Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 47/14 R -, Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R -, Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 49/14 R -, Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R -, Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R -
Kassel, den 20. November 2015
Terminvorschau Nr. 54/15
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 3. Dezember 2015 im Elisabeth-Selbert-Saal nach mündlicher Verhandlung über fünf Revisionen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu entscheiden.
1) 10.00 Uhr - B 4 AS 47/14 R -
F. ./. Jobcenter Saale-Holzland-Kreis
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Leistungen für Unterkunft und
Heizung für ein Eigenheim im Jahre 2011. Das Haus des Klägers wird mit
Gas beheizt, wobei für den Betrieb der Gastherme Strom benötigt wird.
Bei der Berechnung der dem Kläger bewilligten Leistungen für Unterkunft
und Heizung ließ der Beklagte ua diese Stromkosten unberücksichtigt,
weil sie bereits vom pauschalierten Regelbedarf umfasst seien. Das SG
hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von Anfang
bis Mitte 2011 weitere 21,96 Euro zu zahlen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, es handele sich hierbei um Aufwendungen für Stromkosten zum
Betrieb der Heizungsanlage, die nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen seien. Durch das
RBEG sei ‑ entgegen der Auffassung des Beklagten ‑ keine Neuregelung
erfolgt, die zu einer Änderung dieser Rechtsprechung führen müsse. Da
die vorhandenen Einrichtungen keine separate Messung des durch den
Betrieb der Heizungsanlage anfallenden Stromverbrauchs erlaubten, habe
es die Kosten hierfür schätzen müssen.
Mit seiner Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung des § 22
Abs 1 SGB II. Die Sonderauswertung der EVS 2008 habe zu einer
wesentlichen Änderung bei der Bemessung der Regelsatzbestandteile
geführt, weshalb die Rechtsprechung des BSG zur Zuordnung der Kosten des
Betriebsstroms der Heizungsanlage ab dem 1.1.2011 nicht mehr anzuwenden
sei. Nach Aufnahme der Stromkosten von Eigentümerhaushalten in die
Bemessung der Regelsätze nach § 20 SGB II seien für diese Kosten keine
Unterkunftsleistungen mehr zu erbringen.
SG Altenburg - S 27 AS 4108/11 -
2) 10.45 Uhr -
B 4 AS 59/13 R - G. ./. Jobcenter
Frankfurt am Main
Der
1955 geborene erwerbsfähige Kläger ist griechischer Staatsangehöriger
und lebt seit Oktober 2011 ohne weitere Familienangehörige wieder in
Deutschland. Vom 20.12.2011 bis 17.2.2012 war er als Lagerist/Fahrer
sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Am 29.8.2012 wurde ihm eine
Bescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU aF ausgestellt.
Der Beklagte bewilligte ihm zunächst vom 1.8.2012 bis 31.1.2013
SGB II-Leistungen, lehnte die weitere Bewilligung auf den Antrag des
einkommens- und vermögenslosen Klägers jedoch mit der Begründung ab,
dass dieser ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche habe und
damit der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eingreife.
Das SG hat den Beklagten
verurteilt, dem Kläger über den 31.1.2013 hinaus weiterhin Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe
zu gewähren. Das LSG hat die ablehnenden Bescheide sowie den
Gerichtsbescheid aufgehoben, "soweit das Sozialgericht dem Kläger
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den 31. Juli 2013
hinaus zugesprochen hat". Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Ausschluss von
der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II finde bei dem
Kläger keine Anwendung, obgleich er sich nicht (mehr) auf den
Arbeitnehmerstatus nach dem FreizügG/EU berufen könne. § 7 Abs 1 S 2
Nr 2 SGB II kollidiere mit der VO (EG) 883/2004, weil das
Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 VO (EG) 883/2004 eine
Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausschließe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, § 7
Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kollidiere nicht mit der VO (EG) 883/2004. Das
Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 sei nach Erklärung des
Vorbehalts zu Leistungen nach dem SGB II durch die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 nicht mehr anspruchsbegründend.
