selbst keine schwerwiegenden Grundrechtsverstöße benennen
konnte und die im Übrigen auch der Senat nicht für verfassungsrechtlich
bedenklich erachtet.
SG Köln
- S 23 P 235/09 -
LSG
Nordrhein-Westfalen
- L 10 P 137/11 -
Bundessozialgericht
- B 3 P 5/12 R -
4) Der Senat hat
die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Schiedsstelle bei
ihrer erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des erkennenden Senats
zugrunde zu legen hat. Unter Anknüpfung an seine jüngere Rechtsprechung
(U. v. 29.1.2009 - BSGE 102, 227 - und U. v. 17.13.2009 ‑ BSGE 105,
126 ‑) hat der Senat noch einmal bekräftigt, dass wirtschaftlich
angemessene Pflegesätze gemäß § 84 SGB XI in einem zweistufigen
Verfahren festzustellen sind: Die von einer stationären
Pflegeeinrichtung beanspruchte Vergütung ist leistungsgerecht, wenn die
von dem Heimträger zugrunde gelegten voraussichtlichen Gestehungskosten
nachvollziehbar sind (Plausibilitätskontrolle) und sie im Vergleich mit
der Vergütung anderer Einrichtungen (externer Vergleich) den Grundsätzen
wirtschaftlicher Betriebsführung entspricht. Dabei ist die
Berücksichtigung von Tarif- oder entsprechenden Entgelten in aller Regel
als plausibel anzuerkennen und entspricht wirtschaftlicher
Betriebsführung. Damit sollen insbesondere einer Tarifflucht
entgegengewirkt und Lohndumping sowie Outsourcing vermieden werden.
Andererseits dürfen unangemessene Lohnsteigerungen nicht automatisch an
die Versicherten weitergegeben werden. Dieses Spannungsverhältnis hat
der Senat wie folgt gelöst: Bei extremen Ausreißern im Lohn- und
Tarifgefüge ist eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen, bei der
sachliche Gründe für die Lohn-/Gehaltshöhe darzulegen sind. Solche Fälle
werden äußerst selten vorkommen; der hier streitige Fall gehört sicher
nicht dazu. Im Übrigen ist das Entgeltgefüge einer Pflegeeinrichtung zu
akzeptieren. Gleichwohl ist auf der 2. Stufe ‑ beim externen Vergleich ‑
eine Gesamtbetrachtung durchzuführen, soweit der geforderte Pflegesatz
nicht im unteren Drittel der Vergütungen vergleichbarer Einrichtungen
liegt. Entscheidend kommt es bei dieser Gesamtbewertung darauf an, ob
der von der Einrichtung geforderte Vergütungssatz im Vergleich mit
günstigeren Pflegesätzen und Entgelten anderer Einrichtungen im Hinblick
auf die Leistungen der Einrichtung und die Gründe für ihren höheren
Kostenaufwand (dennoch) als insgesamt angemessen und deshalb
leistungsgerecht iSv § 84 Abs 2 Satz 1 SGB XI anzusehen ist. Unter
Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das LSG den angegriffenen
Schiedsspruch zu Recht aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung
verpflichtet. Wenn beim externen Vergleich eine Gesamtbetrachtung
erfolgt und diese eine Verringerung der geforderten Pflegesätze zur
Folge hat, dann müssen die Maßstäbe hierfür nachvollziehbar dargestellt
werden.
Wie der
Senat ebenfalls schon wiederholt festgestellt hat, umfasst die
leistungsgerechte Vergütung einer Einrichtung auch eine angemessene
Vergütung ihres Unternehmerrisikos. Hierzu zählen nicht Wagnis- und
Risikozuschläge oder solche für höhere Gewalt, wie sich schon aus § 85
Abs 7 SGB XI ergibt, sondern im Ergebnis die Möglichkeit zur
Gewinnerzielung, denn "Überschüsse verbleiben beim Pflegeheim, Verluste
sind von ihm zu tragen" (§ 84 Abs 2 Satz 5 SGB XI). Ein solcher Zuschlag
für angemessene Vergütung kann als umsatzbezogener Prozentsatz
berücksichtigt oder auch ‑ wie hier ‑ über die Auslastungsquote
gesteuert werden. Letzteres setzt aber voraus, dass die Auslastungsquote
im externen Vergleich realistisch angesetzt wird und bei ordnungsgemäßer
Betriebsführung auch zu einem Unternehmensgewinn führen kann. Hierzu
enthält der Schiedsspruch keine ausreichenden Feststellungen; sie sind
nachzuholen. Dabei wird die Schiedsstelle auch zu prüfen haben, ob die
Parteien des Pflegesatzverfahrens gemäß § 85 Abs 2 SGB XI zutreffend
beteiligt worden sind.
Der "hilfsweise" geltend gemachte Zuschlag zur Eigenkapitalverzinsung
ist von der Klägerin nicht mit Fakten belegt worden. Die beklagte
Schiedsstelle hat diese Position deshalb zu Recht nicht berücksichtigt.
Im Übrigen sind finanzielle Rückstellungen für den Pflegebetrieb
typischer Teil des Unternehmerrisikos und deshalb in der Regel nicht
gesondert zu berücksichtigen.
LSG Baden-Württemberg
- L 4 P 1629/10 KL -
Bundessozialgericht
- B 3 P 2/12 R -