Kassel, den 18. Juni 2012
Terminvorschau Nr. 34/12
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am
27. Juni 2012 im Jacob-Grimm-Saal auf Grund mündlicher Verhandlung über fünf
Revisionen zu versicherungs- und beitragsrechtlichen Fragen der Kranken-,
Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu entscheiden.
1) 9.30 Uhr - B 12 KR 11/10 R - K. u. a. ./. AOK - Die Gesundheitskasse in
Hessen
1 Beigeladene
Die Kläger sind Erben der 1947 geborenen, im Verlaufe des Revisionsverfahrens
verstorbenen K., die seit 1998 über ihren Ehemann beihilfeberechtigt sowie
privat krankenversichert war. Vor beabsichtigter Aufnahme einer konkret ins
Auge gefassten versicherungspflichtigen Beschäftigung zum 7.1.2008 sprach der
Ehemann der K. am 2.1.2008 bei der beklagten AOK vor. Dabei wurde ihm für K.
nach Austausch von Informationen eine "Mitgliedsbescheinigung zur
Vorlage beim neuen Arbeitgeber oder der Arbeitsagentur" mit
Begleitschreiben ausgehändigt. In der Bescheinigung heißt es ua, K. sei "seit 7.1.2007" Mitglied der
Beklagten gemäß § 175 SGB V. Mit Schreiben vom 3.1.2008 kündigte K. ihre
private Kranken- und Pflegeversicherung. Die geplante Beschäftigung nahm sie
nicht auf, sondern war vom 17.1. bis 7.7.2008 geringfügig beschäftigt. Am
24.4.2008 erkundigte sie sich bei der Beklagten telefonisch nach einer
möglichen freiwilligen Versicherung, was diese verneinte. Nachdem K. am
9.7.2008 eine neue, von einem Arbeitgeber gemeldete versicherungspflichtige
Beschäftigung begonnen hatte, entschied die Beklagte, dass K. insoweit -
wegen bereits vollendeten 55. Lebensjahres und fehlender Vorversicherungszeit
- kranken- und pflegeversicherungsfrei sei. Das SG hat dagegen unter
Aufhebung der Bescheide der Beklagten festgestellt, dass K. seit 9.7.2008 der
Versicherungspflicht unterlegen habe. Das LSG hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen: Zwar sei K. von dem Datum an nach § 6 Abs
3a SGB V versicherungsfrei gewesen, jedoch stelle die Mitgliedsbescheinigung
vom 2.1.2008 einen - rechtswidrigen, aber fortbestehenden - Verwaltungsakt
der Beklagten mit dem Regelungsinhalt dar, dass K. als Pflichtmitglied
aufgenommen werde, sobald ein Arbeitgeber ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis melde; daran sei die Beklagte gebunden.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 6 Abs 3a S 1 SGB V und § 31 SGB X. K. sei ab 9.7.2008
versicherungsfrei gewesen. Die Bejahung eines Verwaltungsakts mit dem vom LSG
angenommenen Regelungsinhalt sei rechtsfehlerhaft. Die Mitgliedsbescheinigung
habe nur dazu gedient, gegenüber dem betreffenden Arbeitgeber die Ausübung
des Krankenkassen-Wahlrechts nachzuweisen und sei auf ein bestimmtes
Beschäftigungsverhältnis beschränkt gewesen; ein Regelungswille für eine
künftige freie Verwendung der Bescheinigung lasse sich Wortlaut und Umständen
nicht entnehmen. Die Anfrage der K. nach einer freiwilligen Versicherung
belege, dass sie sogar selbst nicht mehr davon ausging, bereits
Pflichtmitglied zu
sein oder werden zu können. Nach der Rechtsprechung des BSG seien
Begrüßungsschreiben oder Mitgliedsbescheinigungen keine Verwaltungsakte, die
den Beginn einer Mitgliedschaft regelten (BSG SozR 3-2500 § 9 Nr 3; SozR 3-2200 § 306 Nr 2 ).
Das LSG habe zudem den Rahmen rechtmäßiger Beweiswürdigung überschritten.