SG Frankfurt - S 24 AS 246/13 -
Hessisches LSG - L 7 AS 474/13 -
3) 12.00 Uhr - B
4 AS 44/15 R - 1. I.M., 2. R.M., 3. D.V.S.
./.
Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen
beigeladen: Stadt Gelsenkirchen
Streitig ist, ob die Kläger, eine vierköpfige Familie mit rumänischer
Staatsangehörigkeit, die 2008 nach Deutschland zugezogen ist, von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im
Zeitraum von Oktober 2010 bis November 2011 ausgeschlossen waren. Der
Kläger zu 1) hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann
zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer
sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Seine Ehefrau,
die Klägerin zu 2), ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Bis
Ende 2010 verkauften sie gemeinsam die Zeitung "Fifty-Fifty" zu einem
Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der
Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der
Kläger zu 1) hatte von Oktober 2008 bis Oktober 2009 ein Gewerbe für
"Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"
angemeldet, das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine
Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne, die in Deutschland die Schule
besuchten, erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro.
Der Beklagte lehnte die Erbringung von Alg II bzw Sozialgeld an die
Kläger mit der Begründung ab, sie seien nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II von
Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen. Das SG hat diese
Rechtsauffassung bestätigt. Auf die Berufung der Kläger hiergegen hat
das LSG das Urteil des SG geändert und den Beklagten zur
Leistungserbringung im streitigen Zeitraum verurteilt. Der
Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger
nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht. Auf
Unionsbürger ohne ein materielles Aufenthaltsrecht finde der
Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Eine
erweiternde Auslegung im Sinne des Erstrechtschlusses komme wegen des
Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht.
Der Beklagte führt zur Begründung der von ihm hiergegen eingelegten
Revision aus, die Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das LSG führe
dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt
nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für
arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden. Dies widerspreche
dem Sinn und Zweck der Ausschlussregelung. Der vom LSG beigeladene
Sozialhilfeträger hat im Revisionsverfahren darauf hingewiesen, dass der
Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen nach dem SGB II unter
Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH in der Sache Alimanovic
europarechtskonform sei sowie entgegen der Auffassung der Kläger auch
einen Sachverhalt wie den vorliegenden betreffe.
SG Gelsenkirchen - S 31 AS 47/11 -
LSG
Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 129/13 -
4) 13.00 Uhr
- B 4 AS 43/15 R - 1. N.A., 2. S.A., 3. V.A., 4.
V.A. ./.
Jobcenter Berlin Neukölln
Streitig ist die Aufhebung einer laufenden Bewilligung von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Monat Mai 2012.
Die Kläger sind
schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu
1) reiste im Juni 2010 erneut mit ihren Kindern, der im Mai 1994
geborenen Klägerin zu 2) und den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen
Klägern zu 3) und 4) in die Bundesrepublik ein. Ihnen wurde im Juli 2010
bzw 2011 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU erteilt. Mit Ausnahme
eines weiteren im Jahre 2005 in Schweden geborenen Kindes, das wegen der
Zahlung von Unterhaltsvorschuss und Kindergeld nicht hilfebedürftig iS
des SGB II ist, sind die anderen Kinder, also die Kläger zu 2) bis 4),
während eines vorangegangenen langjährigen Aufenthalts in Deutschland
geboren. Sie bezogen SGB II-Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts, die zuletzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012
bewilligt wurden.
Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik Deutschland erklärten
Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) hob der Beklagte die
Bewilligungen für den Monat Mai 2012 in vollem Umfang auf. Das SG hat
diese Bescheide aufgehoben, weil eine wesentliche Änderung in den
rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Die Klägerinnen zu 1)
und 2) verfügten nicht mehr über ein europarechtliches Aufenthaltsrecht
als Arbeitnehmer. Ein Aufenthaltsrecht sei ausschließlich durch die
Arbeitsuche vermittelt worden. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1
S 2 Nr 2 SGB II greife nicht, weil Art 4 VO (EG) 883/2004 jede
Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber eigenen Staatsangehörigen
bei besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage. Zudem
verdränge das Gleichbehandlungsgebot nach Art 1 EFA weiterhin die
Ausschlussregelung.
