Kassel, den 1. März 2012
Terminbericht Nr. 11/12 (zur
Terminvorschau Nr. 11/12)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet
über seine Sitzung vom 29. Februar 2012.
1) Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Unter Aufhebung der
entgegenstehenden Entscheidungen war festzustellen, dass die beigeladene
Ehefrau des Klägers vom 1.3.2000 bis 31.7.2006 bei der Beklagten
familienversichert war. Der vom LSG angenommene Ausschlussgrund des § 10
Abs 1 Nr 4 SGB V, wonach
nur Personen familienversichert sein können, die "nicht
hauptberuflich selbstständig erwerbstätig" sind, liegt nicht
vor. Die Beigeladene arbeitete nach den für den Senat bindenden
Feststellungen des LSG nicht aktiv im Unternehmen mit, sondern nahm
ausschließlich die mit ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung als
Kommanditistin der GmbH & Co KG und als Alleingesellschafterin der
Komplementär-GmbH verbundenen Pflichten wahr. Nach der Rechtsprechung
des Senats (BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 9)
führt dies nicht schon zum Ausschluss von der Familienversicherung. Die
Herleitung einer sozialrechtlich relevanten (hauptberuflichen) Tätigkeit
allein aus der selbstständigen Ausübung durch das LSG
berücksichtigt nicht, dass es vorliegend nicht um die Abgrenzung
zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung geht, sondern darum,
ob überhaupt eine sozialversicherungsrechtlich relevante
"Tätigkeit" ausgeübt wurde. Selbst wenn man von einer
solchen Tätigkeit der Beigeladenen ausginge, übte sie diese
jedenfalls nicht hauptberuflich aus. Der Senat hat bereits zu § 240 Abs 4 S 2 SGB V die Hauptberuflichkeit einer
selbstständigen Tätigkeit nicht nur deshalb angenommen, weil
daneben keine weitere Tätigkeit oder Beschäftigung ausgeübt
wurde, sondern hat auf deren Umfang abgestellt (Urteil vom 10.3.1994 - 12 RK
3/94 - Die Beiträge 1994, 479). Das gilt auch im Rahmen des § 10 Abs 1 Nr 4 SGB V. Ein
anspruchsausschließender Umfang wird jedoch vorliegend nicht erreicht.
Eine hauptberufliche Selbstständigkeit lässt sich auch nicht daraus
herleiten, dass "die Beigeladene" mindestens einen Arbeitnehmer
beschäftigt habe; ein solches Merkmal enthält schon der Wortlaut
des § 10 Abs 1 Nr 4
SGB V im Gegensatz zu anderen Regelungen nicht. Für die
Familienversicherung des SGB V kann im Wege richterlicher Rechtsfortbildung
im Übrigen nicht ohne Weiteres dieselbe Rechtsfolge herbeigeführt
werden wie in dem vom 12. Senat zu § 205 RVO entschiedenen Fall, dass
der Arbeitgeber-Ehegatte das Unternehmen - anders als vorliegend - als
natürliche Person aktiv selbst betreibt (BSGE 44, 142 = SozR 2200 §
205 Nr 13). Insoweit wäre der Gesetzgeber zu
einer Änderung der Rechtslage berufen.
SG Lübeck - S 19 KR 236/05 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 5 KR 48/08 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 4/10 R -
2) Die Revision des Klägers war erfolgreich, sodass im Wesentlichen das
der Klage stattgebende SG-Urteil wieder herzustellen war. Die noch
angefochtenen, die Zeit ab 1.1.2004 betreffenden Bescheide sind rechtswidrig,
soweit darin ein höherer Beitrag festgesetzt worden ist als er sich nach
der Beitragsklasse ergibt, welcher der Kläger ohne eine
Berücksichtigung seiner Beteiligung an der L-GmbH zuzuordnen ist.
