Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 2/13 R -, Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 12/13 R -, Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 31/12 R -, Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 3/13 R -, Urteil des 8. Senats vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R -
Kassel, den 24. Juli 2014
Terminbericht Nr. 34/14
(zur Terminvorschau Nr. 34/14)
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 23. Juli 2014.
1) Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das SG zurückverwiesen, weil insbesondere
ausreichende Feststellungen dazu fehlen, ob die verstorbene frühere
Klägerin, für deren nicht bekannte Rechtsnachfolger der Rechtsanwalt der
Verstorbenen den Prozess fortführt, ihre geltend gemachten Ansprüche auf
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch
‑ Sozialhilfe ‑ (SGB XII) an andere als den Fiskus vererbt hat. Dies
ist nur der Fall, wenn die Verstorbene zu Lebzeiten ihren Bedarf mit
Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe
vorleistenden Dritten gedeckt hat.
Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet indes die Anwendung der
Regelbedarfsstufe 1 bei den Leistungen für den Lebensunterhalt (§ 27a
Abs 3 SGB XII iVm der Anlage zu § 28 SGB XII) für die Verstorbene nicht
von vornherein mangels eigenen Haushalts aus. Vielmehr ist im Grundsatz
davon auszugehen, dass erwachsenen Personen, die einen Haushalt
gemeinsam führen, ohne Partner (Ehegatte, Lebenspartner einer
eingetragenen Lebenspartnerschaft oder Partner einer entsprechenden
eheähnlichen bzw lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft) zu sein,
seit 1.1.2011 jeweils der Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 zusteht.
Eine andere Lösung hätte einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
des Art 3 Abs 1 GG zur Folge, weil dann jede der zusammenlebenden
Personen einen Regelbedarf in Höhe von nur 80 % erhielte, ohne dass
zumindest eine Person ‑ wie in den sonstigen Konstellationen des
Zusammenlebens ‑ unter die Regelbedarfsstufe 1 (100 %) fiele. Insoweit
hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 1.1.2011 vom früheren Modell des
Haushaltsvorstands Abstand genommen. Für die Zuordnung zur
Regelbedarfsstufe 1 ist also nicht entscheidend, dass allein ein
eigener Haushalt geführt wird, sondern es genügt ein gemeinsamer mit
einer anderen Person zusammen, die nicht der Partner ist. Auch bei
dieser Konstellation ist kein fremder Haushalt anzunehmen.
Damit kann Anknüpfungspunkt für eine gemeinsame Haushaltsführung beim
Zusammenleben von erwachsenen Personen auch nicht die individuelle
Fähigkeit der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft sein, einen Haushalt
auch ohne Unterstützungsleistung eines anderen allein führen zu können;
maßgebend ist vielmehr, dass die zusammenlebenden Personen im Rahmen
ihrer körperlichen und geistig-seelischen Leistungsfähigkeit an der
Haushaltsführung beteiligt sind. Ansonsten würden gerade die in ihren
körperlichen, geistigen und seelischen Funktionen eingeschränkten
Menschen ungerechtfertigterweise schlechter gestellt. Bedürften sie
einer außenstehenden Person in Form ambulanter Betreuung, würde dies
sogar zu der nicht zu rechtfertigenden Annahme führen, keine dieser
behinderten Personen würde einen eigenen Haushalt führen.
Ergänzend dazu wird in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII vermutet, dass
Personen bei Zusammenleben gemeinsam einen Haushalt führen. Diese
Vermutung, die nicht durch § 43 Abs 1 2. Halbsatz bzw § 39 Satz 3 Nr 2
SGB XII (Nichtgeltung der ‑ teilweisen ‑ Bedarfsdeckung in einer
Haushaltsgemeinschaft bei Grundsicherungsleistungen bzw bei Betreuung
eines behinderten bzw pflegebedürftigen Menschen in einer
Haushaltsgemeinschaft) ausgeschlossen wird, ist nicht bereits
erschüttert, wenn eine Person gegenüber anderen einen geringeren
Beitrag an der Haushaltsführung leistet, selbst wenn für eine umfassende
Haushaltsführung notwendige Fähigkeiten fehlen. Nur wenn keinerlei
eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung vorläge,
würde kein Haushalt geführt. Hierfür trüge jedoch der Sozialhilfeträger
die Beweislast. Damit hat die Regelbedarfsstufe 3 für die Geldleistungen
nur eine geringe praktische Bedeutung; allerdings ist ihre Anwendung
‑ abgesehen davon, dass sie als Rechenposten bei den stationären
Leistungen zur Anwendung kommt ‑ nicht völlig ausgeschlossen.
Einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfsstufe 3
bedurfte es nicht.
SG
Detmold - S 16 SO 27/13 -
Bundessozialgericht - B 8 SO 14/13 R -
2) Auch in
diesem Verfahren wurde die Sache zu erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Hier fehlen allerdings (nur)
ausreichende Feststellungen dazu, ob der Klägerin insgesamt höhere
Grundsicherungsleistungen zustehen; die Zuordnung zur richtigen
Regelbedarfsstufe ist kein eigener Streitgegenstand.
