Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 9. Senats vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R -, Urteil des 9. Senats vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R -, Urteil des 9. Senats vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R -, Urteil des 9. Senats vom 16.12.2014 - B 9 V 3/13 R -, Urteil des 9. Senats vom 16.12.2014 - B 9 SB 3/13 R -
Kassel, den 11. Dezember 2014
Terminvorschau Nr. 62/14
Der 9. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 16. Dezember 2014 im Jacob-Grimm-Saal über fünf Revisionen aus den Bereichen des Schwerbehindertenrechts, des Versorgungs- und Entschädigungsrechts sowie der Opferentschädigung zu entscheiden.
1) 9.45 Uhr - B 9 SB 3/13 R -
G.-K. ./. Land Baden-Württemberg
Im August 2009 beantragte die Klägerin, den bei ihr bis dahin
festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 50 zu erhöhen, weil bei
ihr ein chronisches Meniskusleiden hinzugetreten sei. Trotz mehrfacher
Mahnungen und Fristsetzungen blieb der Bevollmächtigte der Klägerin im
weiteren Verfahren aber untätig. Daraufhin versagte der Beklagte die
beantragte Neufeststellung des GdB, weil die Klägerin ihren
Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Widerspruch und
Anfechtungsklage blieben ohne Erfolg. Das LSG hat die Berufung der
Klägerin zurückgewiesen und sich dabei auf eine analoge Anwendung der im
Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs geregelten Vorschriften über die
Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten (§§ 60, 66 SGB I)
gestützt. Die Vorschriften seien nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar
anzuwenden, weil es sich bei einer Statusfeststellung der
Versorgungsbehörden nicht um eine Sozialleistung iS des § 11 SGB I
handele. Das SGB I weise aber nach seiner Systematik eine Regelungslücke
auf. Die Interessenlage bei der Bewilligung von Sozialleistungen und der
Statusfeststellung sei wesentlich vergleichbar. Mit ihrer Revision weist
die Klägerin darauf hin, andere Bundesländer verzichteten im Unterschied
zum beklagten Land darauf, die Mitwirkungspflichten aus dem SGB I auf
das Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht anzuwenden.
Einer Analogie bedürfe es nicht, der fehlenden Mitwirkung des
Antragstellers könne im Rahmen einer Beweislastentscheidung ausreichend
Rechnung getragen werden.
SG Freiburg
- S 17 SB 1055/11 -
LSG
Baden-Württemberg
- L 6 SB 1692/12 -
2) 10.45 Uhr - B
9 SB 2/13 R -K. ./. Land
Sachsen-Anhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger ein GdB von 50
festzustellen ist. Der 1968 geborene Kläger stellte am 4.10.2001
erstmalig einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen bei dem
beklagten Land. Er leide an einem insulinpflichtigen Diabetes Mellitus
Typ 1. Nach Einholung von Befundberichten und einer
versorgungsärztlichen Stellungnahme erließ der Beklagte einen
Feststellungsbescheid über einen GdB von 40. Widerspruch, Klage und
Berufung, mit denen der Kläger die Feststellung seiner
Schwerbehinderteneigenschaft begehrte, sind ohne Erfolg geblieben. Zur
Begründung hat das LSG angeführt, der Kläger sei durch sein einziges
Leiden (Diabetes mellitus) nicht gravierend in seiner gesamten
Lebensführung beeinträchtigt. Erhebliche Einschränkungen seien nur
hinsichtlich der Berufsausübung festzustellen. Insoweit sei zwar der
Kernbereich der Erfüllung der dem Kläger obliegenden Pflichten
betroffen; er habe aber seine konkrete Tätigkeit nicht aufgeben müssen,
sondern könne ihr unter modifizierten Bedingungen nachgehen. In allen
anderen Lebensbereichen seien keine gravierenden Einschränkungen
gegeben. Der insoweit festzustellende erhöhte Planungs- und
Organisationsaufwand bei zahlreichen Freizeitaktivitäten beruhe auf den
täglich mindestens vier Insulininjektionen (mit jeweils selbständiger
Dosisanpassung). Auch gravierende Beeinträchtigungen in einem
Lebensbereich seien nicht geeignet, eine ausgeprägte
Teilhabebeeinträchtigung im gesamten gesellschaftlichen Leben
hervorzurufen. Schließlich werde der Kläger nicht zusätzlich durch eine
schlechte Einstellungsqualität erheblich eingeschränkt. Mit seiner
Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Das LSG
habe die Anforderungen an die Bejahung einer gravierenden
Beeinträchtigung der Lebensführung überspannt, indem es hierfür
erhebliche Einschnitte in mehreren Lebensbereichen verlange. Schon seine
krankheitsbedingten Einschränkungen im Berufsleben seien ausreichend, um
insgesamt eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung anzunehmen.
