Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 16.7.2014 - B 3 KR 1/14 R -, Urteil des 3. Senats vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.7.2014 - B 3 KS 3/13 R -, Urteil des 3. Senats vom 16.7.2014 - B 3 KR 2/13 R -
Kassel, den 9. Juli 2014
Terminvorschau Nr. 31/14
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 16. Juli 2014 im Jacob-Grimm-Saal über zwei Revisionen aus der gesetzlichen Krankenversicherung und eine Revision aus der Künstlersozialversicherung sowie über mehrere Nichtzulassungsbeschwerden zu entscheiden.
A.
Mit mündlicher Verhandlung
1)
9.30 Uhr ‑ B 3 KR 1/14 R ‑
M. ./. BKK Essanelle
Der Kläger begehrt von der beklagten
Krankenkasse die Versorgung mit einer elektrisch betriebenen mobilen
Treppensteighilfe, um mit Hilfe einer Pflegeperson im Rollstuhl sitzend
Treppen überwinden zu können.
Der 81 Jahre alte Kläger ist
infolge seiner langjährigen Diabeteserkrankung nahezu erblindet und
beidseitig beinamputiert. Wegen einer Nierenerkrankung muss er sich
dreimal wöchentlich einer Blutwäsche unterziehen. Von der Pflegekasse
bezieht er seit September 2012 Leistungen der Pflegestufe III. Die
Beklagte hat den Kläger ua mit einem mechanischen Rollstuhl versorgt,
mit dem er aber seine in der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses
gelegene Mietwohnung nicht ohne die Treppensteighilfe verlassen kann,
weil in dem Haus weder ein Aufzug noch ein Treppenlift vorhanden sind.
Die Fahrten zur Dialysebehandlung werden von einem
Krankentransportunternehmen durchgeführt, deren Mitarbeiter ihn in
seiner Wohnung abholen und dorthin wieder zurückbringen.
Im
Juni 2012 beantragte der Kläger die Versorgung mit einer elektrisch
betriebenen Treppensteighilfe des Typs Scalamobil, weil er nur so mit
Hilfe seiner Ehefrau oder seines in der zweiten Etage des Hauses
wohnenden Sohnes im Rollstuhl sitzend die Treppe zwischen Erdgeschoss
und erster Etage überwinden könne.
Zur Begründung machte er
geltend, ohne die Treppensteighilfe sei er an die Wohnung gefesselt. Er
könne nicht an die frische Luft kommen und sich in der Nachbarschaft
frei bewegen. Die Erschließung eines solchen Freiraumes zähle aber zu
den allgemeinen Grundbedürfnisses eines Menschen. Der Einbau eines
Treppenlifts sei geprüft, aber aus wirtschaftlichen Gründen verworfen
worden, weil er die auf mindestens 10 000 Euro veranschlagten Kosten
selbst unter Ausnutzung des von der Pflegekasse angebotenen Zuschusses
von 2557 Euro (§ 40 Abs 4 SGB XI) nicht tragen könne.
Die
Beklagte lehnte den Leistungsantrag ab, weil die Krankenkassen nicht für
Hilfsmittel aufzukommen hätten, die ein Versicherter nur wegen seiner
besonderen Wohnsituation benötige. Dazu zählten auch die
Treppensteighilfen, weil sie bei ebenerdig gelegenen Wohnungen und bei
Häusern mit Aufzügen oder Treppenliften entbehrlich seien (Bescheid vom
5.7.2012, Widerspruchbescheid vom 18.10.2012).