Soweit es die Regelbedarfsstufe 3 betrifft, gelten die gleichen
Erwägungen wie unter Nr 1. Dass die schwerbehinderte Klägerin mit ihrer
Mutter zusammenlebt, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Unter
Berücksichtigung der Vermutungsregelung des § 39 Satz 1 SGB XII
(gemeinsame Führung des Haushalts) ist typisierend davon auszugehen,
dass auch dem behinderten Menschen in familiären Konstellationen in
verantwortungsvoller und seinen Fähigkeiten entsprechender Weise ein
weitgehend selbstständiges Leben ermöglicht werden soll und wird.
SG Magdeburg - S 16 SO 114/11 -
Bundessozialgericht - B 8 SO 12/13 R-
3) Die gleichen
Erwägungen wie unter Nr 2 führten zur Zurückverweisung der Sache an das
SG.
SG Potsdam - S 20 SO 187/11 -
Bundessozialgericht - B 8 SO 31/12 R -
4) Die Revision
des beklagten und widerklagenden Heimträgers hatte keinen Erfolg.
Der Schiedsspruch der (einfach) beigeladenen Schiedsstelle war insgesamt
aufzuheben. Damit ist das Schiedsverfahren wieder in den Stand vor der
Entscheidung der Beigeladenen zurückversetzt. Eine Verurteilung der
Beigeladenen ‑ wie vom LSG ausgesprochen ‑ ist zwar unzulässig; jedoch
ist die Schiedsstelle aufgrund ihrer Stellung als Vertragshilfeorgan
mittelbar an die gerichtliche Entscheidung gebunden. Ihre Befugnisse
gehen nicht weiter als die der Vertragsparteien und werden deshalb
durch die für diese geltende Gerichtsentscheidung gleichzeitig begrenzt.
Eine Erhöhung der
Investitionskostenvergütung nach § 75 Abs 5 Satz 3 SGB XII iVm dem hier
einschlägigen § 76 Abs 2 Satz 4 SGB XII ‑ die Erweiterung der
Einrichtung macht aus dieser keine neue, für die neue Verträge
geschlossen werden müssten ‑ kann nicht beansprucht werden, solange die
Zustimmung, also die Einwilligung vor der Maßnahme bzw die
nachträgliche Genehmigung der Maßnahme vor der Erhöhung der wegen einer
Investitionsmaßnahme verlangten Vergütung des Sozialhilfeträgers,
fehlt. Damit scheidet auch vor einer solchen Zustimmung ein
Schiedsspruch über die Höhe einer Vergütung unabhängig davon aus, ob
eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung vorliegt (s dazu § 75 Abs 3
SGB XII); denn die Schiedsstelle entscheidet nur über die Vereinbarung
selbst. Die in § 76 Abs 2 Satz 4 SGB XII vorgesehene Zustimmung ist
indes nicht deren rechtlicher Bestandteil.
Die Zustimmung hat der klagende Sozialhilfeträger nach den
Feststellungen des LSG zu keinem Zeitpunkt erteilt, sondern gegenteilige
Erklärungen abgegeben; das vom LSG festgestellte Verhalten des
klagenden Sozialhilfeträgers im Rahmen der Versorgung durch die
Pflegekassen (Zustimmung zum Abschluss eines neuen Versorgungsvertrags
und dem Pflegesatz) rechtfertigt deshalb ebensowenig die Annahme einer
konkludenten Zustimmung wie der Umstand, dass der Sozialhilfeträger
Erhöhungen der Investitionskostenvergütung im Bereich der Kurzzeitpflege
zugestimmt und auch bei der Langzeitpflege deren geringfügige Erhöhung
angeboten hat.
Insoweit liegt kein widersprüchliches Verhalten vor. Von den Leistungen
der Pflegekassen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale
Pflegeversicherung ‑ (SGB XI) werden die Investitionskosten nicht
erfasst (§ 82 SGB XI); gerade deshalb sind eigenständige Vereinbarungen
erforderlich, obwohl die Pflegesätze auch für die Sozialhilfeträger
gelten (§ 75 Abs 5 SGB XII). Ob der klagende Sozialhilfeträger sich
andererseits auf die fehlende Zustimmung im Verfahren der Erhöhung der
Investitionskostenvergütung beruft, unterliegt allein seiner
Entscheidung (§ 76 Abs 2 Satz 4 SGB XII: "braucht nur einer Erhöhung
zuzustimmen"), die außer bei Verstoß gegen Treu und Glauben weder einer
Kontrolle durch die Schiedsstelle noch durch das Gericht zugänglich
ist.
