Kassel, den 26. Juni 2012
Termisvorschau Nr. 36/12
Der 1.
Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 3. Juli 2012 im
Elisabeth-Selbert-Saal I auf Grund mündlicher Verhandlung über vier
Revisionen - und ohne mündliche Verhandlung über eine Revision in Angelegenheiten
der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) zu entscheiden.
A. Mit mündlicher Verhandlung
1) 10.00 Uhr -B 1 KR 23/11 R - M. B. /. BKK Mobil Oil
Die bei der beklagten KK versicherte Klägerin leidet an einer sog
interstitiellen Cystitis (Sonderform der abakteriellen Cystitis unklarer
Ätiologie). Die Erkrankung hat eine erhebliche Verringerung der
Harnblasenkapazität und eine Harnblasenentleerungsstörung mit
ausgeprägten Dehnungsschmerzen und starkem Harndrang zur Folge. Die
Klägerin beantragte bei der Beklagten ohne Erfolg, ihr Uropol S zu
gewähren (Januar 2006). Uropol S, später in Gepan instill
umbenannt, ist eine sterile Natrium-Chondroitinsulfat-Lösung zum
vorübergehenden Ersatz der Glykosaminoglykan-Schicht (GAG-Schicht), der
Innenwand-Schutzschicht der Blase. Das SG hat die Klage auf Versorgung mit
Uropol-S abgewiesen, da ein Wirksamkeitsnachweis für das Präparat
fehle. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Klägerin habe
ihre Klage auf Versorgung mit Gepan instill umgestellt, da der Hersteller das
Mittel Uropol-S aus markenrechtlichen Gründen nunmehr unter der
Bezeichnung Gepan instill vertreibe. Diese Klageänderung sei
unzulässig, da weder die Beklagte eingewilligt habe noch
Sachdienlichkeit bestehe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen (
§ 99 Abs 1 und 3 SGG) und materiellen Rechts ( § 27 Abs 1 und
§ 31 Abs 1 SGB V).
SG Oldenburg - S 6 KR 229/06 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 4 KR 288/07 -
2) 10.45 Uhr - B 1 KR 22/11 R - R. P. ./. AOK Plus - Die Gesundheitskasse
für Sachsen und
Thüringen
Die bei der beklagten AOK versicherte Klägerin leidet ua unter
Hyperlipidämie. Ihre Ärztin behandelte dies mit dem Arzneimittel
Sortis (Wirkstoff Atorvastatin) und vorübergehend mit Pravastatin.
Für die in einer Festbetragsgruppe zusammengefassten Statine besteht
seit 2005 ein in der Folge mehrfach abgesenkter Festbetrag. Arzneimittel mit
den Wirkstoffen Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin, nicht
aber Atorvastatin waren jedenfalls seit 2007 zu Preisen unterhalb des
Festbetrags erhältlich. Die Klägerin beantragte deshalb
(26.4.2007), Versorgung mit Sortis ohne Begrenzung auf den Festbetrag zu
erhalten. Es sei in ihrem Fall das einzig nebenwirkungsfreie Mittel. Die
Beklagte lehnte den Antrag ab. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben:
Die Festbetragsfestsetzung für Statine - so das LSG - sei nicht zu
beanstanden. Ein Ausnahmefall, in dem Versicherte Arzneimittelversorgung ohne
Beschränkung auf den Festbetrag beanspruchen könnten, liege nicht
vor.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der § 27
Abs 1 S 2 Nr 3, § 31 Abs 1 S 1 iVm § 2 Abs 1 SGB V.
SG Dresden - S 18 KR 372/07 -
Sächsisches LSG - L 1 KR 95/08 -
3) 11.30 Uhr - B 1 KR 25/11 R - H. O. ./. Barmer GEK
Die Klägerin war bei der beklagten Ersatzkasse bis 31.8.2008 versichert.
Sie leidet an einer erheblichen Visuseinschränkung auf dem rechten Auge
wegen rezidivierender Vaskulitis mit sekundärer epiretinaler Membran und
zystoidem Makulaödem bei im Zeitraum 2006/2007 nahezu unbeeinträchtigtem
Sehen auf dem linken Auge. Sie beantragte (14.9.2006), die Kosten für
intravitreale Injektionen von Avastin zu übernehmen. Avastin ist in
Deutschland nur zur Behandlung von Krebserkrankungen zugelassen. Die Beklagte
lehnte den Antrag ab. Im November 2006, im Januar 2007 und im März 2007
ließ sich die Klägerin ärztlich intravitreal Avastin
injizieren und wendete hierfür insgesamt 982,28 Euro auf. Ihr
Überprüfungsantrag (12./15.10.2007) blieb ohne Erfolg. Das SG hat
ihre Klage auf Kostenerstattung abgewiesen, das LSG ihre Berufung
zurückgewiesen: Es fehle an einem für einen Off-Label-Use
erforderlichen Wirksamkeitsnachweis. Es bestehe keine notstandsähnliche
Situation und kein Seltenheitsfall. Das Makulaödem trete eher häufig
auf und sei deshalb erforschbar bzw sogar erforscht. Das Krankheitsbild der
Klägerin könne von entsprechenden Studien "mit umfasst
sein".