Das SG hat die
Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rollstuhltreppensteighilfe zur
Verfügung zu stellen (Urteil vom 13.6.2013). Das LSG hat die Berufung
der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17.9.2013). Die Mobilität in
der Wohnung und in deren näheren Umgebung gehöre zu den allgemeinen
Grundbedürfnissen des täglichen Lebens und sei von der GKV auch durch
eine entsprechende Hilfsmittelversorgung zu gewährleisten (§§ 33 Abs 1
S 1 SGB V). Zwar habe das BSG entschieden, die Leistungspflicht der
Krankenkassen umfasse nicht solche Hilfsmittel, die ein dauerhaft
behinderter Versicherter allein wegen der Besonderheiten seiner
individuellen Wohnverhältnisse benötige, die in einer anderen Wohnung
also entbehrlich wären (Urteil vom 7.10.2010 ‑ B 3 KR 13/09 R ‑
BSGE 107, 44 = SozR 4‑2500 § 33 Nr 31). Das Wohnen in mehrstöckigen
Mietshäusern ohne Fahrstuhl und Treppenlift entspreche aber auch
heutzutage noch einem durchschnittlichen Wohnstandard, stelle also
keine "Besonderheit der individuellen Wohnverhältnisse" dar.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung
materiellen Rechts (§ 33 SGB V). Die Ausstattung der Versicherten mit
Hilfen zur Überwindung rein baulicher Mobilitätshindernisse in Häusern
und Wohnungen falle nach der Systementscheidung des Gesetzgebers nicht
in die Zuständigkeit der Krankenkassen, sondern der Pflegekassen und
anderer Versicherungsträger.
Die Beklagte hat dem Kläger die
begehrte Treppensteighilfe nach Erlass des Berufungsurteils vorläufig
‑ bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits ‑ zur Verfügung
gestellt. Daraufhin hat der Kläger seinen Antrag auf Erlass einer
entsprechenden einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt.
SG
Düsseldorf
‑ S 9 KR 1019/12 ‑
LSG Nordrhein-Westfalen
‑ L 1 KR 491/13 ‑
2) 10.30 Uhr ‑ B
3 KR 2/13 R ‑ B. ./. AOK
Plus
Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse der Klägerin die
Kosten für die von ihr in Anspruch genommene häusliche Krankenpflege zum
An‑ und Ablegen eines Gilchristverbandes zu erstatten hat.
Nach
einer stationären Behandlung wegen einer Luxation des rechten
Schultergelenkes verordnete die Hausärztin der 1937 geborenen Klägerin
für die Zeit bis 30.9.2007 häusliche Krankenpflege für das Anlegen von
stützenden/stabilisierenden Verbänden sowie für die hauswirtschaftliche
Versorgung. Die Klägerin ist alleinstehend und bezieht keine Leistungen
der Pflegeversicherung. Zur Ruhigstellung des Schulter‑/Armbereichs
trug sie einen Gilchristverband. Dabei handelt es sich um ein in
verschiedenen Größen erhältliches, vorgefertigtes Gurtsystem, bei dem
der Unterarm angewinkelt in fertige Schlingen gelegt wird, um den
Schulter‑ und Armbereich zu immobilisieren.
Die Beklagte lehnte
den Antrag ab: Zur Behandlungspflege gehörten nur Pflegemaßnahmen, die
durch eine bestimmte Erkrankung verursacht, speziell auf den
Gesundheitszustand der Versicherten ausgerichtet seinen und zum
Erreichen der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 S 1 SGB V beitragen
sollten. Der Wechsel eines Gilchristverbandes diene jedoch nicht der
Krankenbehandlung, sondern erfolge lediglich, um die Körperpflege zu
ermöglichen und gehöre daher zur Grundpflege. Dies ergebe sich aus der
Anlage zur Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die
Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP‑RL).
Auf eine
erneute Verordnung der gleichen Leistungen für den anschließenden
Zeitraum vom 1.10. bis 4.11.2007 erging ein gleichlautender Bescheid.
Ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X blieb erfolglos.
Die
Klägerin nahm für das An‑ und Ablegen des Gilchristverbandes einen
Krankenpflegedienst in Anspruch, der diese Leistung am 24.9.2007 einmal
abends, in der Zeit vom 25.9.2007 bis 1.10.2007 jeweils einmal morgens
und abends und in der Zeit vom 2.11. bis 4.11.2007 noch dreimal
erbrachte. Die Klägerin zahlte dafür insgesamt 760,50 Euro.
