Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 5. Senats vom 22.3.2018 - B 5 RS 8/17 R -, Urteil des 5. Senats vom 22.3.2018 - B 5 RE 1/17 R -, Urteil des 5. Senats vom 15.12.2016 - B 5 RS 4/16 R -, Urteil des 5. Senats vom 22.3.2018 - B 5 RE 5/16 R -, Urteil des 5. Senats vom 7.12.2017 - B 5 RE 10/16 R -
Kassel, den 23. März 2018
Terminbericht Nr. 14/18
(zur Terminvorschau Nr. 14/18)
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 22. März 2018.
1) Die Revision der Beklagten war im Sinn der
Aufhebung und Zurückverweisung erfolgreich. Der Senat kann auf der
Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht entscheiden, ab wann eine
dem Kläger zu erteilende Befreiung wirkt. Hiervon hängt gleichzeitig ab,
für welche Zeiträume der Kläger zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet
ist.
Für die von den Vorinstanzen ausgeurteilten Zeiten vom
1.6.2007 bis 31.12.2007 und vom 1.1.2009 bis 30.6.2009 kommt ein
Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
als sog arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger nach § 6 Abs 1a Satz 1 Nr
1 SGB VI grundsätzlich in Betracht. Als einzige tatbestandsmäßige
Voraussetzung dieser Norm ist die Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1
Nr 9 SGB VI durch die entsprechenden Regelungen in den Bescheiden vom
16.7.2007 aufgrund ihrer Tatbestandswirkungen im Verhältnis der
Beteiligten und für die Gerichte verbindlich geklärt. Eine weitere
Prüfung ist damit weder zulässig noch erforderlich.
Der Streit
der Beteiligten betrifft folgerichtig allein die Rechtsfolge des § 6 Abs
1a Satz 1 Nr 1 SGB VI und dort die Frage nach dem Beginn des für eine
Befreiung äußerstenfalls in Betracht kommenden Zeitraums. Der
Normwortlaut der Nr 1 "für einen Zeitraum von 3 Jahren nach erstmaliger
Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz
1 Nr. 9 erfüllt", gibt entgegen der Auffassung des LSG weder Anlass,
auch insofern den Eintritt von Versicherungspflicht zu verlangen, noch
rechtfertigt er entgegen der Revision ein Verständnis, demzufolge
bereits die bloße Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit genügen
könnte.
Generell ergibt sich Versicherungspflicht erst aus der
Zusammenschau einer Mehrheit normativer Anordnungen und kann erst dann
bejaht werden, wenn neben den Voraussetzungen eines die
Versicherungspflicht anordnenden Grundtatbestandes nicht gleichzeitig
gesetzliche Tatbestands- oder Rechtsfolgenreduktionen eingreifen,
Regelungen zur Versicherungsfreiheit einschlägig sind, oder eine im
Einzelfall vorrangige Befreiung zu beachten ist. Eine derartige vom
Grundtatbestand des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI ausgehende - hiermit aber
nicht endende - umfassende Prüfung erfordert § 6 Abs 1a Satz 1 SGB VI
lediglich als tatbestandsmäßige Voraussetzung eines Befreiungsanspruchs
("Personen, die nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig sind…").
Dies ergibt sich bereits daraus, dass rechtlich und sprachlogisch eine
"Befreiung" nur beim Bestehen von Versicherungspflicht in Betracht
kommen kann (so auch die stRspr des BSG, etwa BSGE 95, 238, 243).
Dagegen nimmt das Gesetz für den Beginn des Dreijahreszeitraums auf der
Rechtsfolgenseite lediglich die "Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9," in
Bezug, verweist also auf die tatbestandlichen Voraussetzungen allein
dieser Norm und fordert eine darüber hinaus gehende
"Versicherungspflicht" nicht.
Schon die Gesetzesbindung der
Verwaltung und der Gerichte verbietet es, den Befreiungszeitraum statt
"mit der erstmaligen Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, die die
Merkmale des § 2 Satz 1 Nr. 9 erfüllt," bereits mit der erstmaligen
Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit beginnen und den erläuternden
Relativsatz unberücksichtigt zu lassen. Die sog Materialien geben keinen
durchgreifenden Hinweis auf ein anderes Verständnis der hier in Frage
stehenden Regelung. Nichts anderes ergibt sich schließlich aus § 6 Abs
1a Satz 3 SGB VI, der im Rahmen einer Sonderregelung die
unterschiedlichen Anknüpfungssachverhalte des Satz 1 aaO -
Versicherungspflicht nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI aaO einerseits und
Erfüllung der Voraussetzungen dieser Norm andererseits - gerade exakt
abbildet und nicht etwa konfundiert.