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 13
Abs 3 S 1 SGB V und mangelhafte Sachverhaltsaufklärung. Es handele sich
um einen die Therapie mit Avastin rechtfertigenden Seltenheitsfall. Dies sei
bereits bei einer Inzidenz von 5 auf 10 000 Personen anzunehmen.
SG Neubrandenburg - S 3 KR 8/08 -
LSG Mecklenburg-Vorpommern - L 6 KR 20/08 -
4) 12.45 Uhr - B 1 KR 16/11 R - M. O. ./. AOK - - Die Gesundheitskasse
für Niedersachsen
Der klagende Inhaber einer öffentlichen Apotheke gab am 2.5.2007
Arzneimittel an Versicherte der beklagten AOK nach Vorlage
vertragsärztlicher Rezepte ab. Er stellte der Beklagten im August 2007
hierfür 1429,17 Euro über das von ihm einbezogene Rechenzentrum in
Rechnung. Die Beklagte beglich die Rechnung umgehend, beanstandete sie aber
am 2.4.2008 wegen Versäumung der Abrechnungsfrist ( § 8 Abs 1
Arznei-Liefervertrag, ALV). Die Regelung bestimmt: "Die Rechnungslegung
sowie die Weiterleitung der Original-Verordnungsblätter erfolgt jeweils
für einen abgeschlossenen Kalendermonat ... bis spätestens 2 Monate
nach Ablauf des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte.
....Andernfalls entfällt der Anspruch auf Bezahlung." Der
Kläger machte mit seinem Einspruch (18.4.2008) geltend, die Verfristung
der Abrechnung führe nicht zum Verlust seines Zahlungsanspruchs, da dies
unverhältnismäßig sei. Nicht er, sondern sein Personal bzw
das für ihn arbeitende Rechenzentrum habe die Ursache der Verfristung zu
vertreten. Die Beklagte wies den Einspruch zurück und rechnete 1.429,17
Euro mit Forderungen des Klägers aus der nächsten Abrechnung auf.
Während die Klage bei dem SG erfolglos geblieben ist, hat das LSG die
Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, dem
Kläger 1.429,17 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Die vertraglich geregelte
Ausschlussfrist sei unverhältnismäßig.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung der § § 69
Abs 1, 129 Abs 5 SGB V, der § § 53 ff SGB X und der Art 12 Abs 1, 9
Abs 3, 3 Abs 1 und 20 GG.
SG Hannover - S 19 KR 151/09 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 1 KR 432/09 -
B. Ohne mündliche Verhandlung
5) - B 1 KR 6/11 R - G. M. ./. DAK-Gesundheit
Der Kläger war Ehemann und ist Erbe der 1927 geborenen und am 24.3.2008
verstorbenen Dr. K. M., einer ehemaligen Zahnärztin, die bei der
beklagten Ersatzkasse freiwillig versichert war (im Folgenden: Versicherte).
Die Versicherte lebte zur Zeit ihres Todes mit ihm in einem gemeinsamen
Haushalt. Sie ließ im Juli 2003 ein Sigmakarzinom operieren und brach
in der Folgezeit zwei Chemotherapien - ärztlich beraten - ab. Mitte Juni
2005 setzte sie eine wegen hepatischer und lymphatischer Metastasen
eingeleitete Chemotherapie nicht fort. Vertragsarzt Dr. L. überwies sie
zur "Chemoembolisation" in die Uni-Klinik F. (17.6.2005). Chefarzt
Prof. Dr. V. war dort ua zu dieser Behandlung ermächtigt (GO-Nr 34286
EBM 2000 plus), nicht aber zur Chemoperfusion, die er als "lokale
Chemotherapie" beschreibt und die kein Gegenstand des EBM 2000 plus ist.
