Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 6. Senats vom 30.10.2013 - B 6 KA 3/13 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.10.2013 - B 6 KA 48/12 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.10.2013 - B 6 KA 5/13 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.10.2013 - B 6 KA 2/13 R -, Urteil des 6. Senats vom 30.10.2013 - B 6 KA 1/13 R -
Kassel, den 31. Oktober 2013
Terminbericht Nr. 51/13
(zur Terminvorschau Nr. 51/13)
Der 6. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 30. Oktober 2013.
1) Die Revision der beklagten
Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) ist erfolgreich gewesen. Der
Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers
gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen.
Die Entscheidung der Beklagten, wegen des Wechsels des Klägers von einer
Gemeinschaftspraxis (Quartal I/1999) in eine Einzelpraxis (Quartale II -
IV/1999) keine jahresbezogene Berechnung der Punktmengengrenzen nach
§ 85 Abs 4b SGB V vorzunehmen, sondern für beide Zeiträume die
Auswirkungen der Degressionsregelung getrennt zu erfassen, steht mit
Bundesrecht in Einklang. Zwar verlangt § 85 Abs 4b SGB V im Grundsatz
eine jahresbezogene Berechnung. Auf der anderen Seite sind die
Punktmengengrenzen bezogen auf die gesamte Praxis zu bestimmen. Bei der
Gemeinschaftspraxis als einheitlicher Rechtspersönlichkeit und der
Einzelpraxis handelt es sich rechtlich um zwei unterschiedliche
Arztpraxen. Dem Ziel einer jahresbezogenen Berechnung kann auch nicht
ohne Weiteres durch die "Mitnahme" nicht ausgeschöpfter Punktmengen aus
der Gemeinschaftspraxis in die Einzelpraxen entsprochen werden. Einer
Zuordnung nach dem tatsächlichen Behandlungsumfang des einzelnen
Zahnarztes steht entgegen, dass dieser bei Abrechnung aller Leistungen
unter der Abrechnungsnummer der Gemeinschaftspraxis nicht feststeht und
auch nicht einfach zu ermitteln ist.
Deshalb ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn sich die KZÄV im
Rahmen ihrer gesetzlich zugewiesenen Verantwortung für die
Honorarverteilung auch wegen der gebotenen Verzahnung von
Honorarverteilung und Degression dafür entscheidet, beim Wechsel von
einer Gemeinschafts- in eine Einzelpraxis ‑ und nicht nur in dem vom
Senat bereits entschiedenen umgekehrten Fall (Wechsel aus der Einzel- in
eine Gemeinschaftspraxis) ‑ eine quartalsbezogene Degressionsberechnung
durchzuführen.
SG
Hannover
- S 35 KA 884/06 -
LSG
Niedersachsen-Bremen - L 3 KA 82/09 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 3/13 R -
2) Die Revision
der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte nicht berechtigt
war, die Kosten eines für die vorläufige Rückzahlung einbehaltener
Honorare aufgenommenen Kredits anteilig als Verwaltungskosten auf die
von der Rückzahlung betroffenen Zahnärzte umzulegen. Die Satzung der
beklagten KZÄV ermächtigt die Vertreterversammlung nicht dazu, eine
derartige "Zinsumlage" zu beschließen, weil sie nur die Erhebung von
umsatzbezogenen Mitgliedsbeiträgen, nicht aber von anderen Abgabeformen
vorsieht. Erforderlich ist die ausdrückliche Benennung der für die
Aufbringung der Mittel in Frage kommenden Gestaltungsformen. Eine
unbestimmte Globalermächtigung an die Vertreterversammlung genügt nicht
insbesondere in den Fällen nicht, in denen es ‑ wie hier ‑ um Formen der
Mittelaufbringung geht, die in ihrer Struktur von den klassischen
Finanzierungsinstrumenten abweichen.
Unabhängig davon verstieße eine "Zinsumlage" auch gegen den
Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Danach ist die Geltendmachung
speziellen Verwaltungsaufwands bei einer Mitgliedergruppe nur dann
zulässig, wenn diesem ein besonderer Vorteil für die Betroffenen
gegenübersteht. Die auf einer gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden
Wirkung beruhende (vorläufige) Rückzahlung einbehaltener Honorare stellt
aber keinen derartigen Vorteil, sondern die Beseitigung eines Nachteils
dar, da die Zahnärzte ‑ zum damaligen Zeitpunkt ‑ Anspruch auf
Auszahlung der einbehaltenen Honorare hatten. Kann die Rückzahlung
einbehaltener Honorare nur mit Hilfe einer Kreditaufnahme umgesetzt
werden, stellen die Kreditkosten Verwaltungskosten dar, die aus den
allgemeinen Verwaltungskostenbeiträgen zu decken sind.
SG Berlin
- S 83 KA 1091/06 -
LSG
Berlin-Brandenburg
- L 7 KA 116/09 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 1/13 R -
3) Die Revision
der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das beklagte Land hat die
Satzungsänderung zu Recht nicht genehmigt. Die
Vertragsabschlusskompetenz des Vorstandes einer K(Z)ÄV darf weder bei
Gesamt- noch bei Selektivverträgen mit Krankenkassen bzw Verbänden der
Krankenkassen an eine Genehmigung der Vertreterversammlung gebunden
werden. Das Gesetz weist ‑ in Abgrenzung zu den Befugnissen der
Vertreterversammlung ‑ die Außenvertretung der K(Z)ÄV dem Vorstand als
originäre Kompetenz zu. In dieses Recht vermag die Vertreterversammlung
auch Kraft ihrer "Kompetenz-Kompetenz" nicht einzugreifen, weil eine
Aufgabenübertragung unter dem Vorbehalt steht, dass die gesetzlich
vorgesehene Kompetenzverteilung zwischen beiden Organen eingehalten und
nicht in den Kerngehalt der gesetzlichen Aufgabenzuweisung eingegriffen
wird. Dies wäre jedoch dann der Fall, wenn die Wirksamkeit der vom
Vorstand abgeschlossenen Gesamt- und Selektivverträge von einer
Genehmigung durch die Vertreterversammlung abhinge, nicht zuletzt, weil
der Vorstand beim Abschluss der durch Gesetz vorgeschriebenen bzw
vorgesehenen Verträge kaum noch handlungsfähig wäre.
