Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 14. Senats vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R -
Medieninformation Nr. 13/14
Keine Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs für die Umgangskosten mit Kind
Nach dem Grundsatzurteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE
125, 175) zum Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach
dem SGB II ‑ landläufig "Hartz IV" genannt ‑ haben
Arbeitslosengeld II-Empfänger einen speziellen Anspruch auf Leistungen
für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen
Bedarf, der mittlerweile auch in § 21 Abs 6 SGB II ins Gesetz
geschrieben wurde.
Den Antrag des Klägers, der
Arbeitslosengeld II bezog, auf einen solchen Mehrbedarf im Juli 2010
wegen der Ausübung des Umgangsrechts (alle 2 Wochen) mit seiner im Jahr
2006 geborenen, aber nicht bei ihm, sondern in 17 km Entfernung bei
ihrer Mutter lebenden Tochter lehnte das beklagte Jobcenter ab. Es
meinte, bei einer Entfernung von 17 km und jeweils zweimaliger Hin- und
Rückfahrt mit dem PKW sowie einer Pauschale von 0,20 Euro je
Entfernungskilometer ergebe sich nur ein Betrag von 13,60 Euro im Monat,
der unter einer Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs ‑ damals 359
Euro ‑ liege. Vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht war der
Kläger erfolgreich, sie haben ihm 27,20 Euro pro Monat bei einer
Pauschale von 0,20 Euro pro Kilometer zugesprochen.
Das
Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 4. Juni 2014 die Auffassung des
Klägers und der Vorinstanzen bestätigt.
Dass der Kläger, wie
alle Eltern, die Arbeitslosengeld II beziehen, grundsätzlich Anspruch
auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit seiner von
ihm getrennt lebenden Tochter hat, ergibt sich aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE
125, 175) und dem daraufhin vom Gesetzgeber geschaffenen § 21 Abs 6
SGB II.
Der Anspruch setzt zwar einen vom durchschnittlichen
Bedarf erheblich abweichenden, unabweisbaren, laufenden, nicht nur
einmaligen Mehrbedarf voraus. Ein solcher ist aber gegeben, wenn für die
Fahrten zur Ausübung des Umgangsrechts jeweils 68 km mit einem PKW
zurückgelegt werden müssen und das Umgangsrecht alle zwei Wochen
besteht. Denn selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Ct wie nach
dem Bundesreisekostengesetz zugrunde gelegt wird, ergibt sich ein Betrag
von 27,20 Euro pro Monat. Dieser Betrag beinhaltet auch eine erhebliche
Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf hinsichtlich der Regelleistung
von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung
enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro, zumal
in diesen die Ausgaben für PKW nicht berücksichtigt wurden.
Eine Rechtsgrundlage für die von dem beklagten Jobcenter vertretene
allgemeine Bagatellgrenze ist nicht zu erkennen. Eine Heranziehung der
10 %-Regelung für die Rückzahlung von Darlehen nach § 42a SGB II
scheidet aus. Bei einem Darlehen haben die Betroffenen das Geld vorher
erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen, während es ihnen
bei einer Bagatellgrenze vorenthalten würde, obwohl sie darauf einen
Anspruch haben.
Az.: B 14 AS 30/13 R
P. ./. Jobcenter Arbeitplus Bielefeld
§ 21 Abs 6 SGB lautet: "Bei Leistungsberechtigten wird ein
Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer,
laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der
Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die
Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von
Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten gedeckt ist und
seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf
abweicht."
In der maßgeblichen Bundestagsdrucksache
17/1465 (Beschlussempfehlung und Bericht des
Haushaltsausschusses) wird auf Seite 9 ausgeführt:
"Anwendungsfälle der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II
können dauerhaft benötigte Hygienemittel bei bestimmten
Erkrankungen (z.B. HIV, Neurodermitis), Putz- bzw.
Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer und Kosten zur Wahrnehmung
des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern sein. Diese
Aufzählung ist nicht abschließend."