SG Darmstadt - S 13 KR 414/08 -
Hessisches LSG - L 8 KR 154/09 -
2) 10.15 Uhr - B 12 KR 18/10 R - S. ./. LKK Schleswig-Holstein und Hamburg
Die Klägerin betrieb eine Pensionsstallhaltung für Pferde auf einem durch
ihren Ehemann gepachteten Hof, zu dem Grünland gehörte, das den Pferden als
Auslauf und Weide diente. Die gesetzliche Unfallversicherung wurde bei der
Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen durchgeführt (Betriebsschwerpunkt:
Reittier-, Gespann-, Stallhaltung), wobei wegen Geringfügigkeit eine
Befreiung von der Unternehmerversicherung erfolgte. Von der
Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Land-wirte war die Klägerin
mit Blick auf das aus der Pensionsstallhaltung erzielte regelmäßige
außerland-wirtschaftliche Einkommen von mehr als 4800 Euro jährlich befreit.
Im November 2006 bzw Januar 2007 stellte die
beklagte LKK die Versicherungspflicht der Klägerin in der Krankenversicherung
der Landwirte (KVdL) ab 1.12.2006 bzw 1.12.2005 und die zu entrichtenden Beiträge fest.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das SG die Klage abgewiesen, da
die landwirtschaftlich genutzten Flächen die Mindestgröße überschritten und
die Beweidung eine versicherungspflichtige Bodenbewirtschaftung darstelle.
Versicherungsfreiheit liege nicht vor, da die Pensionsstallhaltung keine selbst-ständige
Erwerbstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft sei, sondern zusammen mit der Bodenbewirt-schaftung ein einheitlicher Betrieb. Auf die
Berufung der Klägerin hat das LSG das SG-Urteil und die Bescheide aufgehoben:
Die Klägerin sei nicht in der KVdL
versicherungspflichtig, sondern nach § 2 Abs 4a
KVLG 1989 versicherungsfrei gewesen: Wie sich aus Gesetzeswortlaut und
-materialien ergebe, greife die Regelung auch ein, wenn ein Unternehmer in
einem als Gesamtunternehmen veranlagten gemischten Betrieb sowohl eine
landwirtschaftliche als auch eine gewerbliche Unternehmertätigkeit ausübe.
Eine Abgrenzung sei nach dem Schwerpunkt des Unternehmens vorzunehmen. Der
Vergleich der Arbeitszeit, die die Klägerin für ihr Gesamtunternehmen
aufgewendet habe, ergebe hier, dass die Pensionsstallhaltung hauptberuflich
selbstständige Erwerbstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft sei; denn Tiere
seien nur gelegentlich auf die Weide verbracht worden.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 4a KVLG 1989. Danach bestehe Versicherungsfreiheit
nur bei hauptberuflich selbstständiger Erwerbstätigkeit "außerhalb der
Land- und Forstwirtschaft", die hier nicht vorliege. Entsprechend § 5 Abs 5 SGB V habe der Gesetzgeber an eine Abgrenzung nach
Haupt- und Nebenerwerb gedacht, um hauptberuflich selbstständig
Erwerbstätigen, deren Hauptberuf in keinerlei Zusammenhang mit der
Landwirtschaft stehe, die Möglichkeit zu nehmen, sich durch Erwerb eines die
Mindestgröße gerade überschreitenden landwirtschaftlichen Betriebs günstig
gegen Krankheit zu versichern. Dagegen würden Unternehmer eines gemischten
Betriebes nicht von der Versicherungspflicht in der KVdL
freigestellt, wenn - wie hier - gewerblicher und landwirtschaftlicher
Betriebsteil untrennbar miteinander verflochten seien. In Anlehnung an die
Rechtsprechung des BSG zur hauptberuflichen Tätigkeit in Unternehmen (BSGE
49, 126 = SozR 5420 § 2 Nr 15) könne dann nur eine
einheitliche Betrachtung iS einer
landwirtschaftlichen Tätigkeit vorgenommen werden, selbst wenn die hieraus
erzielten Einkünfte steuerlich als solche aus Gewerbebetrieb behandelt
würden.