LSG Baden-Württemberg
- L 5 KA 3060/11 KL -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 48/12 R -
4) Die Revision
der klagenden AOK hat im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und
Zurückverweisung des Rechtstreits an das LSG Erfolg.
Das LSG hat angenommen, in besonderen Konstellationen könne den
Schwierigkeiten der rechtlichen Beurteilung von Arzneimittelverordnungen
bei unklaren Krankheitsbildern und begrenzten therapeutischen Optionen
dadurch Rechnung getragen werden, dass die Prüfgremien eine
Ermessensentscheidung über die Höhe eines Kostenregresses treffen
müssen. Das trifft nicht zu.
Arzneimittelverordnungen sind entweder zulässig oder unzulässig. Hat der
Vertragsarzt die maßgeblichen Vorgaben für seine Verordnungstätigkeit
unter Einschluss der Grundsätze zum Off-Label-Use beachtet, besteht
keine Rechtfertigung dafür, ihn auch nur teilweise an den Kosten für
verordnete Arzneimittel zu beteiligen. Für rechtswidrige Verordnungen
muss der Vertragsarzt der Krankenkasse vollen Schadensersatz leisten,
weil die Kasse gegenüber der Apotheke Kosten getragen hat, die sie nicht
zu tragen verpflichtet war. Im Übrigen könnte die Vorgabe einer
Ermessensbetätigung hinsichtlich der Höhe eines Regresses zu
gravierenden Umsetzungsproblemen bei den Prüfgremien und zu einem kaum
tolerierbaren Verlust an Rechtssicherheit führen.
Die Rechtsprechung des Senats zu Arzneikostenregressen bietet
hinreichend Spielraum, den besonderen Schwierigkeiten Rechnung zu
tragen, denen sich Vertragsärzte insbesondere dann gegenübersehen, wenn
sie schwer erkrankte Patienten nach einer stationären Behandlung wieder
ambulant versorgen müssen und (noch) keine abschließende Klarheit über
die genaue Bezeichnung der Erkrankung besteht. Maßstab für die
Beurteilung der Zulässigkeit einer Verordnung ist dann, ob sich der
Vertragsarzt nach den ihm vorliegenden Ergebnissen sorgfältiger
Diagnostik eine vertretbare Meinung über das bei dem Patienten
vorliegende Krankheitsgeschehen gebildet und seine Verordnungsweise
danach ausgerichtet hat. Hat der Vertragsarzt auf der Grundlage einer
vertretbaren Beurteilung der Erkrankung des Versicherten ein für die
Behandlung dieser Erkrankung zugelassenes Medikament verschrieben, ist
für einen Kostenregress kein Raum, auch wenn ein Sachverständiger Jahre
später das aktenmäßige Krankheitsbild des Versicherten eher einer
anderen Krankheitsbezeichnung zuordnet.
Da das LSG bei seiner Beurteilung der umstrittenen Verordnungen und
seinen Fragen an den im Verfahren gehörten Sachverständigen von einem
anderen rechtlichen Ausgangspunkt ausgegangen ist, kann sein Urteil
keinen Bestand haben.
SG Mainz
- S 2 KA 1/08 -
LSG
Rheinland-Pfalz
- L 7 KA 45/09 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 2/13 R -
5) Die Revision
des Klägers war erfolgreich. Die beklagte Ärztekammer muss erneut über
den Widerspruch des klagenden Arztes entscheiden. Der Kläger ist
berechtigt, die der Beigeladenen zu 1. erteilte Genehmigung zur
Durchführung von Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung anzufechten. Zwar
handelt es sich bei der Genehmigung nach § 121a SGB V nicht um eine
statusbegründende Entscheidung. Sie eröffnet aber die Möglichkeit,
reproduktionsmedizinische Leistungen zu Lasten der GKV zu erbringen.
Damit ist regelmäßig, schon wegen der erforderlichen personellen und
sachlichen Ausstattung, eine fast ausschließliche Ausrichtung der Praxis
auf diese Leistungen verbunden. Unter Konkurrenzschutzgesichtspunkten
macht es für den Leistungserbringer mit einer solchen Praxis keinen
Unterschied, ob die weitere Genehmigung nach § 121a SGB V einem bereits
zugelassenen Leistungserbringer oder im Hinblick auf eine zukünftige
(Sonderbedarfs)Zulassung erteilt wird. Der Vorrang der Berechtigung des
Klägers vor der angestrebten Genehmigung für die Beigeladene zu 1.
ergibt sich daraus, dass seine Praxis bei der erforderlichen
Bedarfsprüfung zu berücksichtigen ist. Dass das Merkmal "bedarfsgerecht"
die Prüfung des Leistungsbedarfs und seiner Deckung durch bereits tätige
Leistungserbringer erfordert, hat der Senat bereits entschieden. Diese
Prüfung wird die Beklagte nachzuholen haben.
SG Stuttgart
- S 20 KA 3270/11 -
LSG
Baden-Württemberg
- L 5 KA 2791/12 -
Bundessozialgericht
- B 6 KA 5/13 R -