Die
getrennt nach den Verordnungszeiträumen und den entsprechenden
Bescheiden erhobenen Klagen hat das SG nach Verbindung abgewiesen. Das
LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Beim An‑ und Ablegen
des Gilchristverbandes handele es sich nicht um eine Maßnahme der
Behandlungspflege, sondern der Grundpflege. Häusliche Krankenpflege
könne dafür nicht verordnet werden. Die Grundpflege umfasse pflegerische
Leistungen nichtmedizinischer Art, zB Körperpflege und andere Maßnahmen
der Hygiene. Da ein Gilchristverband einfach anzulegen sei, handele es
sich nicht um eine den medizinischen Hilfeleistungen vergleichbare
Maßnahme. Auch in der Anlage zur HKP‑RL sei die Maßnahme der Grundpflege
zugeordnet.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision
rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 37 SGB V). Das
An‑ und Ablegen eines Gilchristverbandes sei als verrichtungsbezogene
krankheitsspezifische Maßnahme ‑ vergleichbar mit dem An‑ und Ausziehen
von Kompressionsstrümpfen ‑ vom Anspruch auf häusliche Krankenpflege
umfasst. Der Gilchristverband, einschließlich der Kontrolle über seinen
richtigen Sitz, diene in erster Linie der Stabilisierung des Schulter‑
und Armbereichs und damit der Heilung einer Krankheit, auch wenn das
Ablegen eines Verbandes die Körperpflege erleichtere. Der gesetzliche
Leistungsanspruch eines Versicherten könne durch Richtlinien nicht
eingeengt werden.
Auf Nachfrage des Senats hat der GBA
mitgeteilt, der Umfang verordnungsfähiger Leistungen der
Behandlungssicherungspflege werde nicht durch die zur Grundpflege
gehörenden und dort aufgeführten Leistungen geschmälert. Dies gelte
auch für Überschneidungsbereiche. Das An‑ und Ablegen von stützenden und
stabilisierenden Verbänden diene der Sicherung des Ziels der ärztlichen
Behandlung und sei nach Ziff 31 der HKP‑RL der Behandlungspflege
zugeordnet, auch wenn diese Leistung gleichzeitig der Grundpflege diene.
SG Leipzig
‑ S 8 KR 76/08 ‑
Sächsisches LSG
‑ L 1 KR 48/10 ‑
B. Ohne mündliche Verhandlung
3) B 3 KS 3/13 R
St. GmbH & Co. KG ./. DRV Baden‑Württemberg
1 Beigeladene
Es ist streitig, ob Zahlungen an eine offene
Handelsgesellschaft (oHG) in die Bemessung der Künstlersozialabgabe
(KSA) nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) einzubeziehen
sind.
Die klagende GmbH & Co KG betreibt ein Unternehmen zur
Herstellung von Damenoberbekleidung. In den Jahren 2003 bis 2008
beauftragte sie die Werbeagentur W oHG mit der Erstellung von
Werbedrucksachen, Kollektionsheften, Katalogen, Plakaten, Messefahnen,
Internet-Auftritten und weiteren Werbemitteln. Die Rechnungen der W oHG
enthielten neben Druck-, Reise- und Übernachtungskosten, Kosten für
Kurierdienste und Catering eine Servicefee iHv 10 vH der Honorare für
die selbständigen Künstler, die die W oHG zur Erfüllung der Aufträge
der Klägerin beauftragt hatte. Die auf diese Honorare entfallende KSA
führte die W oHG an die Landesversicherungsanstalt Oldenburg‑Bremen ab
und berechnete sie dann der Klägerin. Die von der W oHG beauftragten
Künstler stellten hingegen ihre Honorare der Klägerin unmittelbar in
Rechnung, die von dieser an die Künstler überwiesen wurden, nachdem
die W oHG die Richtigkeit geprüft hatte.
