Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 8. Senats vom 7.10.2015 - B 8 SO 1/14 R -, Urteil des 8. Senats vom 7.10.2015 - B 8 SO 19/14 R -, Urteil des 8. Senats vom 7.10.2015 - B 8 SO 21/14 R -
Kassel, den 12. Oktober 2015
Terminbericht Nr. 43/15
(zur Terminvorschau Nr. 43/15)
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 7. Oktober 2015 auf dem Gebiet des Sozialhilferechts.
1) Die Revision wurde zurückgewiesen; das LSG
hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Schiedsspruch der
Schiedsstelle formell und materiell rechtmäßig ist.
Allein der Umstand, dass ein Mitglied der Schiedsstelle an den
Vertragsverhandlungen beteiligt war, führt wegen der Funktion der
Schiedsstelle als paritätisch mit Interessenvertretern besetztem
Vertragshilfeorgan nicht zu einem Ausschluss dieses
Schiedsstellenmitglieds; § 16 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch
‑ Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz ‑ (SGB X) ist nicht
unbesehen anwendbar. Bei der Entscheidung in der Sache war aufgrund der
Ausführungen des LSG, die Klägerin habe weder mit der Aufforderung zu
Vertragsverhandlungen noch durch spätere Handlungen eine Kündigung der
bestehenden Vergütungsvereinbarung erklären wollen, noch habe der
Beklagte dies so verstanden, rechtlich davon auszugehen, dass eine
Kündigung ‑ wie vom LSG entschieden ‑ nicht erfolgt ist. Mit der Rüge,
das LSG hätte ihr Verhalten anders, nämlich als Kündigung, verstehen
müssen, wendet sich die Klägerin lediglich gegen die Feststellung von
(inneren) Tatsachen, ohne dass eine Verletzung von Denkgesetzen bzw
Erfahrungssätzen durch das LSG vorliegen würde.
Trotz fehlender Kündigung war die Schiedsstelle allerdings nicht an
einer Entscheidung in der Sache gehindert; denn die Einschaltung der
Schiedsstelle ist nach § 77 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch
‑ Sozialhilfe ‑ (SGB XII) nur daran geknüpft, dass die zwischen den
Vertragsparteien verhandelte Vereinbarung nicht zustande gekommen ist.
Einer Entscheidung in der Sache durch die Schiedsstelle steht auch nicht
entgegen, dass zwischen den Beteiligten eine Prüfungs- und
Leistungsvereinbarung nicht geschlossen ist. Abgesehen von der
allgemeinen Problematik bedurfte es hier jedenfalls deshalb in dem
Verfahren über die neben der Vergütung nach dem Sozialgesetzbuch Elftes
Buch ‑ Soziale Pflegeversicherung ‑ (SGB XI) gesondert berechenbare
Investitionskostenvergütung (§ 75 Abs 5 SGB XII) dann keiner Prüfungs-
und Leistungsvereinbarung, wenn die Beteiligten übereinstimmend der
Ansicht sind, dass diese neben der Vereinbarung im Pflegesatzverfahren
nicht erforderlich sind und deshalb nicht abgeschlossen werden.
Inhaltlich ist der Schiedsspruch ebenfalls nicht zu beanstanden; er hält
sich im Rahmen des der Schiedsstelle zustehenden Entscheidungsfreiraums,
ohne dass in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit (§ 75 Abs 3 SGB XII) im
Einzelnen einzusteigen ist. Da die Voraussetzungen des § 77 Abs 3
SGB XII für eine Vertragsänderung (wesentliche unvorhergesehene
Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse) nicht vorlagen und der
Beklagte gerade deshalb den Abschluss einer neuen Vereinbarung
abgelehnt hat, war auch die Schiedsstelle berechtigt, darauf zu
verweisen, dass die Klägerin selbst bei von Anfang an bestehender
Unterdeckung an die bestehende Vereinbarung gebunden ist, solange die
Vergütungsvereinbarung noch wirksam ist, und deshalb die Vergütung in
derselben Höhe wie bisher festzusetzen.
