Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 31/12 R -, Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R -, Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 12/13 R -
Medieninformation Nr. 20/14
Sozialhilfe für volljährige behinderte Menschen, die bei ihren Eltern oder in einer Wohngemeinschaft leben, nach Regelbedarfsstufe 1 (100 %)
Seit 1. Januar 2011 erhalten
Sozialhilfeempfänger gemäß § 27a Abs 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch
‑ Sozialhilfe ‑ (SGB XII) iVm der Anlage zu § 28 SGB XII nur noch
Leistungen für den Lebensunterhalt ‑ im Rahmen der Hilfe zum
Lebensunterhalt ebenso wie bei den Leistungen der Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung ‑ in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 (80 %),
wenn sie als erwachsene leistungsberechtigte Person weder einen eigenen
Haushalt noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder
lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt
führen. Entgegen weit verbreiteter Ansicht in der sozialhilferechtlichen
Praxis geht der Gesetzgeber dabei jedoch davon aus, dass erwachsenen
Personen bei gemeinsamem Haushalt jeweils der Regelbedarf der
Regelbedarfsstufe 1 (100 %) zusteht. Für die Zuordnung zur
Regelbedarfsstufe 1 ist damit nicht entscheidend, dass ein eigener
Haushalt vollständig oder teilweise geführt wird; es genügt vielmehr,
dass der Leistungsberechtigte einen eigenen Haushalt gemeinsam mit einer
Person ‑ gegebenenfalls mit Eltern oder einem Elternteil ‑ führt, die
nicht sein Partner ist. Lediglich wenn keinerlei Haushaltsführung beim
Zusammenleben mit einer anderen Person festgestellt werden kann, ist ein
Anwendungsfall der Regelbedarfsstufe 3 denkbar. Eine andere Auslegung
verstieße, nachdem der Gesetzgeber mit Inkrafttreten der
Gesetzesänderung zum 1. Januar 2011 das Modell eines Haushaltsvorstandes
mit der Zuordnung eines höheren Regelbedarfs von 100 % aufgegeben hat,
gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil bei gemeinsamer Haushaltsführung
jede Person nur noch Leistungen zum Lebensunterhalt nach der
Regelbedarfsstufe 3 (80 %) und keiner nach der Regelbedarfsstufe 1
(100 %) wie in den sonstigen gesetzlichen Konstellationen erhielte.
Anknüpfungspunkt für die Qualifizierung einer gemeinsamen
Haushaltsführung beim Zusammenleben von erwachsenen Personen ist dabei
nicht die individuelle Fähigkeit der Mitglieder der
Haushaltsgemeinschaft, einen Haushalt auch ohne Unterstützungsleistungen
eines anderen allein meistern zu können; vielmehr ist ausreichend die
Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen
geistig-seelischen und körperlichen Leistungsfähigkeit. Ansonsten würden
bestimmte Lebens- und Wohnformen schlechter gestellt als andere, ohne
dass hierfür eine sachliche Rechtfertigung ersichtlich wäre. Dies
verdeutlicht das Beispiel des Zusammenlebens behinderter und deshalb in
ihren körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder der seelischen
Gesundheit eingeschränkter Menschen in einer gemeinsamen Wohnung. Hätte
keine dieser Personen die Fähigkeit, einen Haushalt ohne Unterstützung
durch andere zu führen, oder wären sie im Fall des
Ambulant-betreuten-Wohnens auf die Unterstützung Dritter, die nicht
ständig im Haushalt leben, angewiesen, läge bei keinem Mitglied eine
eigene Haushaltsführung vor und für keine dieser Personen käme die
Regelbedarfsstufe 1 in Betracht.
§ 39 Satz 1 SGB XII enthält
ergänzend die Vermutung einer gemeinsamen Haushaltsführung, wenn eine
nachfragende Person gemeinsam mit einer anderen Person in einer Wohnung
oder in einer entsprechenden anderen Unterkunft lebt; die Anwendung
dieser gesetzlichen Vermutungsregelung gilt auch bei Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und insbesondere für
behinderte und pflegebedürftige Menschen, die von Personen, mit denen
sie zusammenleben, betreut werden, damit auch für das Zusammenleben
behinderter erwachsener Menschen mit ihren Eltern bzw einem Elternteil
in einem gemeinsamen Haushalt. Auch in dieser Konstellation ist
typisierend davon auszugehen, dass dem Behinderten im Rahmen seiner
geistigen und körperlichen Fähigkeiten ein selbstständiges Leben
ermöglicht wird. Im Einzelfall kann die Vermutung, dass es sich bei dem
Zusammenleben in einer Wohnung um ein gleichberechtigtes Zusammenleben
handelt, damit nicht bereits dadurch erschüttert werden, dass eine
Person gegenüber der anderen eine geringere körperliche, geistige oder
seelische Leistungsfähigkeit besitzt. Nur wenn keinerlei gemeinsamer
Ablauf im Zusammenleben festzustellen wäre, kann Grund für die Annahme
bestehen, eine Person führe keinen eigenen Haushalt; dafür trüge indes
der Sozialhilfeträger die Beweislast.
Dies hat der 8. Senat das
Bundessozialgerichts am Mittwoch, dem 23. Juli 2014 in drei Verfahren
aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden. Die Sachen wurden
allerdings zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Sozialgericht zurückverwiesen, weil es an ausreichenden tatsächlichen
Feststellungen für eine endgültige Entscheidung über einen höheren
Anspruch der jeweiligen Kläger mangelte.
Az.:
B 8 SO 14/13 R
E.S. ./. Stadt Bünde
B 8 SO 31/12 R
S.S. ./. Landkreis Teltow-Fläming
B 8 SO 12/13 R
S.B. ./. Landeshauptstadt Magdeburg
Hinweise zur Rechtslage
§ 27a
Abs 3 SGB XII iVm der Anlage zu § 28 SGB XII
…
(3) Zur Deckung
der Regelbedarfe, die sich nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu
§ 28 ergeben, sind monatliche Regelsätze zu gewähren. Der Regelsatz
stellt einen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs
dar, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten
eigenverantwortlich entscheiden; dabei haben sie das Eintreten
unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.
…
Anlage zu § 28 SGB XII (zu § 28)
Regelbedarfsstufen nach § 28 in Euro
(Fassung vom 15.10.2013, gültig ab
01.01.2014)
gültig ab
Regel-
bedarfsstufe 1Regel-
bedarfsstufe 2Regel-
bedarfsstufe 3Regel-
bedarfsstufe 4Regel-
bedarfsstufe 5Regel-
bedarfsstufe 6
1. Januar 2011
364
328
291
287
251
215
1. Januar 2012
374
337
299
287
251
219
1. Januar 2013
382
345
306
289
255
224
1. Januar 2014
391
353
313
296
261
229
|
Für eine erwachsene
leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder
alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt
auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere
erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3
zuzuordnen sind. |
Regelbedarfsstufe 2: |
Für jeweils zwei erwachsene
Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in
eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft
einen gemeinsamen Haushalt führen. |
Regelbedarfsstufe 3: |
Für eine erwachsene
leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt
führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher
oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen
gemeinsamen Haushalt führt. |
Regelbedarfsstufe 4: |
Für eine leistungsberechtigte
Jugendliche oder einen leistungsberechtigten Jugendlichen vom
Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. |
Regelbedarfsstufe 5: |
Für ein leistungsberechtigtes Kind
vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. |
Regelbedarfsstufe 6: |
Für ein leistungsberechtigtes Kind
bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres. |