Kassel, den 27. Juni 2012
Terminvorschau Nr. 37/12
Der 11.
Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 4. Juli 2012 im
Elisabeth-Selbert-Saal I über fünf Revisionen aus dem Gebiet des Arbeitsförderungsrechts nach
mündlicher Verhandlung zu entscheiden:
1) 9.30 Uhr - B 11 AL 16/11 R - W. M. ./. BA
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die
Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) erfüllt hat.
Der 1948 geborene Kläger war ab 1.8.2004 als kaufmännischer Leiter
bei der G. GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) beschäftigt, die einen
Großmarkt in G. betrieb. Der Mietvertrag über die
Geschäftsräume wurde zum 30.9.2005 gekündigt. Daraufhin
verlegte die KG im Jahre 2006 ihren Sitz von G. nach P; dort wurde über
ihr Vermögen die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und mit
rechtskräftigem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 6.2.2007 die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt. Im März
2007 wurde die Auflösung der KG eingetragen und im Juni 2007 meldeten
die Liquidatoren der KG deren Erlöschen an, was später auch im
Handelsregister eingetragen wurde.
Bereits im Oktober 2005 hatte sich der Kläger bei der Beklagten
arbeitslos gemeldet und darauf hingewiesen, dass das Arbeitsverhältnis
nicht gekündigt worden sei. Die Beklagte zahlte dem Kläger ab
13.10.2005 Alg und nachfolgend Insg
für die Zeit vom 6.11.2006 bis 5.2.2007 sowie - nach einem weiteren
Leistungsantrag vom 5.12.2006 - Alg ab 6.2. bis
7.8.2007.
Im Januar 2006 hatte der Kläger die KG vor dem Arbeitsgericht auf
Zahlung ausstehenden Gehalts ab Oktober 2005 verklagt. Mit
Versäumnisurteil vom 24.5.2006 und weiterem Versäumnisurteil vom
25.7.2007 wurde die KG zur Zahlung des bis dahin aufgelaufenen Gehalts
verurteilt und zugleich festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis
unverändert fortbestehe.
Am 30.11.2007 beantragte der Kläger erneut Alg
unter Hinweis auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Beklagte
lehnte diesen Antrag ab, weil der Kläger innerhalb der
maßgeblichen Rahmenfrist vom 5.12.2006 bis 29.11.2007 keine neue
Anwartschaft erworben habe.
Während des sozialgerichtlichen Klageverfahrens ergingen weitere
arbeitsgerichtliche Versäumnisurteile vom 8.10.2009 und 13.4.2010, in
denen der unveränderte Fortbestand des Arbeitsverhältnisses
festgestellt wurde. Das SG hat der Klage stattgegeben und die Beklagte
verurteilt, dem Kläger ab 5.12.2007 Alg
für sechs Monate zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung
aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt,
dem Kläger stehe ein Anspruch auf Alg mangels
Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht zu. Denn spätestens seit der
Anmeldung des Erlöschens der KG zur Eintragung im Handelsregister im
Juni 2007 habe keine Versicherungspflicht mehr bestanden, sodass der
Kläger in keinem Fall die erforderlichen 360 Tage Versicherungszeit
zurückgelegt habe. Der erforderliche beiderseitige Wille der
Vertragsparteien habe ebenso wenig fortbestanden wie die Verfügungsmacht
des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers oder dessen
Eingliederung in einen von ihm vorgegebenen Arbeitsablauf. Vieles spreche
dafür, dass bereits im Oktober/November 2005 die Beschäftigung
beendet gewesen sei. Jedenfalls mit der Anmeldung des Erlöschens der KG
habe festgestanden, dass es (endgültig) keine
Geschäftstätigkeit und damit auch keinerlei Grundlage für eine
irgendwie geartete Tätigkeit des Klägers mehr gegeben habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Klagebegehren weiter. Er macht insbesondere geltend, entgegen der
Rechtsansicht des LSG habe die Anmeldung des Erlöschens der KG
keineswegs zum Wegfall des Arbeitsverhältnisses geführt, vielmehr
habe dieses unverändert fortbestanden; er verweist auf die Urteile des
Arbeitsgerichts.
SG Gelsenkirchen - S 22 AL 35/08 -
LSG Nordrhein-Westfalen - L 16 (1) AL 33/09 -
2) 10.30 Uhr - B 11 AL 21/11 R - M. G. ./. BA
Streitig ist, ob der Klägerin höheres Alg
unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts nach der
Qualifikationsgruppe 2 statt - wie erfolgt - nach der Qualifikationsgruppe 3
zusteht.
Die 1976 geborene Klägerin meldete sich im Juni 2007 mit Wirkung zum
September 2007 - nach dem Ende der Elternzeit - arbeitslos und beantragte
Alg. Sie gab an, eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Laborassistentin
(MTA) abgeschlossen und zuletzt bis August 2004 als Pharmareferentin im
Außendienst beitragspflichtig beschäftigt gewesen zu sein
(monatliches Fixum 3087 Euro).
Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab 16.9.2007 Alg
mit einem Leistungssatz von 21,93 Euro täglich. Die fiktive Einstufung
unter Berücksichtigung der Ausbildung der Klägerin rechtfertige
lediglich eine Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 3. Der Widerspruch der
Klägerin, mit dem sie geltend machte, sie habe zuletzt als Pharmareferentin
gearbeitet und mindestens die Qualifikationsgruppe 2 erreicht, blieb
erfolglos.
Die Klage hat in beiden Instanzen Erfolg gehabt. Das LSG hat im Wesentlichen
ausgeführt, sowohl nach dem Wortlaut des § 132 Abs
2 S 2 Nr 2 SGB III aF (ab
1.4.2012 § 152 Abs 2 S 2 Nr
2 SGB III), als auch nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung sei nicht allein
auf den formalen Ausbildungsabschluss abzustellen, sondern seien auch die
sonstigen beruflichen Qualifikationen wie zB die
Berufserfahrung zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall habe die
Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen für die Klägerin in
erster Linie auf eine Tätigkeit als Pharmareferentin/-beraterin
erstrecken müssen, wobei für diese Tätigkeit als formale
Einstiegsqualifikation ein abgeschlossenes Hochschulstudium und eine
abgeschlossene Berufsausbildung als MTA gleichwertig behandelt würden (vgl § 75 Abs 2
Arzneimittelgesetz). Damit habe der Klägerin eine Tätigkeit offen
gestanden, die in aller Regel von formal höher qualifizierten
Arbeitnehmern, nämlich Absolventen einer Hochschule oder Arbeitnehmern
mit einer fachschulähnlichen Ausbildung, ausgeübt werde. Auch im
Hinblick auf das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt der Klägerin von
über 3000 Euro sei die Bemessung nach der Qualifikationsgruppe 2
sachlich angemessen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor, die
Tätigkeit als Pharmareferentin/-beraterin erfordere keine der in Nr 2 des § 132 Abs 2 S 2
SGB III aF genannten Ausbildungen.
SG Würzburg - S 15 AL 349/07 -
Bayerisches LSG - L 10 AL 225/09 -
3) 11.30 Uhr - B 11 AL 17/11 R - S. H. ./. BA
Streitig ist, ob die Klägerin die erforderliche Anwartschaftszeit
für den Bezug von Alg ab 18.2.2009
erfüllt hat.
Die 1962 geborene Klägerin war bis 31.12.2007 in einem
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis
beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis
fristlos zum 29.12.2007. Gegen die Kündigung erhob die Klägerin
Kündigungsschutzklage.
Aufgrund einer am 22.12.2007 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit bezog die
Klägerin zunächst ab 30.12.2007 Krankengeld.
Im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens schloss die Klägerin mit
dem Arbeitgeber am 17.4.2008 einen Vergleich, wonach das
Arbeitsverhältnis einvernehmlich am 31.12.2007 endete. Nachdem die
Krankenkasse von diesem arbeitsgerichtlichen Vergleich erfahren und ihr
außerdem der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin mitgeteilt hatte,
dass eine fristgerechte Kündigung erst zum 28.3.2008 möglich
gewesen wäre, forderte sie das Krankengeld vom Arbeitgeber für den
30. und 31.12.2007 und von der Klägerin für die Zeit vom 1.1. bis
1.2.2008 zurück. Vom 2.2.2008 bis 5.1.2009 bezog die Klägerin
weiterhin Krankengeld und vom 6.1. bis 17.2.2009 Übergangsgeld wegen
Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation.
Am 18.2.2009 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Alg.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil innerhalb der Rahmenfrist vom
18.2.2007 bis 17.2.2009 lediglich die beitragspflichtige Beschäftigung
bis zum 31.12.2007 mit 317 Kalendertagen zu berücksichtigen sei. Der
Krankengeldbezug könne nicht berücksichtigt werden, weil die
Klägerin nicht unmittelbar vor Beginn des Krankengeldbezugs
versicherungspflichtig gewesen sei. Der Begriff "unmittelbar" iS des § 26 Abs 2 Nr 1 SGB III sei eng im Sinne von maximal einem Monat
auszulegen.
Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg. Das LSG hat im Wesentlichen
ausgeführt, die Beklagte habe übersehen, dass im Fall der
Klägerin auch in dem Zeitraum vom 30.12.2007 bis 1.2.2008 ein Bezug von
Krankengeld vorgelegen habe, der unzweifelhaft - selbst bei Zugrundelegung
einer Monatsfrist - das Unmittelbarkeitserfordernis erfüllt habe und
demnach anwartschaftszeitbegründend gewesen sei. Denn entscheidend sei,
dass die Klägerin tatsächlich im genannten Zeitraum Krankengeld
bezogen habe; rückwirkende Veränderungen seien grundsätzlich
unbeachtlich.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte im Wesentlichen
geltend, entscheidend sei, ob das Krankengeld rechtmäßig bezogen
worden sei oder nicht. Dies folge auch aus der Rechtsprechung des BSG zur
Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Bezug einer Sozialleistung".
