Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 2. Senats vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R -, Urteil des 2. Senats vom 19.12.2013 - B 2 U 5/13 R -, Urteil des 2. Senats vom 19.12.2013 - B 2 U 17/12 R -, Urteil des 2. Senats vom 19.12.2013 - B 2 U 1/13 R -, Urteil des 2. Senats vom 19.12.2013 - B 2 U 14/12 R -
Kassel, den 19. Dezember 2013
Terminbericht Nr. 63/13
(zur Terminvorschau Nr. 63/13)
Der 2. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 19. Dezember 2013.
1) Die Revision des Klägers hatte keinen
Erfolg. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Bescheid vom
12.9.2002 nicht deshalb unrichtig iSd § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X war, weil
er die Aufhebung des ursprünglichen Bescheids vom 13.11.1996 ablehnte,
weil keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
eingetreten ist. Dem Kläger war 1996 infolge eines Arbeitsunfalls mit
Verletzungen des rechten Auges und Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,1
eine Rente nach einer MdE von 20 vH bewilligt worden. Der
Sachverständige, der die Bewertung vornahm, wies darauf hin, es könne
langfristig zur Erblindung des rechten Auges kommen. Seit August 2002
war die Funktion des rechten Auges so weit herabgesunken, dass dies
einer Erblindung des Auges gleichkam. Die MdE aufgrund einer solchen
Sehstörung ist mit von 25 vH anzusetzen, was die Beteiligten auch nicht
in Frage stellen. Zwar ist damit im August 2002 der Eintritt einer
Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Diese Änderung
war aber nicht "wesentlich" iSd § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn durch die
spezifisch unfallversicherungsrechtliche Regelung des § 73 Abs 3 SGB VII
wird diese Vorschrift dahingehend modifiziert, dass eine Änderung
bezogen auf die Feststellung der MdE nur wesentlich ist, wenn sie mehr
als 5 vH beträgt. § 73 Abs 3 SGB VII ist auf den Fall des Klägers auch
anwendbar, denn die Vorschrift gilt gemäß § 214 Abs 3 Satz 2 SGB VII für
Versicherungsfälle, die vor Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997
eingetreten sind. Die historische Auslegung des § 73 Abs 3 SGB VII
zeigt, dass diese Regelung die frühere Rechtsprechung des BSG zur Frage
der wesentlichen Änderung bei MdE-Erhöhungen (vgl BSG vom 2.3.1971 ‑ 2
RU 300/68) ausdrücklich kodifizieren wollte. Der erkennende Senat hat in
diesem Urteil aus dem Jahre 1971, in dem ebenfalls die Erhöhung der MdE
von 20 vH auf 25 vH bei nachträglich eingetretener einäugiger Blindheit
streitig war, ausführlich begründet, dass und wieso eine Änderung der
Verletztenrente nach einer Änderung der MdE um nicht mehr als 5 vH
grundsätzlich unterbleiben solle. Der Senat hat keine Zweifel an der
Verfassungsgemäßheit dieser Norm, die eine im Lichte des Art 3 GG
zulässige und sachlich gerechtfertigte Typisierung darstellt, weil die
MdE ‑ Schätzung im Bereich von 5 vH notwendigerweise mit Unschärfen
einhergeht.
Das
Ergebnis kann auch nicht über eine (entsprechende) Anwendung der
Vorschriften über den Widerruf von Verwaltungsakten (hier § 46 SGB X)
korrigiert werden. Zum einen stellt § 73 Abs 3 SGB VII eine
abschließende Sonderregelung dar. Zum anderen steht der Widerruf im
Ermessen der Verwaltung, so dass einer Umdeutung durch das Gericht hier
ohnehin Grenzen gesetzt wären.