LSG Berlin-Brandenburg - L 23 SO 38/10 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 1/14 R -
2) und 3) Im Hinblick auf das Ergebnis
des unter 1 dargestellten Verfahrens wurden die Revisionen
zurückgenommen.
LSG
Berlin-Brandenburg - L 23 SO 40/10 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 3/14 R -
LSG Berlin-Brandenburg - L 23 SO 39/10 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 2/14 R -
4) Die Revision
der Beklagten hatte Erfolg. Das LSG hat zu Unrecht den Schiedsspruch der
Schiedsstelle aufgehoben. Deren Entscheidung hält sich unter
Berücksichtigung des Streitgegenstandes, wie er an sie herangetragen
worden ist, im Rahmen des ihr zustehenden Freiraums.
Insoweit ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bzw dass eine
Schiedsstelle sich bei der Festsetzung der Vergütung nach § 76 Abs 2
(bestehend aus Grundpauschale, Maßnahmepauschale und
Investitionsbetrag) und der Prüfung von Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit (§ 75 Abs 3 SGB XII) an der Rechtsprechung des 3. Senats
des BSG zum sog externen Vergleich im Pflegeversicherungsrecht
orientiert, wobei der Begriff der Sparsamkeit allerdings keine
eigenständige Bedeutung aufweist, also keine unterhalb der
Wirtschaftlichkeitsgrenze liegende Ebene normiert. Dies bedeutet, dass
die Schiedsstelle zumindest berechtigt, wenn auch aufgrund der
andersartigen Normstruktur des SGB XII nicht verpflichtet ist, zunächst
eine Plausibilitätsprüfung betreffend die Kosten im Wege eines
internen Abgleichs vorzunehmen, ohne dass ihr bei der Beurteilung der
Plausibilität selbst ein Entscheidungsfreiraum zuzugestehen ist. Wenn
die Kosten plausibel sind, ist danach ggf eine externe Abklärung
erforderlich, die indes nicht zwingend nach Maßgabe der vom 3. Senat
des BSG für die leistungsgerechte Vergütung im Rahmen der
Pflegeversicherung entwickelten Kriterien vorzunehmen ist. Bei beiden
Prüfungsschritten ist zu beachten, dass nicht nur die Einrichtung bzw
den Leistungserbringer Darlegungs- bzw Mitwirkungsobliegenheiten
treffen, sondern auch den zuständigen Sozialhilfeträger.
Diesen allgemeinen Anforderungen wird der angefochtene Schiedsspruch
gerecht. Im Rahmen der (internen) Plausibilitätsprüfung ist die
Schiedsstelle bei den Personalkosten zutreffend von Vergütungen nach den
Richtlinien für die Einrichtung des Caritas-Verbandes (AVR) ausgegangen
und hat diese zu Recht als tarifliche Regelungen gewertet, deren
Angemessenheit einer externen, vergleichenden (marktorientierten)
Kontrolle nicht mehr zugänglich sind. Im Rahmen des
streitgegenständlich an die Schiedsstelle und das LSG herangetragenen
Begehrens des Klägers ist von diesem nur vorgetragen worden, die
Personalkosten seien nicht schlüssig dargelegt, weil die Richtigkeit
der tariflichen Einstufung nicht nachprüfbar sei. Es bedurfte keiner
Entscheidung, ob eine derartige Überprüfung generell Aufgabe der
Schiedsstelle ist, ob sie also bei einem ausdrücklich normativ oder
vertraglich institutionell vorgesehenen
Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren diesem vorbehalten bleiben muss.
Jedenfalls ist diese Prüfung dann nicht notwendigerweise Gegenstand der
Plausibilitätskontrolle durch die Schiedsstelle und das Gericht, wenn
der Sozialhilfeträger ‑ wie hier ‑ zu keinem Zeitpunkt in der
(fortbestehenden) Prüfungsvereinbarung vorgesehene
Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren in Gang gesetzt hat und sich sogar
darauf beruft, solche Verfahren seien zu arbeits- und kostenaufwändig
und müssten dem Schiedsstellenverfahren vorbehalten bleiben. Eine
derartige Vorstellung verkennt die strukturellen Kapazitäten einer
Schiedsstelle und verlagert eigene Pflichten auf ein Vertragshilfeorgan.