SG Darmstadt - S 1 AL 148/09 -
Hessisches LSG - L 9 AL 125/10 -
4) 12.30 Uhr - B 11 AL 9/11 R - G. L. ./. BA
Der Kläger begehrt höheres Alg ab 1.7.2006.
Der 1948 geborene Kläger war seit 1977 bei der H. GmbH als
Sachbearbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde zum
30.6.2005 einvernehmlich gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von rund
90 000 Euro aufgelöst. Ab 1.7.2005 wechselte der Kläger
in die als Transfergesellschaft gebildete
Personalentwicklungsgesellschaft L. mbH (im Folgenden PEG) und schloss hierzu
mit der H. GmbH und der PEG einen dreiseitigen Vertrag. Dieser sah den
Abschluss eines bis 30.6.2006 befristeten Arbeitsverhältnisses zwischen
dem Kläger und der PEG vor, dessen Inhalt im Wesentlichen dieselben
Arbeitsbedingungen waren, wie sie zwischen dem Kläger und der H. GmbH
bestanden hatten, allerdings mit der Maßgabe, dass ein
Beschäftigungsanspruch entfiel, "Kurzarbeit Null" - dh vollständige Freistellung des Arbeitnehmers von
der Arbeitspflicht - angeordnet wurde, der Kläger an der Suche nach
einem neuen Arbeitsplatz aktiv mitzuwirken hatte und der Kläger
Transfer-Kurzarbeitergeld (Kug) gemäß
§ 216b SGB III in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung (Nachfolgevorschrift
des § 175 SGB III, ab 1.4.2012 § 111 SGB III) sowie einen
Aufzahlungsbetrag zum Kug in Höhe von 10 % des
für das Kug maßgeblichen
Bemessungsentgelts erhielt.
Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.7.2006 Alg in Höhe von 46,95 Euro täglich, wobei sie
das von der PEG bescheinigte Bruttoarbeitsentgelt (Bezugsbasis für das Kug) zugrunde legte. Der Widerspruch des Klägers,
mit dem er eine höhere Bemessung unter Einbeziehung der von der H. GmbH
früher bezogenen Sonderzahlungen forderte, blieb erfolglos.
Während die Klage vor dem SG keinen Erfolg gehabt hat, hat das LSG auf
die Berufung des Klägers die Beklagte zur Zahlung eines höheren Alg verurteilt. Es hat im Wesentlichen ausgeführt,
es habe sich zwar bei der Tätigkeit des Klägers bei der PEG um eine
versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt. Entgegen der Auffassung
der Beklagten sei jedoch im maßgeblichen Bemessungszeitraum vom
1.7.2005 bis 30.6.2006 kein Bemessungszeitraum mit Entgeltabrechnungszeiträumen
festzustellen. Denn der Kläger habe während seiner
Beschäftigung bei der PEG kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern mit dem
Transfer-Kug einschließlich des Zuschusses
der Arbeitgeberin eine Entgeltersatzleistung (Hinweis auf BSG, Urteil vom
10.3.1994 - 7 RAr 56/94 - SozR 3-4100 § 112 Nr 17 zur Rechtslage nach dem
Arbeitsförderungsgesetz ). Demzufolge umfasse der Bemessungsrahmen
gemäß § 130 Abs 3 Nr 1 SGB III zwei Jahre, dh die
Zeit vom 1.7.2004 bis 30.6.2006. Unter Berücksichtigung des vom
Kläger in dieser Zeit bei seiner früheren Arbeitgeberin erzielten
beitragspflichtigen Arbeitsentgelts ergebe sich ein höheres
Bemessungsentgelt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte vornehmlich geltend,
als Arbeitsentgelt sei für Zeiten des Kug-Bezugs
das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das der Arbeitslose ohne den
Arbeitsausfall und ohne Mehrarbeit erzielt hätte, also das mit der PEG
als Bezugsbasis vereinbarte Bruttoarbeitsentgelt.
SG Hildesheim - S 3 AL 199/06 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 7 AL 131/08 -
5) 12.30 Uhr - B 11 AL 20/10 R - H.-D. L. ./. BA
Auch in dieser Sache geht es um die Frage, wie das dem Alg
zugrunde liegende Bemessungsentgelt zu berechnen ist, wenn der Arbeitslose
unmittelbar vor der Beantragung von Alg Struktur-Kug gemäß § 175 SGB III in der bis
31.12.2003 geltenden Fassung bezogen hat.
Das LSG hat im Berufungsverfahren der Klage auf höheres Alg ebenfalls stattgegeben und - im Unterschied zum Fall
4 - die Rechtsansicht vertreten, bei der vorliegenden Vertragsgestaltung und
dem Bezug von Kug bei "Kurzarbeit-Null"
habe es sich schon um keine versicherungspflichtige Beschäftigung
gehandelt. Denn es sei keinerlei Arbeitsleistung geschuldet gewesen.
SG Gotha - S 2 AL 2473/02 -
Thüringer LSG - L 10 AL 143/06 -
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