SG Kassel
- S 2 U 47/08 -
Hessisches
LSG
- L 3 U 51/12 -
Bundessozialgericht
- B 2 U 17/12 R -
2) Die Revision
des Klägers wurde zurückgewiesen. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass
der Kläger bei seinem Sturz am 2.12.2009 in Kasachstan keinen
Arbeitsunfall erlitten hat. Der Kläger gehörte nicht zum Kreis der
versicherten Personen. Es liegt kein Fall der Einbeziehung in den
Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung im Wege der
Ausstrahlung vor. Gemäß § 3 Nr 1 SGB IV gelten ‑ unter anderem ‑ die
Vorschriften über die Versicherungspflicht, soweit sie eine
Beschäftigung voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich
dieses Gesetzbuchs beschäftigt sind. Diesen Grundsatz erweiternd
bestimmt § 4 Abs 1 SGB IV, dass, soweit die Vorschriften über die
Versicherungspflicht eine Beschäftigung voraussetzen, diese auch für
Personen gelten, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses
Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet
außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung
infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus
zeitlich begrenzt ist. Die Vorschrift setzt ‑ neben einem vor dem
Auslandsaufenthalt im Inland bestehenden Arbeitsverhältnis und einem im
Voraus zeitlich begrenzten Einsatz im Ausland ‑ voraus, dass das
Arbeitsverhältnis nach dem Ende der Entsendung im Inland weitergeführt
wird. Einer Ausstrahlung des Versicherungsschutzes steht hier entgegen,
dass der Kläger und seine Arbeitgeberin weder bei Eingehung des
Beschäftigungsverhältnisses noch zum Zeitpunkt der Entsendung
Dispositionen trafen, nach denen nach dem Ende der Auslandstätigkeit in
Deutschland Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis erbracht werden
sollten. Vielmehr sollte das Arbeitsverhältnis mit dem Abschluss der
Baustelle in Kasachstan enden.
Gemäß § 140 Abs 2, Abs 3 Satz 1 und 3 SGB VII können die
Unfallversicherungsträger eine Versicherung gegen Unfälle einrichten,
die Personen im Zusammenhang mit einer Beschäftigung bei einem
inländischen Unternehmen im Ausland erleiden, wenn diese Personen nicht
bereits Versicherte im Sinne dieses Buches sind. Die Teilnahme an der
Versicherung erfolgt auf Antrag der Unternehmer. Die Arbeitgeberin des
Klägers hat diesen Antrag nicht gestellt. Der Kläger ist auch nicht
nachträglich im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in
die Auslandsunfallversicherung einzubeziehen. Ein Herstellungsanspruch
aufgrund einer fehlerhaften Auskunft (über den Versicherungsschutz im
Ausland) oder einer unzureichenden Beratung (über die Möglichkeit der
Auslandsunfallversicherung) kommt nicht in Betracht, weil der Kläger mit
der Beklagten vor seinem Auslandsaufenthalt keinen Kontakt hatte. Die
Beklagte war gegenüber dem Kläger ohne dessen vorheriges Ersuchen nicht
zur Auskunft oder Beratung aufgerufen. Wenn ein Beratungsfehler im
Verhältnis zwischen Beklagter und der Arbeitgeberin des Klägers vorlag
‑ was das LSG offen gelassen hat ‑, könnte dies allenfalls dazu führen,
dass der Arbeitgeberin ein eigener Herstellungsanspruch zustand. Hierbei
wäre aber insbesondere fraglich, inwiefern bei der Arbeitgeberin
überhaupt ein sozialrechtlicher Nachteil aufgrund der nicht
abgeschlossenen Auslandsunfallversicherung entstanden ist bzw entstehen
konnte. Hinsichtlich eines zumindest denkbaren Herstellungsanspruchs der
Arbeitgeberin besteht für den Kläger aber keine gesetzliche Möglichkeit,
diesen im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen. Auch ist nicht
vorgetragen oder ersichtlich, dass die Arbeitgeberin einen solchen
Anspruch an den Kläger abgetreten hätte.