Soweit neben den
Personalkosten im Schiedsstellenverfahren und im Gerichtsverfahren noch
einzelne tatsächlich angefallene (Plausibilität) Sachkosten Gegenstand
des Verfahrens waren, bewegt sich der Schiedsspruch bei der externen
Abgleichung mit anderen Einrichtungen im Rahmen des der Schiedsstelle
zustehenden Entscheidungsfreiraums. Bei einer Position (Wasser, Energie
und Brennstoffe) hat sie mit nachvollziehbaren Erwägungen Abschläge
vorgenommen; bei weiteren Positionen (Fremdvergabe und Verwaltung) hat
sie aufgrund einer vom Kläger angeforderten und vorgelegten
Vergleichsliste über die Kosten anderer Einrichtungen, die dieser nicht
näher spezifiziert hat, eine derartige Spanne zwischen den niedrigsten
und den höchsten Kosten festgestellt, dass Abschläge als
unwirtschaftlich ohne nähere Prüfung nicht möglich seien. Auch hier muss
in die Beurteilung einfließen, dass sich der Kläger generell eigenen
Wirtschaftlichkeitsprüfungen verschließt und es vor diesem Hintergrund
jedenfalls nicht Aufgabe der Schiedsstelle sein muss, im Einzelnen in
die Prüfung der Ursachen hoher, tatsächlich vorhandener Ausgaben
einzusteigen. Eine solche Verpflichtung ergibt sich auch nicht aus der
Rechtsprechung des 3. Senats des BSG zum sog externen Vergleich im
Rahmen des Pflegesatzverfahrens. Die dort entwickelten stringenten
Vorgaben zu Verfahren und Entscheidung der Schiedsstelle sind bereits
wegen der andersartigen normativen Struktur nicht nahtlos auf das
SGB XII übertragbar.
SG für das Saarland - S 25 SO 86/12 -
LSG für
das Saarland - L 11 SO 1/12 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 21/14 R -
5) Die Revision
hatte Erfolg; das LSG hat zu Unrecht den Schiedsspruch der Schiedsstelle
bestätigt. Dieser hält sich nicht im Rahmen des ihr zustehenden
Freiraums bei der Festsetzung einer Vergütung für gesondert
berechenbare Investitionskosten nach § 75 Abs 5 SGB XII iVm § 82 Abs 4
SGB XI (hier im Wesentlichen Mietkosten).
Unabhängig von der Frage, ob bzw inwieweit sich eine Schiedsstelle bei
den Investitionskosten überhaupt an den vom 3. Senat des BSG
aufgestellten stringenten Kriterien für den sog externen Vergleich
orientieren darf bzw kann, ist der Schiedsspruch bereits fehlerhaft,
weil die Schiedsstelle ausgehend von tatsächlichen und rechtlich
verbindlichen Mietkosten (Plausibilitätsprüfung), die in ihrer Höhe
regelmäßig kaum beeinflussbar sind, mit unzulässigen
Bedarfsplanungsgesichtspunkten eine höhere Vergütung abgelehnt hat.
Die Schiedsstelle
ist indes nicht gehindert, bei einer erneuten Entscheidung über die
Marktgerechtheit der Mietkosten (externe Kontrolle) ggf
gesellschaftsrechtliche Aspekte (Verflechtung zwischen Vermieter und
Mieter) zu berücksichtigen, während sie wegen einer früheren, denselben
Streitgegenstand betreffenden gerichtlichen Entscheidung, deren
Richtigkeit der Senat nicht zu beurteilen hat, eine andere als die
gewählte Vergleichsgruppe (nur Kosten im Mieter-, nicht im
Eigentümermodell; nur landesrechtlich nicht geförderte Einrichtungen)
nicht wählen darf.
LSG Berlin-Brandenburg - L 23 SO 26/11 KL -
Bundessozialgericht - B 8 SO 19/14 R -