Mit seiner Sprungrevision macht der Beklagte geltend, § 7 Abs 1 S 2 Nr 2
SGB II verstoße nicht gegen EU-Recht, weil es sich bei den Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um
"Sozialhilfeleistungen" im Sinne des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG handele.
Ein Leistungsausschluss für Arbeitsuchende sei daher möglich. § 7 Abs 1
S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen die VO (EG) Nr 883/2004. Dem
Leistungsausschluss stehe auch das EFA nicht entgegen, weil der von der
Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei. Auf das
Vorabentscheidungsersuchen des Senats hat der EuGH mit Urteil vom
15.9.2015 (Rs C-67/14 - Alimanovic) entschieden.
SG Berlin - S 55 AS 18011/12 -
5) 14.00 Uhr
- B 4 AS 49/14 R - G. ./.
Main-Taunus-Kreis - Der Kreisausschuss
Im Streit ist, ob Tilgungsleistungen des Klägers auf Kredite für ein
selbstgenutztes Eigenheim für die Zeit von Januar 2011 bis Januar 2012
im Rahmen der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II
zuschussweise anstelle eines Darlehens zu übernehmen sind. Der 1950
geborene Kläger ist seit 1984 Eigentümer eines selbstbewohnten
Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von ca 78 qm. Der Kaufpreis betrug
290.000 DM, den er über Darlehen finanzierte. Neben den Zinszahlungen
fielen im streitbefangenen Zeitraum Tilgungsleistungen in Höhe von ca
2.800 Euro an. Am 30.1.2011 betrug das Darlehen noch ca 43.000 Euro und
sollte nach dem vorgelegten Tilgungsplan bis zum Jahr 2037 getilgt
werden. Seit dem 1.11.2013 erhält der Kläger Altersrente und ist aus dem
SGB II-Leistungsbezug ausgeschieden. Der Beklagte bewilligte Leistungen
für Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst ohne Berücksichtigung der
Tilgungsleistungen, später dann in Höhe der Tilgungsleistungen (nur) als
Darlehen.
Das SG hat
den Beklagten verurteilt, die darlehensweise bewilligten Leistungen als
Zuschuss zu gewähren. Die Berufung des Beklagten hat das LSG
zurückgewiesen. Es lägen die Voraussetzungen vor, die es nach der
Rechtsprechung des BSG erlaubten, ausnahmsweise Tilgungsraten für
Darlehen als Kosten der Unterkunft zuschussweise zu übernehmen.
Insbesondere sei die Finanzierung bereits weitgehend abgeschlossen. Die
Resttilgungsschuld betrage nur noch 18,7 Prozent des Kaufpreises. Auf
den Gesamtleistungsbezug entfielen wegen der Rentennähe nur ein
Tilgungsbetrag von ca 2,7 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises.
Mit seiner vom LSG zugelassen Revision macht der Beklagte geltend, die
Leistungen nach dem SGB II seien auf die aktuelle Existenzsicherung
beschränkt. Durch die Verpflichtung, Tilgungsleistungen zuschussweise zu
gewähren, erfolge aber eine Vermögensbildung bei dem Kläger, die über
die Existenzsicherung hinausgehe. Ein besonderer Ausnahmefall im Sinne
der Rechtsprechung des BSG liege hier wegen der hohen noch offenen
Darlehenssumme nicht vor. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass
das Darlehen "weitgehend" abbezahlt gewesen sei.
SG Wiesbaden - S 16 AS 601/11 -
Hessisches LSG - L 6 AS 422/12 -