Verweigert der
Sozialhilfeträger seine Zustimmung zur Investitionsmaßnahme, muss diese
in einem gesonderten Klageverfahren erstritten werden; die Schiedsstelle
kann zwar auf eine nachträgliche Genehmigung der Maßnahme hinwirken,
eine fehlende Genehmigung nicht jedoch selbst ersetzen. Dies gilt auch
für das sich an die Entscheidung der Schiedsstelle anschließende
Gerichtsverfahren. Darin wird in der Sache nur der Schiedsspruch selbst
überprüft, auch wenn die Schiedsstelle nicht Klagegegner ist, sondern
sich die Klage gegen die jeweils andere Vertragspartei richtet (§ 77
Abs 1 Satz 5 SGB XII).
Hessisches LSG - L 7 SO 124/10 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 3/13 R -
5) Die Revision
der Klägerin hatte Erfolg; der Schiedsspruch der Schiedsstelle wurde
aufgehoben, soweit darin ein Inkrafttreten für die Zeit vor dem 1.8.2009
abgelehnt worden ist, obwohl die zwischen dem Heimträger und der
Beklagten geschlossene neue Leistungsvereinbarung bereits für die Zeit
ab 1.2.2009 in Kraft gesetzt worden ist und eine Prüfungsvereinbarung
bestand. Insoweit handelt es sich um einen abtrennbaren
Streitgegenstand.
Bei ihrer Entscheidung über die angemessene Höhe der Vergütung (§ 77
Abs 1 Satz 3 SGB XII), die auch den Zeitpunkt des Inkrafttretens
‑ allein oder zusammen mit der Vergütung ‑ erfasst (§ 77 Abs 2 Satz 1
SGB XII), hat die Schiedsstelle den ihr zustehenden
Entscheidungsfreiraum nicht erkannt und damit nicht genutzt, weil sie zu
Unrecht der Ansicht war, § 77 Abs 2 Satz 3 SGB XII verbiete ihr eine
Festsetzung des Inkrafttretens auf einen Zeitpunkt vor dem Eingang des
ersten Antrags bei ihr. Im Hinblick auf den der Schiedsstelle
grundsätzlich zustehenden Entscheidungsfreiraum konnte der Zeitpunkt des
Inkrafttretens jedoch nicht durch das Gericht selbst festgesetzt werden;
die Schiedsstelle wird in dem durch die Entscheidung wiedereröffneten
Verfahren erneut zu befinden haben.
Dem steht nicht die Regelung des § 77 Abs 2 Satz 3 SGB XII entgegen.
Diese Vorschrift verbietet vielmehr bei systematischer und an der
Verfassung orientierter Auslegung nur eine Vereinbarung über
Vergütungen vor dem Zeitpunkt, zu dem Vereinbarungen bzw
Schiedsstellenentscheidungen in Kraft treten. Sie konkretisiert mit
einem ohnedies wenig geglückten Wortlaut ("Unzulässigkeit aus jeweils
vor diesem Zeitraum zurückwirkenden Vereinbarungen oder Festsetzens von
Vergütungen") die Regelungen des § 77 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB XII,
wonach nachträgliche Ausgleiche unzulässig sind, und macht verdeckte
nachträgliche Ausgleiche unmöglich.
Nach § 77 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm § 77 Abs 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII
steht es den Vertragsparteien indes frei, rückwirkende Vereinbarungen
unter der Voraussetzung zu schließen, dass das Vereinbarungsverfahren
für einen zukünftigen Zeitraum (Vereinbarungszeitraum) rechtzeitig vor
Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode ‑ damit prospektiv ‑ angegangen
worden ist. Eine andere Auslegung verstieße ‑ insbesondere vor dem
Hintergrund, der Problematik einer Schiedsstellenfähigkeit von
Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen ‑ gegen das Gebot des effektiven
Rechtsschutzes und würde die Vertragsparteien wegen der Notwendigkeit
eines vorsorglichen Antrags systemwidrig in ein Schiedsstellenverfahren
zwingen, selbst wenn noch die Chancen für eine Einigung ohne
Einschaltung der Schiedsstelle bestehen. § 77 Abs 2 Satz 2 SGB XII, nach
dem Vereinbarungen mit dem Tag ihres Abschlusses bzw Festsetzung der
Schiedsstelle mit dem Tag wirksam werden, an dem der Antrag bei der
Schiedsstelle eingegangen ist, widerspricht dem nicht; diese Vorschrift
enthält bereits nach ihrem Wortlaut lediglich eine Regelung für den
Fall, dass die Vereinbarungen bzw der Schiedsspruch keine eigene
Bestimmung des Zeitpunkts enthalten. Satz 3 kann dann aber ‑ entgegen
der Ansicht des LSG, der Beklagten und der Schiedsstelle ‑
systematisch-logisch nicht daran anknüpfen. Da die Schiedsstelle
ausgehend von ihrer Funktion als Vertragshilfeorgan grundsätzlich die
gleichen Befugnisse besitzt wie die Vertragsparteien, darf auch die
Schiedsstelle den Zeitpunkt des Wirksamwerdens im Rahmen des
Prospektivitätsgrundsatzes frei bestimmen.
Bayerisches LSG - L 18 SO 230/09 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 2/13 R -