SG Lübeck - S 3 KR 234/07 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 5 KR 69/09 -
3) 11.00 Uhr - B 12 KR 17/10 R - E. ./. LKK Schleswig-Holstein und Hamburg
Der Kläger, der ein landwirtschaftliches Unternehmen betreibt und deshalb bei
der beklagten LKK versichert war, bezog seit 2005 für sich und seine
vierköpfige Familie - bis 31.10.2009 - Arbeitslosengeld II (Alg II) sowie Leistungen für Kosten der Unterkunft und
Heizung. Während er mit Rücksicht auf den Alg
II-Bezug zunächst allein deswegen als versicherungspflichtig behandelt wurde
und nicht mehr als Landwirt in der Krankenversicherung der Landwirte (KVdL), änderte die Beklagte nach Inkrafttreten des
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (GKV-WSG) ihre Ansicht. Sie
entschied, dass er ab 1.4.2007 zusätzlich auch als landwirtschaftlicher
Unternehmer in der KVdL (und in der
Pflegeversicherung) versicherungs- und beitragspflichtig sei (282 Euro
monatlich Krankenversicherungsbeiträge; 31,36 Euro
Pflegeversicherungsbeiträge). Das SG hat die Bescheide der Beklagten
aufgehoben, weil der Kläger zwar als landwirtschaftlicher Unternehmer
versicherungspflichtig in der KVdL sei, jedoch
Beiträge dafür nicht entrichten müsse; die Versicherungspflicht als Alg II-Bezieher sei - wie schon nach altem Recht -
vorrangig. Das LSG hat die Berufung der Beklagten im Kern zu-rückgewiesen:
Zwar habe ab 1.4.2007 Versicherungspflicht wegen beider Sachverhalte
bestanden, weil der an sich bestehende Nachrang der
KVdL für Alg II-Bezieher
durch das GKV-WSG aufgehoben worden sei, wenn sie zuvor einer LKK angehört
hätten. Die Versicherungspflicht als Landwirt habe aber keine Beitragspflicht
ausgelöst, weil nach § 20 KVLG 1989 nF auch für
versicherungspflichtige Alg II-Bezieher
grundsätzlich die SGB V-Vorschriften über Versicherung, Mitgliedschaft,
Meldungen und Beiträge entsprechend anzuwenden seien. Daraus folge bei
gebotener verfassungskonformer Auslegung, dass SGB II-Leistungsbezieher mit
landwirtschaftlichem Betrieb ausschließlich nach den beitragsrechtlichen
Vorschriften des SGB V behandelt werden dürften. Die SGB II-Leistungen
müssten dem Kläger zur Gewährleistung seines verfassungsrechtlich geschützten
Existenzminimums verbleiben; das aber wäre bei doppelter Beitragspflicht
nicht gewährleistet, zumal das SGB II keinen Mehrbedarfstatbestand für diese
Beitragsbelastung enthalte.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 2 Abs 1 Nr 6 und § 3 Abs 2 Nr 6 KVLG 1989 nF. Das GKV-WSG habe für den Personenkreis, zu dem der
Kläger gehöre, in Abweichung von der vorherigen Rechtslage eine
Mehrfachversicherung in der KVdL mit gleichzeitiger
doppelter Beitrags-pflicht herbeigeführt. Die Mehrfachversicherung sei
bewusst aus Gründen der Gleichbehandlung der Mitglieder der KVdL mit den Mitgliedern der allgemeinen
Krankenversicherung eingeführt worden. Auch das Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz teile die Ansicht des
Nebeneinanders der Beitragspflicht. Die zusätzliche Beitragspflicht als Alg II-Bezieher führe für die betroffenen Landwirte zu
keiner zusätzlichen finanziellen Belastung, weil den
Krankenversicherungs-beitrag als Alg II-Bezieher
der Grundsicherungsträger übernehme und der Betroffene Pflichtbeiträge zur KVdL gem § 11 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB II vom
Einkommen absetzen könne; landwirtschaftliche Unternehmer hätten durch ihre
gesonderte Beitragspflicht zudem Vorteile in Gestalt eines speziellen,
Betriebshilfe umfassenden Versicherungsschutzes.