Er klärte die Versicherte nach seinen Angaben anlässlich der
Untersuchung darüber auf, dass sie die Kosten der beabsichtigten
Chemoperfusion - einer "lokalen Chemotherapie" - selbst tragen
müsse, da "derzeit keine Kostenübernahme durch
Kassenzulassung" stattfinde. Er vereinbarte mit ihr bei jeder
Behandlungseinheit schriftlich private persönliche Beratung und
Behandlung. Sie beantragte bei der Beklagten Kostenübernahme (18./20.6.2005).
Prof. Dr. V. werde bereits am 21.6.2005 mit "einer lokalen Chemotherapie
beginnen", die im Abstand von einem Monat noch zweimal wiederholt werde,
damit der Tumor schrumpfe, um ihn dann "mit Laser-Technik zu
vernichten". Es handele sich um die einzige Überlebenschance. Die
Beklagte antwortete ua, werde eine Privatbehandlungsvereinbarung getroffen,
was hier nicht zu erkennen sei, seien die Mehrkosten vom Versicherten zu
tragen. Der behandelnde Arzt berate sie und kläre sie vor
Behandlungsbeginn hierüber auf. Die Versicherte erhielt ab 21.6.2005
transarterielle Chemoperfusionen sowie später eine Laserinduzierte
Interstitielle Thermotherapie (LITT). Sie beantragte zunächst, die
bereits für den 21.6.2005 gezahlten Behandlungs- und Fahrkosten zu
übernehmen. Prof. Dr. V. rechne "prinzipiell nur mit den Patienten
direkt ab". Die Rechnungen für den 21.6.2005 wie für die
beiden Folgetermine umfassen ua die GOÄ-Ziffer 5357 -
"Embolisation". Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da die
Chemoperfusion keine vertragsärztliche Leistung sei, nur privat
abgerechnet werden könne, die Versicherte hierüber aufgeklärt
worden sei und Wahlerklärungen - auch für die folgenden Perfusionen
- unterschrieben habe (Bescheid vom 22.9.2005). Mit ihrem Widerspruch trug
die Versicherte vor, sie benötige dringend die lebensnotwendige, als
Methode etablierte Chemoperfusion, die keine Wahlleistung sei, mit
anschließender Laser-Therapie. Die Beklagte wies den Widerspruch
zurück.
Das SG hat die Klage auf Kostenerstattung abgewiesen: Ambulante
Chemoperfusionen seien umstritten, eine systemische Chemotherapie
möglich gewesen. Mit seiner Berufung - gerichtet auf Zahlung von
77.700,92 Euro für die Behandlung bis 8.11.2007 nebst Fahrkosten - hat
der Kläger vorgetragen, Prof. Dr. V. habe nicht darüber
aufgeklärt, dass die Chemoperfusion eine Privatleistung sei, "die
meine Frau dann unterschrieben habe". Sie seien von einer
Chemoembolisation ausgegangen und hätten erst durch die Anfrage der
Beklagten erfahren, dass Prof. Dr. V. eine Chemoperfusion durchführe.
Das LSG hat die Beklagte - unter Zurückweisung der Berufung im
Übrigen - verurteilt, 18.708,87 Euro zu zahlen, Kosten für die vom
21.6. bis 13.9.2005 durchgeführten transarteriellen Chemoperfusionen und
für die Fahrten zum Uni-Klinikum. Die Art der Rechtsnachfolge des
Klägers sei unerheblich. Die Versicherte habe sich trotz Unterzeichnung
privatärztlicher Behandlungsverträge bis zum Erlass des Bescheides
vom 22.9.2005 in dem Glauben befunden, sie erhalte eine Chemoembolisation.
Darin liege ein Systemversagen, das zur Kostenerstattung zwinge. Es sei nicht
gewährleistet, dass die Zivilgerichte der Beurteilung der Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit folgten. Nach Bescheiderlass habe die Versicherte nicht
mehr geirrt. Auf die weitere Behandlung habe sie keinen Naturalleistungsanspruch
gehabt, da die Leistungen nicht zur ambulanten Behandlung zugelassen gewesen
seien und eine systemische Chemotherapie als zugelassene Alternative zur
Verfügung gestanden habe.
Mit ihren Revisionen rügen beide Beteiligte sinngemäß die
Verletzung des § 13 Abs 3 SGB V. Der Kläger rügt hierbei, die
Beklagte hätte die Versicherte darüber beraten müssen, wie ihr
Leistungsanspruch zu realisieren sei. Die Beklagte rügt zudem
sinngemäß die Verletzung des Gebots, das Gesamtergebnis des
Verfahrens zu berücksichtigen ( § 128 Abs 1 S 1 SGG).
SG Frankfurt am Main - S 25 KR 279/06 -
Hessisches LSG - L 8 KR 313/08 -
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