Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R -, Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R -, Urteil des 4. Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R -
Medieninformation Nr. 28/15
Ausschluss von SGB II-Leistungen für Unionsbürger - Sozialhilfe bei tatsächlicher Aufenthaltsverfestigung
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat
in drei Urteilen vom heutigen Tag unter Berücksichtigung der Urteile des
Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums konkretisiert, in welchen
Fallgestaltungen Unionsbürger aus den EU-Mitgliedstaaten
existenzsichernde Leistungen nach dem Recht der Grundsicherung für
Arbeitsuchende (SGB II) beziehungsweise dem Sozialhilferecht (SGB XII)
beanspruchen können (vergleiche zu den Sachverhalten Terminvorschau Nr.
54/15). Dies erfolgt im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften vom 15. September 2015 (Rs C-67/14
"Alimanovic"), wonach der ausnahmslose Ausschluss von Unionsbürgern mit
einem alleinigen Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche von den
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II
europarechtskonform ist.
Der 4. Senat hat hierzu entschieden,
dass der Ausschluss arbeitsuchender Unionsbürger von SGB II-Leistungen
auch für diejenigen Unionsbürger greift ("erst-recht"), die über kein
Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz oder dem
Aufenthaltsgesetz verfügen. Auch bei fehlender
Freizügigkeitsberechtigung sind aber zumindest Sozialhilfeleistungen im
Ermessenswege zu erbringen. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts -
über sechs Monate - ist dieses Ermessen aus Gründen der Systematik des
Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts in der Weise reduziert, dass regelmäßig
zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen
ist.
Im Falle eines griechischen Staatsangehörigen, der nach
einer kurzen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Ende
2011/Anfang 2012 SGB II-Leistungen auch für die Zeit ab Februar 2013
begehrt, ist das zusprechende Urteil des Landessozialgerichts auf die
Revision des Jobcenters aufgehoben und die Sache zur Klärung der
Aufenthaltsrechte im streitigen Zeitraum zurückverwiesen worden. Der
formell und materiell wirksame Vorbehalt der Bundesregierung zum
Europäischen Fürsorgeabkommen schließt SGB II-Leistungen, nicht jedoch
Sozialhilfeleistungen in gesetzlicher Höhe an den Kläger aus (B 4 AS
59/13 R).
Die Kläger im Verfahren B 4 AS 44/15 R, eine bereits
2008 nach Deutschland zugezogene Familie rumänischer
Staatsangehörigkeit, unterfallen zwar dem Leistungsausschluss für
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Wegen ihres
verfestigten Aufenthalts in Deutschland haben sie jedoch Anspruch auf
Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe. Der beigeladene
Sozialhilfeträger wurde verurteilt, diese Leistungen zu erbringen.
In dem dritten Verfahren ("Alimanovic") hat der 4. Senat das Urteil des
Landessozialgerichts auf die Revision des Jobcenters aufgehoben. Zwar
waren die Kläger, eine seit langem im Bundesgebiet lebende Mutter mit
drei Kindern schwedischer Staatsangehörigkeit, die nur in kürzeren
Beschäftigungen beziehungsweise Arbeitsgelegenheiten tätig waren, als
Arbeitsuchende von SGB II-Leistungen ausgeschlossen. Es ist jedoch noch
zu prüfen, ob sich die Kläger auf andere Aufenthaltsrechte im
Zusammenhang mit der Ausbildung und Integration der Kinder im
Bundesgebiet berufen können.
Az.: B 4 AS 59/13 R
G. ./. Jobcenter Frankfurt am Main
Az.: B 4 AS
44/15 R
1. I.M., 2. R.M., 3. D.V.S. ./. Integrationscenter für
Arbeit
Gelsenkirchen; beigeladen: Stadt Gelsenkirchen
Az.: B 4 AS
43/15 R
1. N.A., 2. S.A., 3. V.A., 4. V.A. ./. Jobcenter Berlin
Neukölln
Hinweis
auf die Rechtslage:
§ 7 Abs 1 SGB II
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
…
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1. Ausländerinnen und Ausländer, die
weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen,
Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3
des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind,
und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate
ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer,
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der
Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, ….
§ 23 SGB XII
(1)
1Ausländern,
die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum
Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei
Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach
diesem Buch zu leisten. …
3Im
Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im
Einzelfall gerechtfertigt ist. …
(3) Ausländer, die
eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren
Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche
ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch
auf Sozialhilfe.
Art 1 EFA
Jeder der Vertragschließenden verpflichtet sich, den
Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich
in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen
Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über
ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen
eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen
die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge
("Fürsorge") zu gewähren, die in der in diesem Teil seines
Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.