Für die Berücksichtigung dieser Beteiligung bei der
Beitragsbemessung fehlt es entgegen der Ansicht des LSG an einer
Rechtsgrundlage, denn die von der Beklagten dafür herangezogenen
Satzungsbestimmungen verstoßen gegen § 39 Abs
1 S 1 Nr 1, § 40 Abs
1 S 2 KVLG 1989. Das bei versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen
Unternehmern der Beitragsbemessung zugrunde zu legende Einkommen wird
abschließend durch § 39 Abs 1 S 1 KVLG
1989 festgelegt. Die Regelungen des KVLG 1989 enthalten kein
"Bemessungsgrundlagen-Findungsrecht" im Sinne einer
Ermächtigung, über die begrifflichen Grenzen des in dieser Regelung
genannten Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft hinaus auch anderes
Einkommen für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Nach dem KVLG 1989
der Beitragsbemessung unterliegendes Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft
ist im Regelfall unter Rückgriff auf § 13 EStG von anderen
Einkünften abzugrenzen. Hierfür spricht auch der systematische
Zusammenhang mit dem in § 39 Abs 1 S 1 Nr 4 KVLG 1989 verwendeten Begriff
"Arbeitseinkommen", der nach stRspr des
BSG durch das EStG auszufüllen ist. Für diese Auslegung spricht
entscheidend auch die Parallele zur Ausgestaltung der Beitragsbemessung
für Pflicht- und freiwillig Versicherte im zeitgleich geschaffenen SGB
V. Das SGB V lässt die Berücksichtigung nicht aus der
versicherungspflichtigen Tätigkeit erzielten Einkommens nur beim
zeitgleichen Bezug von Renten und/oder Versorgungsbezügen ( § 226 Abs 1 Nr 4 SGB V) oder bei
freiwillig Versicherten ( § 240 SGB V) zu. Argumente für eine
abweichende Auslegung des § 39 Abs 1 S 1 Nr 1 KVLG 1989 überzeugen nicht.
SG Chemnitz - S 11 KR 35/05 -
Sächsisches LSG - L 1 KR 83/06 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 7/10 R -
zu 3) und 4)
Die Sprungrevisionen der Kläger hatten keinen Erfolg. Wie beide SGe zu Recht entschieden haben, können die
Kläger die teilweise Erstattung des Arbeitnehmer- bzw
Arbeitgeberanteils der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für
das Jahr 2005 (Verfahren B 12 KR 5/10 R) bzw des
Arbeitgeberanteils für das Jahr 2008 (Verfahren B 12 KR 10/11 R) nicht
beanspruchen. Der Senat hält § 46 Abs 4
SGB II weder in seiner bis Ende 2007 geltenden Fassung
("Aussteuerungsbetrag") noch in seiner aktuellen Fassung
("Eingliederungsbeitrag") für verfassungswidrig. Zur
Aussetzung der Revisionsverfahren und Vorlage an das BVerfG nach Art 100 GG
bestand daher keine Veranlassung. Die Kläger waren als Beitragszahler
ausnahmsweise (vgl BSGE 81, 276 = SozR 3-2600
§ 158 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 266 Nr 5) unter Berücksichtigung des Beschlusses des
BVerfG vom 2.8.2010 (1 BvR 2392/08 ua, SozR 4-4200 § 46 Nr 1)
befugt, die Höhe der Pflichtbeiträge im sozialgerichtlichen
Verfahren auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu
lassen. Der Senat ist ihnen aber - trotz ihres zutreffenden Ausgangspunkts
der engen Zweckbindung von Sozialversicherungsbeiträgen - im Ergebnis
nicht gefolgt. Selbst wenn man annähme, dass "Aussteuerungsbetrag"
und "Eingliederungsbeitrag" sich jeweils auf die konkrete
Beitragshöhe auswirkten, wurden Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung jedenfalls nicht iS von
§ 26 Abs 2 SGB IV "zu Unrecht"
entrichtet. Nur dann nämlich, wenn bei der Verwendung des Aufkommens aus
Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung bestimmte äußerste
Grenzen überschritten werden, kann dies - auch ausgehend von dem oa Beschluss des BVerfG - ausnahmsweise auch für die
Beitragszahler grundrechtlich bedeutsam sein. Hier hat der Gesetzgeber diese
Grenzen des zulässigen Einsatzes von Beitragsmitteln indessen
eingehalten. Die auf der Grundlage des § 46 Abs