Die Beklagte stellte
die Abgabepflicht der Klägerin nach dem KSVG fest und forderte Abgaben
für die Jahre 2003 bis 2008 iHv insgesamt 42 791,24 Euro nach (Bescheid
vom 8.4.2009). Die Klägerin sei Eigenwerber nach § 24 Abs 1 S 2 KSVG,
weil sie Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für das eigene Unternehmen
betreibe, wobei sie nicht nur gelegentlich Aufträge an selbständige
Künstler und Publizisten erteile. Der Widerspruch der Klägerin blieb
erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3.7.2009).
Das SG hat die
Klage abgewiesen (Urteil vom 19.4.2010). Das LSG hat das Urteil des SG
sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 9.11.2012). Die
Aufträge der Klägerin an die W oHG führten nicht zur Abgabepflicht nach
dem KSVG, da die Gesellschafter der oHG nicht als selbständige
Künstler/Publizisten anzusehen seien. Wie bei der Kommanditgesellschaft
(KG) und anders als bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) könne
bei der oHG als Personenhandelsgesellschaft nicht grundsätzlich
angenommen werden, dass an der Erstellung eines künstlerischen oder
publizistischen Werkes alle Gesellschafter gemeinschaftlich als
selbständige Künstler oder Publizisten mitwirken. Die oHG sei als
Handelsgesellschaft regelmäßig arbeitsteilig organisiert, so dass nicht
davon ausgegangen werden könne, dass alle Gesellschafter im
künstlerischen/publizistischen Bereich tätig seien, sondern einzelne
Gesellschafter auch organisatorische oder Management-Aufgaben
erledigten. Schließlich liege es nahe, dass die
künstlerische/publizistische Arbeit (auch) von angestellten
Mitarbeitern erledigt werde. Soweit die Beklagte die Abgabepflicht auf
die unmittelbare Bezahlung der von der W oHG beauftragten selbständigen
Künstler durch die Klägerin stütze, fehle es an einer Auftragserteilung
durch die Klägerin. Diese sei vielmehr durch die W oHG erfolgt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, nachdem
die Klägerin die Klage gegen die Feststellung der grundsätzlichen
Abgabepflicht nach § 24 Abs 1 S 2 KSVG zurückgenommen hat, die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, soweit es um die Höhe
der KSA für die Jahre 2003 bis 2008 geht. Die oHG ähnele in der
Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis und der Haftungsverhältnisse
eher der GbR als der KG. Zur GbR aber habe das BSG bereits entschieden,
dass durch den Zusammenschluss mehrerer Personen in einer GbR deren
Einzel-Selbständigkeit als Künstler idR nicht berührt werde, wenn es um
die gemeinschaftliche Erstellung eines oder mehrerer Werke gehe und
keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Zweckverfolgung nicht iS
von § 705 BGB gemeinschaftlich geschehe. Auch bei einem Gesellschafter
der oHG könne allein aufgrund seiner Gesellschafterstellung
‑ typischerweise ‑ angenommen werden, dass er sich als selbständiger
Künstler/Publizist iS des § 25 Abs 1 S 1 KSVG an der Herstellung eines
gemeinschaftlichen künstlerischen oder publizistischen Werkes
beteilige, dh er sich zur gemeinschaftlichen Erstellung eines Werkes
verpflichte und mit den anderen derart zusammenwirke, dass die
künstlerische oder publizistische Tätigkeit gleichsam als Wesensmerkmal
seiner Person anzusehen sei. Aufgrund seiner unbeschränkten Haftung
werde sich schließlich jeder oHG-Gesellschafter bei der Umsetzung des
Gesellschaftszwecks methodisch und zielgerichtet einbringen.
SG
Reutlingen
‑ S 12 R 2503/09 ‑
LSG Baden‑Württemberg
‑ L 4 R 2556/10 ‑