SG Itzehoe - S 1 KR 216/07 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 5 KR 17/09 -
4) 13.15 Uhr - B 12 KR 28/10 R - V. e.V. ./. Hanseatische Krankenkasse
- 4 Beigeladene -;
Revisionsklägerin: Beigeladene zu 3.: DRV Westfalen
Die Beigeladene zu 1. war seit 1990 bei dem klagenden Verein als
Verwaltungsangestellte beschäftigt, seit 2005 - wegen eines gleichzeitigen
Studiums der Sozialarbeit - im Umfang von 24 Wochenstunden. Auf der Grundlage
gesonderter Verträge "über die Übernahme einer eigenverantwortlichen
Betreuung im Rahmen eines arbeitnehmerähnlichen Vertragsverhältnisses"
unterstützte sie ab 1.9.2006 zusätzlich psychisch kranke Menschen, die in
einer betreuten Wohneinrichtung des Klägers lebten; die Vergütung dafür
überstieg regelmäßig nicht 400 Euro im Monat. Im Dezember 2006 stellte die
beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle fest, dass die Beigeladene zu 1. auch
in ihrer Tätigkeit als Betreuerin als Beschäftigte des Klägers der
Sozialversicherungspflicht unterliege. Das SG hat die Klage abgewiesen.
Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren ergänzend durch Bescheid
festgestellt hatte, dass die Beigeladene zu 1. in der streitigen Tätigkeit
seit 1.9.2006 der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und
Arbeitslosenversicherung unterliege, hat das LSG das SG-Urteil sowie die
Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer
Tätigkeit als Betreuerin nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt
gewesen sei: Obwohl die Beigeladene zu 1. auch in ihrer Betreuungstätigkeit
für den Kläger nicht selbstständig tätig, sondern beschäftigt gewesen sei,
habe insoweit wegen Entgeltgeringfügigkeit iS von §
8 Abs 1 Nr 1 SGB IV
Versicherungsfreiheit bestanden. In der vorliegenden Fallkonstellation
erfolge keine Zusammenrechnung beider Entgelte gemäß § 8 Abs
2 S 1 SGB IV. Der älteren BSG-Rechtsprechung (BSGE 55, 1 = SozR 2200 § 168 Nr 7), nach der mehrere Beschäftigungen beim selben
Arbeitgeber als einheitliches Beschäftigungsverhältnis einzustufen seien,
könne nicht gefolgt werden. Diese Auslegung entspreche nicht mehr dem Willen
des Gesetzgebers, wie sich zB aus dem 1998
geschaffenen Teilarbeitslosengeld und dazu ergangener Rechtsprechung des 7.
Senats des BSG (SozR 3 4300 § 150 Nr 1) ergebe.
Die Beigeladene zu 3. (DRV Westfalen) wendet sich mit ihrer Revision gegen
das LSG-Urteil, (nur) soweit es die Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung betrifft und meint ua, es
verletze § 5 Abs 2 S 1 Nr
1 SGB VI iVm § 8 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 S 1 SGB IV. Zwar
habe das LSG zutreffend auf eine Beschäftigung der Beigeladenen zu 1.
erkannt, jedoch seien nach der Rechtsprechung des 12. Senats des BSG alle
beim selben Arbeitgeber ausgeübten Beschäftigungen ohne Rücksicht auf ihre
arbeitsvertragliche Gestaltung als eine einheitliche Beschäftigung anzusehen.
Dem stehe Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenversicherung nicht entgegen,
schon weil Begriff "Beschäftigung" dort einen abweichenden
leistungsrechtlichen Inhalt habe. Trotz mehrfacher Gesetzes-änderungen sei
die Rechtsprechung des 12. Senats nicht revidiert worden. Vielmehr werde die
einheitliche Würdigung mehrerer Beschäftigungen beim selben Arbeitgeber im
Hinblick auf Versicherungspflicht und Beitragsentrichtung auch in § 8a und §
28a SGB IV vorausgesetzt.
