Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 9. Senats vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R -
Medieninformation Nr. 10/13
Im
Gewaltopferentschädigungsrecht kann Glaubhaftmachung des schädigenden
Vorganges ausreichen
Der Entscheidung
über die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem
Opferentschädigungsgesetz sind die glaubhaften Angaben der Antrag
stellenden Person zu Grunde zu legen, wenn - außer dem möglichen Täter -
keine Tatzeugen vorhanden sind. Das folgt aus einem Urteil des
Bundessozialgerichts vom 17. April 2013.
Nach dem
Opferentschädigungsgesetz kann eine Person Versorgungsleistungen
beanspruchen, wenn sie infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen
tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
Der 9. Senat des
Bundessozialgerichts hat in einem Revisionsverfahren über den Fall einer
inzwischen 50jährigen Klägerin entschieden. Diese beantragte im Jahre
1999 Gewaltopferentschädigung. Sie gab an, von frühester Kindheit bis
1980 körperliche Misshandlungen und sexuellen Missbrauch im Elternhaus
sowie in der 4. Klasse sexuellen Missbrauch durch einen Fremden erlitten
zu haben. Darauf seien ihre psychischen Gesundheitsstörungen
zurückzuführen. Dieser Antrag ist bislang erfolglos geblieben. Das
Landessozialgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass die
Klägerin Opfer von Angriffen im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes
geworden ist. Dabei hat es sich unter anderem auf Zeugenaussagen und ein
aussagepsychologisches Gutachten gestützt, das durch das eingeholte
psychiatrische Gutachten nicht entkräftet worden sei.
Mit ihrer
Revision hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht: Es hätte § 15
Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung Anwendung
finden müssen, der eine Glaubhaftmachung ausreichen lasse. Denn es gebe
für die von ihr angegebenen schädigenden Vorgänge keine Tatzeugen.
Darüber hinaus seien aussagepsychologische Gutachten in diesem
Zusammenhang ungeeignet.
Das
Bundessozialgericht hat zunächst klargestellt, dass seelische
Misshandlungen für sich allein nicht von dem maßgeblichen Begriff des
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs erfasst werden.
Körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch müssen grundsätzlich
voll bewiesen sein. Eine Ausnahme sieht § 15 Gesetz über das
Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vor. Nach dieser im
Gewaltopferentschädigungsrecht anwendbaren Vorschrift sind unter
bestimmten Voraussetzungen die Angaben des Antragstellers zu Grunde zu
legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Der Senat hat diese Vorschrift dahin ausgelegt, dass sie auch
heranzuziehen ist, wenn keine Tatzeugen vorhanden sind. Zeugen, die von
ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind dabei nicht zu
berücksichtigen. Ebenso wenig kann in diesem Zusammenhang eine Person,
die als Täter beschuldigt wird, zu den Tatzeugen gerechnet werden, wenn
sie eine schädigende Handlung bestreitet.
Aussagepsychologische Gutachten (sogenannte Glaubhaftigkeitsgutachten)
sind zwar im sozialgerichtlichen Verfahren zulässige Beweismittel. Das
Gericht muss jedoch für den Fall der Anwendung des § 15 Gesetz über das
Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung den Sachverständigen
bereits bei seiner Beauftragung darauf hinweisen, dass der nach dieser
Vorschrift geltende Beweismaßstab der Glaubhaftmachung geringere
Anforderungen stellt, als sie in einem aussagepsychologischen Gutachten
normalerweise angewendet werden. Darüber hinaus sind die Beweisfragen
‑ in Abstimmung mit dem Sachverständigen ‑ entsprechend zu fassen.
An diesen
Maßstäben hat sich das Berufungsgericht in dem mit der Revision
angefochtenen Urteil nicht orientiert. Die danach fehlenden
Tatsachenfeststellungen kann das Bundessozialgericht nicht selbst
nachholen. Daher ist die Sache insoweit an die Vorinstanz
zurückverwiesen worden.
Az: B 9 V 1/12 R
H. ./. Landschaftsverband Westfalen-Lippe
beigeladen: Bundesrepublik Deutschland