SG Speyer
- S 12 U 146/10 -
LSG
Rheinland-Pfalz
- L 2 U 337/10 -
Bundessozialgericht
- B 2 U 14/12 R -
3) Der
Rechtsstreit wurde durch einen im Termin geschlossenen Vergleich
erledigt.
SG Berlin
- S 69 U 343/03 -
LSG
Berlin-Brandenburg
- L 2 U 212/06 -
Bundessozialgericht
- B 2 U 23/12 R -
4) Die Revision
der Beklagten hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG in dem
angefochtenen Urteil vom 4.2.2013 entschieden, dass der Klägerin höhere
Verletztenrente unter Berechnung des JAV auf der Basis der Gehaltsstufe
BAT II a zu gewähren ist. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin
ist § 90 Abs 2 SGB VII, der gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII Anwendung
findet.
Die im
Jahre 1974 geborene Klägerin hatte zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls am
14.4.1996 das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet. Nach § 90 Abs 2
SGB VII ist daher darauf abzustellen, welches Arbeitsentgelt für
Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten
Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch
Tarifvertrag vorgesehen ist. Das LSG hat hierbei zu Recht auf den
bundesweit geltenden BAT abgestellt, wie er "zur Zeit des
Versicherungsfalls", also im Jahre 1996 galt. Das LSG hat dabei §§ 22
Abs 1 Satz 1 BAT iVm der Allgemeinen Vergütungsordnung (Anlage 1 a zum
BAT) und weiterhin die Protokollnotiz Nr 1 zu der Tarifgruppe II a
herangezogen und den Sachverhalt unter die Voraussetzungen dieser
Protokollnotiz subsummiert. Die durch das LSG vorgenommene "fikitve"
Eingruppierung der Klägerin unter die Vergütungsgruppe II a des BAT ist
nicht zu beanstanden. Entgegen der Rechtsansicht der Revision folgt auch
nichts anderes aus der Entscheidung des Senats vom 18.9.2012 (B 2 U
11/12 R = BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2). Für die Anwendung des
§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII kommt es ‑ wie der Senat am 18.9.2012 (aaO)
entschieden hat ‑ maßgebend auf den Zeitpunkt an, "in dem die Ausbildung
ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre". Hierzu
hat der Senat im Einzelnen begründet, dass aus Entstehungsgeschichte,
Wortlaut und systematischer Stellung der Norm des § 90 Abs 1 Satz 1
SGB VII folge, dass im Falle einer tatsächlich rechtzeitig beendeten
Ausbildung keine Neufestsetzung nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII in
Betracht kommt. § 90 Abs 2 SGB VII setzt hingegen schon von seinem
Wortlaut her nicht voraus, dass der Versicherte zur Zeit des
Versicherungsfalls sich überhaupt in einer Schul- oder Berufsausbildung
befindet. Maßgeblich ist ausschließlich das Lebensalter zum Zeitpunkt
des Eintritts des Versicherungsfalls. Folglich stehen die Absätze 1 und
2 des § 90 SGB VII auch nicht in einem Stufenverhältnis derart, dass
Abs 2 nur zur Anwendung kommen könnte, wenn die Voraussetzungen des
Abs 1 vorliegen. Vielmehr ergänzen sich die Neufeststellungen nach Abs 1
und Abs 2, so dass jeweils die Vorschrift anzuwenden ist, die nach
Durchführung einer Vergleichsberechnung zu einem höheren JAV führt. Ist
eine Neuberechnung nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht möglich, weil
der Versicherte seine Ausbildung innerhalb der vorgeschriebenen Zeit
absolviert hatte, so schließt dies eine Neuberechnung nach § 90 Abs 2
SGB VII grundsätzlich nicht aus, weil der Versicherte im Regelfall auch
das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Eine "Sperrwirkung" für
eine Neufestsetzung des JAV durch eine fristgemäß abgeschlossene
Ausbildung oder ein fristgemäß beendetes Studium, wie sie die Beklagte
der genannten Entscheidung des BSG vom 18.9.2012 entnimmt, ist dort
nicht erwähnt und entspricht auch nicht dem Wortlaut und System des § 90
SGB VII.