SG Dortmund - S 44 KR 17/07 -
LSG Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 203/08 -
5) 14.00 Uhr - B 12 R 6/10 R - Dr. I. ./. DRV Bund
Der als Rechtsanwalt erwerbstätige Kläger erhielt von der Beklagten ab
1.1.2002 zu seiner Altersrente einen Beitragszuschuss zu seiner freiwilligen
Krankenversicherung und Pflegeversicherung bewilligt (1230,49 Euro Rente zzgl 93,52 Euro Beitragszuschuss monatlich; Bescheid vom
28.1.2002). In einem gegen seine Krankenkasse geführten Rechtsstreit ergab
sich nach Umsetzung von Rechtsprechung des BVerfG (SozR 3-2500 § 5 Nr 42 (Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs
1 Nr 11 SGB V)), dass er ab 1.4.2002 als Rentner
pflichtversichert war, woraufhin die Krankenkasse seine freiwillige
Versicherung zum 31.3.2002 beendete. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom
21.3.2005 die Hauptsache für erledigt und die Krankenkasse erstattete ihm im
April 2005 die für die Zeit vom 1.4.2002 bis 31.3. 2005 gezahlten
freiwilligen Krankenversicherungs- und die Pflegeversicherungsbeiträge in
Höhe von insgesamt 17 169,71 Euro. Die Beklagte berechnete sodann die vom
Kläger zu tragenden Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung vom
1.4.2002 bis 31.5.2005 neu, woraus sich eine Beitragsnachforderung von
4031,42 Euro ergab. Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte die im
Bescheid vom 28.1.2002 erfolgte Beitragszuschussgewährung ab 1.4.2002 auf und
verlangte insoweit die Erstattung von 3655,80 Euro: Der Kläger habe
spätestens im März 2005 aufgrund der Informationen der Krankenkasse im
Klageverfahren erkennen können, dass ihm der Beitragszuschuss bei Entfallen
der freiwilligen Versicherung - ggf auch
rückwirkend - nicht mehr zustehe; der Eintritt der Versicherungspflicht
bewirke, dass bisher nicht geleistete Anteile an den Beiträgen zur Kranken-
und Pflegeversicherung gemäß § 255 Abs 2 SGB V, §
60 SGB XI aus der Rente einzubehalten seien. Nach erfolglosem
Widerspruchsverfahren hat das SG den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid
für die Zeit bis 31.3.2005 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen,
weil der Kläger erst für die Zeit ab 1.4.2005 gewusst habe, dass ihm
Beitragszuschüsse nicht zustünden. Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten
das SG-Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen: Zwar lägen die
Voraussetzungen für eine rückwirkende Bescheidaufhebung
nach § 48 SGB X allein nach dessen Wortlaut nicht vor, jedoch sei unter
Berücksichtigung der gesetzgeberischen Zielvorstellungen die entsprechende
Anwendung des § 48 Abs 1 S 2 Nr
3 SGB X geboten. Gewähre der Sozialleistungsträger einen Zuschuss zu
Beitragsaufwendungen, würden die Zuwendungen dieser Sozialleistung bei
nachträglichem Wegfall der bezuschussten Beitragsaufwendung ihres Sinnes
beraubt, ähnlich wie in dem gesetzlich geregelten Fall, dass der Anspruch auf
eine gewährte einkommensabhängige Sozialleistung bei nachträglicher Einkommensmehrung
entfalle. Diese Analogie könne sich auch auf - allerdings umstrittene -
Rechtsprechung des BSG (zB SozR 3-2500 § 56 Nr 2; SozR 1300 § 48 Nr 22)
stützen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X. Der
Wegfall eines bezuschussten Beitrags zur Krankenversicherung dürfe nicht mit
der Erzielung von Einkommen oder Vermögen gleichgesetzt werden, der den
Anspruch auf eine Sozialleistung entfallen lasse. Darin liege nämlich keine
allgemeine Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil nur
zuvor zu Unrecht geleistete freiwillige Beiträge zurückgezahlt würden. Der
nachträgliche Wegfall der Beitragspflicht unterscheide sich von einem
nachträglichen Einkommens- und Vermögenserwerb. Die vom LSG vorgenommene
Rechtsfortbildung beruhe nur auf rechtspolitischen Erwägungen und sei
verfassungswidrig.
SG Oldenburg - S 5 R 35/06 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 2 R 16/08 -
Kassel, den 20. Juni 2012
Nachtrag zur Terminvorschau Nr.
34/12
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, in
seiner Sitzung am 27. Juni 2012 über eine weitere Revision - ohne mündliche Verhandlung - zu
entscheiden.