4 SGB II erfolgten Zahlungen der BA an den Bund haben einen noch
hinreichenden Bezug zu den beitragsfinanzierten Aufgaben der
Arbeitsförderung nach dem SGB III. Dazu gehört seit jeher nicht nur
die Gewährung von Entgeltersatz bei Arbeitslosigkeit, sondern auch die
Eingliederung in Arbeit. Die Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung der BA
für Letzteres entfiel ab 2005 nicht vollständig, auch wenn nach
Einführung des SGB II die Aufgabe, Erwerbsfähige in Arbeit
einzugliedern, nun nicht mehr umfassend ihr, sondern - für
Empfänger steuerfinanzierter Grundsicherungsleistungen - auch dem Bund
oblag. § 46 Abs 4 SGB II und die damit
verfolgten Zwecke haben einen hinreichenden Bezug zur
"Arbeitsvermittlung sowie Sozialversicherung einschließlich der
Arbeitslosenversicherung" iS von Art 74 Abs 1 Nr 12 GG. Die
beschränkt fortbestehende Verantwortlichkeit der BA korrespondierte mit
der begrenzten Höhe der Zahlungen. Die angestrebte Integration von SGB
II-Leistungsempfängern in den Arbeitsmarkt eignete sich zudem, die Zahl
der Beitragszahler zu erhöhen und kam so zeitversetzt dem SGB
III-Leistungssystem zugute. Die Konstellation weist insoweit Parallelen zu
der vom BVerfG bestätigten Finanzierung sozialrechtlicher Folgen der
deutschen Einigung aus Beitragsmitteln auf (BVerfG SozR 3-2600 § 158 Nr 2 zu BSGE 81, 276 = SozR 3-2600 § 158 Nr 1; vgl ferner zu den Grenzen
im Sozialleistungsbereich Arbeitslosenversicherung zB
BVerfGE 113, 167 = SozR 4-2500 § 266 Nr 8, RdNr 111 mwN).
Die ab 2008 mit dem "Eingliederungsbeitrag" mitfinanzierten, vom
Bund wahrgenommenen Aufgaben sind aus ähnlichen Gründen ebenfalls
noch hinreichend mit dem im SGB III geregelten Ziel aktiver
Arbeitsförderung verknüpft. Das zeigt nun die pauschale Ausrichtung
der Höhe des Eingliederungsbeitrags an den Aufwendungen für die
Eingliederung von SGB II-Leistungsbeziehern. Von den Eingliederungsleistungen
des Bundes kann darüber hinaus auch der Personenkreis der sog "Aufstocker" profitieren, die sogar Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung entrichten.
Die Kläger konnten wegen der dargestellten Einhaltung der
kompetenzrechtlichen Grenzen nicht mit Erfolg geltend machen, sie würden
hier durch die Erhebung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung in
ihrer durch Art 2 Abs 1 GG geschützten
allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Auch ein Verstoß gegen ihr
Eigentumsrecht liegt nicht vor - schon das BVerfG hat in seinem Beschluss vom
2.8.2010 (aaO) verneint, dass gezahlte
Beiträge insoweit eine von Art 14 Abs 1 GG
geschützte vermögensrechtliche Position der Beitragszahler
darstellen. Eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung zwischen -
doppelbelasteten - Versicherten der Arbeitslosenversicherung einerseits und
Steuerbürgern, die nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert
sind, andererseits ist ebenfalls nicht erkennbar, weil die Versicherten einen
systemeigennützigen Solidarbeitrag leisten, der der eigenen
Solidargemeinschaft und damit ihnen selbst zugutekommt.
Die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge waren zulässig,
blieben jedoch aus den gleichen Gründen wie die Hauptanträge in der
Sache ohne Erfolg.
3) SG Berlin - S 72 KR 3322/06 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 5/10 R -
4) SG Darmstadt - S 10 KR 253/09 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 10/11 R -
Die Urteile, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, werden nicht in der
Sitzung verkündet. Sofern die Ergebnisse von allgemeinem Interesse sind,
erscheint ein Nachtrag zum Terminbericht nach Zustellung der Urteile an die
Beteiligten.
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