SG
Speyer
- S 12 U 266/09 -
LSG
Rheinland-Pfalz
- L 2 U 40/11 -
Bundessozialgericht
- B 2 U 5/13 R -
5) Die Revision
der Beklagten war im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
LSG begründet. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG konnte
nicht abschließend darüber befunden werden, ob die Beklagte zu Recht
anstelle der als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 70 vH
zuerkannten Rente ab 1.8.2002 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit
nach einer MdE von nur 35 vH bewilligt hat. Da die Beklagte der Klägerin
mit dem Bescheid vom 20.12.2001 eine Verletztenrente lediglich als
vorläufige Entschädigung zuerkannt hatte, war die Beklagte gemäß § 62
Abs 2 Satz 1 iVm § 62 Abs 1 Satz 2 SGB VII berechtigt, innerhalb von
drei Jahren nach dem Unfallereignis die Verletztenrente ohne Bindung an
die bisher zugrunde gelegte MdE nach der nunmehr vorliegenden MdE
festzusetzen. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG genügt hierfür die
Bekanntgabe des Bescheides innerhalb dieser Frist. Dem LSG ist nicht
darin zu folgen, dass mit Inkrafttreten des § 62 Abs 2 SGB VII für die
Wahrung der Dreijahresfrist nicht mehr allein an die formelle
Wirksamkeit (Bekanntgabe) der Entscheidung über die Rente auf
unbestimmte Zeit, sondern auch an die materielle Wirksamkeit des
Bescheides (erstmalige Leistung der ggf geänderten Rentenzahlung)
anzuknüpfen ist. Zwar könnte dem Gesetzeswortlaut des § 62 Abs 2 Satz 1
SGB VII ("Spätestens mit Ablauf von 3 Jahren nach dem Versicherungsfall
wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit
geleistet.") entnommen werden, die Umwandlung in eine Rente auf
unbestimmte Zeit kraft Gesetzes werde nur dann verhindert, wenn
innerhalb der Dreijahresfrist nicht nur der entsprechende endgültige
Rentenbescheid dem Verletzten oder seinem Bevollmächtigten wirksam
zugeht , sondern die Rente auch innerhalb dieser Frist erstmals in ggf
abweichender Höhe oder gar nicht mehr zu zahlen ist. Allerdings spricht
gegen diese Auslegung, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch insoweit keine von der früheren
Rechtslage abweichende Regelung treffen wollte. Entgegen der
Interpretation des LSG entspricht es der ständigen Rechtsprechung des
Senats sowohl zu den §§ 622 Abs 2, 1585 Abs 2 RVO aF, als auch zu § 62
Abs 2 SGB VII , dass die gesetzliche Umwandlung der Rente als vorläufige
Entschädigung in eine solche auf unbestimmte Zeit unterbunden wird, wenn
der endgültige Rentenbescheid vor Ablauf der (seinerzeit zwei Jahre
betragenden, in § 62 Abs 2 Satz 1 SGB VII auf drei Jahre verlängerten)
gesetzlichen Frist durch Bekanntgabe wirksam wird. Hieran wird
ausdrücklich festgehalten. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird
festzustellen sein, welche MdE am 1.8.2002 aus den
Funktionsbeeinträchtigungen (noch) resultierte, die aus den ‑ ua auch
bereits bindend festgestellten ‑ Folgen des Arbeitsunfalls erwuchs. Das
LSG hat entsprechend seiner Rechtsauffassung insoweit keine
Feststellungen getroffen und sich im Rahmen einer Hilfsbegründung nur
mit der Frage einer wesentlichen Änderung der bei der Klägerin
verbliebenen Unfallfolgen befasst.
SG Halle
- S 15 U 38/03 -
LSG
Sachsen-Anhalt
- L 6 U 32/10 -
Bundessozialgericht
- B 2 U 1/13 R -