SG Magdeburg
- S 12 SB 169/02 -
LSG
Sachsen-Anhalt
- L 7 SB 68/10 -
3) 11.30 Uhr - B 9
V 1/13 R - L. ./.
Land Baden-Württemberg
Die Klägerin wurde während ihrer Tätigkeit als Bankkauffrau am 13.2.2009
bei einem Banküberfall von dem Täter mit einer ungeladenen
Schreckschusspistole bedroht. Sie ging davon aus, dass es sich um eine
echte Schusswaffe handele. Nach der Tat befand sich die Klägerin wegen
einer posttraumatischen Belastungsstörung in psychologischer Behandlung.
Das beklagte Land lehnte den Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach
dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab, weil kein vorsätzlicher,
rechtswidriger tätlicher Angriff vorgelegen habe. Das SG hat unter
Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass das bei der
Klägerin vorliegende posttraumatische Belastungssyndrom Folge eines
tätlichen Angriffs sei. Vor dem LSG verzichtete die Klägerin auf ihre
Rechte aus dem Urteil des SG, soweit darin als Schädigungsfolge eine
posttraumatische Belastungsstörung festgestellt worden war. Das LSG hat
die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Die Klägerin sei Opfer
eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1
S 1 OEG geworden, weil der äußere Anschein der Schreckschusspistole
keinen Anhalt für einen objektiv ungefährlichen Gegenstand geboten habe.
Diese Situation könne nicht anders behandelt werden als eine Bedrohung
mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe. Mit seiner Revision
begehrt das beklagte Land die Aufhebung der erst- und zweitinstanzlichen
Entscheidungen, weil der Umfang des unbestimmten Rechtsbegriffs des
tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs 1 S 1 OEG von den
Instanzgerichten verkannt worden sei. Dieser zeichne sich durch eine
körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, setze also eine
physisch Einwirkung auf einen anderen voraus. Das sei bei einer
Bedrohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole nicht der Fall, da
nur eine vorgetäuschte Gefahrensituation bestehe.
SG Heilbronn
- S 2 VG 976/10 -
LSG
Baden-Württemberg
- L 6 VG 2210/12 -
4) 12.30 Uhr - B
9 V 3/13 R - St.
./. Freistaat Bayern
1 Beigeladene
Die
Beteiligten streiten über die Folgen einer Strahlentherapie. Der 1946
geborene Kläger war von 1966 bis Ende April 1997 Soldat der Bundeswehr.
1988 wurde bei ihm ein bösartiger Hodentumor diagnostiziert und im
Rahmen der freien Heilfürsorge ärztlich behandelt. Nach einer Operation
im Bundeswehrzentralkrankenhaus K. erfolgte während des dortigen
stationären Aufenthalts eine Kobaltnachbestrahlung, die im Städtischen
Krankenhaus in K. durchgeführt wurde. In der Folgezeit traten beim
Kläger Rückenbeschwerden auf, die vom truppenärztlichen Dienst als
degenerative Veränderungen angesehen und behandelt wurden.
Röntgenologisch wurde später eine Strahlenfibrose nachgewiesen. Ferner
litt der Kläger linksseitig unter chronischen Leistenschmerzen. Die
beigeladene Bundesrepublik Deutschland lehnte den Antrag auf Anerkennung
des Hodentumors und der nach dessen Behandlung aufgetretenen
Gesundheitsstörungen als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB)
zunächst ab. Später stellte sie einen chronischen Leistenschmerz links
(ilioinguinalis Syndrom) nach linksseitiger Hodenresektion als WDB-Folge
fest. Diese Entscheidung wurde von dem beklagten Freistaat übernommen,
der seit der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses für die Versorgung
des Klägers zuständig ist.