1) - ohne mündliche Verhandlung -
B 12 KR 6/10 R - B. ./. mhplus BKK
Der 1964 geborene Kläger war von 1999 bis 2001 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Krankenkasse freiwillig versichert und seither
privat krankenversichert. Bis März 2004 ging er einer Beschäftigung nach, in der
er wegen der Höhe seines Jahresarbeitsentgelts versicherungsfrei war.
Anschließend war er bis Januar 2005 selbstständig tätig, bis Dezember 2005
wieder Beschäftigter (gemeldetes Arbeitsentgelt insoweit 35 066 Euro), bis
August 2007 erneut selbstständig und seit 1.9.2007 wieder beschäftigt
(monatliche Arbeitsentgelte: September bis November 2007 4532 Euro, Dezember
2007 4832 Euro; 2008 zwischen 3760 Euro und 7044 Euro; Januar bis April 2009
3818 Euro). Im November 2007 stellte die Beklagte dem Kläger gegenüber fest,
dass er ab 1.9.2007 "als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer durch
seinen Arbeitgeber anzumelden" sei, weil er als Beschäftigter weder nach
§ 6 Abs 1 Nr 1 SGB V noch
nach § 6 Abs 9 SGB V versicherungsfrei sei. Das SG
hat die Bescheide aufgehoben und auf Versicherungsfreiheit des Klägers in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab 1.9.2007 erkannt. Das LSG hat auf
die Berufung der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen,
weil der Kläger insoweit versicherungspflichtig sei: § 6 Abs
1 Nr 1 SGB V in der ab 2.2.2007 geltenden Fassung
(Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze -JAEG- erst
nach drei Jahren) finde auch auf Personen mit einem Einkommen oberhalb der
JAEG Anwendung, die vor Beginn ihrer Beschäftigung als Selbstständige nicht
versicherungspflichtig gewesen seien. Maßgeblich seien hier die drei
aufeinanderfolgenden Kalenderjahre vor dem 1.9.2007; in dieser Zeit habe der
Kläger kein "Arbeitsentgelt", sondern als Selbstständiger "Arbeitseinkommen"
erzielt; an einen früheren Zeitraum könne nicht angeknüpft werden.
Grundrechte des Klägers würden dadurch nicht verletzt. Auch die
Übergangsregelung des § 6 Abs 9 SGB V
(Versicherungsfreiheit wegen Statuskontinuität bei Überschreitung der JAEG
für ein Jahr) greife beim Kläger nicht ein, weil er am 2.2.2007 kein
Beschäftigter gewesen sei und eine Erstreckung auf Selbstständige ausscheide.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V in der ab
2.2.2007 geltenden Fassung. Diese Regelung verlange nicht, dass die JAEG
innerhalb der drei Kalenderjahre überschritten worden sei, die der Aufnahme
der Beschäftigung unmittelbar vorangingen. Ausreichend sei die Erfüllung der
Mindestverweildauer in der GKV "irgendwann einmal in der Vergangenheit";
die Voraussetzungen einer einmaligen "Erdienung
der Dreijahresregelung" habe er in den Jahren 1999 bis 2003 erfüllt. Die
Fallkonstellation eines mehrfachen Wechsels zwischen Beschäftigung und
Selbstständigkeit habe auch das BVerfG in einer Entscheidung zum streitigen
Komplex (BVerfGE 123, 186 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8)
nicht vor Augen gehabt. Ein mehrfacher Statuswechsel und die wiederholte
Anwendung des § 6 Abs 1 Nr
1 SGB V könne eine "Zerstückelung" des Versicherungsverlaufs in der
PKV und erhebliche Störungen in der Prämienentwicklung bewirken. Das
LSG-Urteil halte Selbstständige vom Wechsel in eine Beschäftigung ab und
verletzte deren Grundrechte aus Art 2 Abs 1 und Art
3 Abs 1 GG. § 6 Abs 9 SGB
V führe zudem für Selbstständige zu einer unzulässigen Rückwirkung.
SG Heilbronn - S 2 KR 1203/08
LSG Baden-Württemberg - L 4 KR 1420/09
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