2005 wurde der Kläger wegen eines Harnblasentumors und einer
Bauchspeicheldrüsenerkrankung mehrfach operiert. Seitdem ist er nach
seinen Angaben frei von Rückenschmerzen. Etwa ein Jahr später wandte
sich der Kläger an die Beigeladene mit der Bitte um Überprüfung des
ablehnenden Bescheids bezüglich seiner damaligen Rückenbeschwerden sowie
um Prüfung, ob der Blasentumor Folge der 1988 erfolgten Strahlentherapie
sei. Der für eine Neufeststellung hinzugetretener WDB-Folgen zuständige
beklagte Freistaat lehnte dies ab. Die 1988 durchgeführte
Strahlentherapie sei nicht geeignet gewesen, einen Harnblasentumor
hervorzurufen. Daneben lehnte der Beklagte (ebenso wie zuvor bereits die
Beigeladene) eine Rücknahme des letzten bestandskräftigen
Feststellungsbescheids über WDB-Folgen ab. Für die Annahme des Klägers,
seine Rückenschmerzen seien truppenärztlich falsch behandelt worden,
gebe es keinen Beleg. Die vom Kläger gegen beide Bescheide erhobenen
Widersprüche und seine Klage blieben ohne Erfolg. Zwischen der
Bestrahlung und den späteren Gesundheitsstörungen des Klägers bestehe
kein ursächlicher Zusammenhang. Es fehle auch an einer fehlerhaften
truppenärztlichen Behandlung der aufgetretenen Beschwerden.
Das LSG hat diese Kausalitätsfragen offen gelassen und die Berufung des
Klägers aus Rechtsgründen zurückgewiesen. Die Anerkennung einer weiteren
WDB-Folge scheitere bereits am Fehlen eines den Versorgungsschutz
begründenden Tatbestands. Die vom Kläger als Ursache angesehene
Strahlentherapie sei weder eine Wehrdienstverrichtung oder ein in
Zusammenhang mit dem Wehrdienst stehender Unfall noch sei sie durch die
dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse geprägt gewesen. Ob es später
zu einer fehlerhaften truppenärztlichen Behandlung der klägerischen
Rückenbeschwerden gekommen sei, könne demgegenüber dahinstehen, weil
eine solche Falschbehandlung spätestens im April 1997 geendet habe und
daher zumindest nicht mehr für die Aufrechterhaltung der Schmerzen in
den noch relevanten Jahren 2002 bis 2005 verantwortlich gewesen sein
könne.
Mit seiner
auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision verfolgt der
Kläger sein Versorgungsbegehren weiter. Er ist der Ansicht, zu den
wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen zähle auch die ärztliche
Behandlung eines Soldaten im Rahmen der unentgeltlichen Heilfürsorge,
weil diese mit einem Ausschluss der freien Arztwahl einhergehe. Daher
seien die unerwünschten Auswirkungen einer solchen Therapie als Folge
einer WDB anzuerkennen.
SG Augsburg
- S 5 VS 2/09 -
Bayerisches LSG
- L 15 VS 9/10 -
5) 13.15 Uhr - B
9 V 6/13 R - G.
./. Land Brandenburg
Der Kläger begehrt wegen einer chronifizierten schweren Zwangsstörung
die Feststellung von Schädigungsfolgen und Leistungen nach dem
Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG). Der Kläger war
seit 1963 ua als Zugschaffner bei der Deutschen Reichsbahn in G.
beschäftigt. Zwischen 1966 und 1968 war er Bedrohungen durch die
Staatssicherheit ausgesetzt. Auch wurde er als inoffizieller Mitarbeiter
geworben. Durch die Rehabilitierungsbehörde wurden diese Maßnahmen
später für rechtsstaatswidrig erklärt (23.11.1999). Der
Entschädigungsantrag war bei dem beklagten Land sowie vor dem SG und LSG
erfolglos. Das LSG hat ua ausgeführt, nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme lägen drei im Wesentlichen gleichwertige Ursachen der
Zwangsstörung vor: Belastungen in Kindheit und Jugend, die
streitbefangenen Verfolgungsmaßnahmen sowie Vorwürfe wegen der
Gefährdung der Essensversorgung von Heimbewohnern bei einer späteren
Beschäftigung als Küchenleiter. Nach der im sozialen Entschädigungsrecht
geltenden Formel der annähernden Gleichwertigkeit sei danach bei
wertender Betrachtung das schädigende Ereignis nicht wesentliche Ursache
der geltend gemachten Zwangsstörung. Die weniger strengen Maßstäbe des
2. Senats des BSG, wonach im Unfallversicherungsrecht auch eine
verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg
wesentlich sein könne, solange den anderen Ursachen keine überragende
Bedeutung zukomme, seien nicht übertragbar.
Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen die
Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung sowie Verfahrensmängel durch
Verletzung des Fragerechts nach § 116 S 2 SGG und Ablehnung von
Beweisanträgen.
SG
Cottbus
- S 17 VG 202/05 -
LSG
Berlin-Brandenburg
- L 11 VU 15/09 -