Der Dreijahreszeitraum
einer möglichen Befreiung beginnt damit vorliegend mit der Erfüllung
auch der negativen Tatbestandsvoraussetzung des § 2 Abs 1 S 1 Nr 9a SGB
VI "… im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig
keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen …" am 1.7.2006
und endet am 30.6.2009 (§ 187 Abs 2 S 1 BGB, § 188 Abs 2 BGB). Innerhalb
dieses Zeitraums kann der Kläger für Zeiten einer gleichzeitigen
Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI und damit für die
beiden vorliegend streitigen Zeiträume ungeachtet des Umstandes befreit
werden, dass beide einen mehrjährigen Abstand zur erstmaligen Aufnahme
einer selbstständigen Tätigkeit als Handelsvertreter aufweisen. Der
Begriff der "Existenzgründungsphase", auf den sich die Beklagte unter
Bezugnahme auf die Materialien beruft, ist vorliegend nur insofern
einschlägig, als er in § 6 Abs 1a S 1 Nr 1 SGB VI eine normative
Ausgestaltung gefunden hat und bestimmt nicht etwa umgekehrt den
Regelungsgehalt dieser Norm. Ein weiterer Befreiungszeitraum nach § 6
Abs 1a Satz 2 SGB VI kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die
selbstständige Tätigkeit des Klägers ausgehend von den bindenden
Feststellungen des LSG mit dem bloßen Wechsel zu einem anderen
Auftraggeber am 1.1.2007 keine relevante Änderung des Geschäftszwecks
erfahren hat und es sich damit nach der ausdrücklichen gesetzlichen
Anordnung in S 4 aaO nicht um eine "2. selbstständige Tätigkeit"
handelt.
Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen
Feststellungen des LSG nicht beurteilen, wann der Kläger den für den
konkreten Beginn der Befreiung maßgeblichen Antrag (§ 6 Abs 4 S 1
SGB VI) gestellt hat bzw rechtlich so zu behandeln ist, als habe er
einen wirksamen Antrag gestellt. Insbesondere fehlt es im Zusammenhang
eines grundsätzlich auch hier in Betracht kommenden sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs an weiteren Feststellungen zum Inhalt des
Telefonats vom 1.6.2007 und dessen näheren Umständen. Abhängig vom
Ergebnis der weiteren Sachaufklärung kämen mehrere weitere Zeitpunkte
einer - von der Beklagten offen gelassenen - Antragstellung in Betracht.
SG Altenburg
- S 2 R 1039/09 -
Thüringer LSG
- L 3 R 19/15 -
Bundessozialgericht
- B 5 RE 1/17 R -
2) Die Revision
ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Das Rechtsmittel
der Beklagten ist aufgrund der Zulassung durch das LSG ungeachtet des
zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Senats vom 7.12.2017 (B 5 RE
10/16 R - zur Veröffentlichung vorgesehen) statthaft und entgegen der
Auffassung des Klägers zulässig. Die Klage ist nicht bereits deshalb
unzulässig, weil der Kläger schon auf der Grundlage des Bescheides vom
21.2.1985 dauerhaft von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung befreit wäre und deshalb keiner weiteren Befreiung
mehr bedürfte. Die Auslegung dieses Bescheides ergibt insbesondere im
Blick auf den zugrunde liegenden Antrag und den Bescheidtext nicht, dass
der Kläger hiernach auch für seine Beschäftigung bei der Beigeladenen zu
2 befreit ist.
Auf der Grundlage der bisherigen
Tatsachenfeststellungen lässt sich nicht abschließend feststellen, ob
die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI erfüllt sind. Das LSG
hat für den Senat bindend festgestellt, dass seit dem 1.10.2009 die
Voraussetzungen einer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2 vorliegen
und der Kläger jeweils aufgrund hessischen Landesrechts Pflichtmitglied
der Landesapothekerkasse Hessen (Beigeladene zu 1) und des
Versorgungswerks der Apotheker im Lande Hessen ist. Ebenfalls auf der
Grundlage von Landesrecht ist das LSG zu der Auffassung gelangt, dass
eine iS von § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI befreiungsfähige Beschäftigung
ausgeübt wird. Dieses Ergebnis entzieht sich der Überprüfung durch den
Senat. Dass das LSG zur Auslegung von Landesrecht Bundesrecht als
zulässige Interpretationshilfe herangezogen hat, ändert hieran nichts.
Es sind auch keine Anhaltspunkte für eine bundesrechtlich zu beachtende
Willkür des LSG vorhanden. § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI verlangt
schließlich nicht, dass eine Tätigkeit, für die eine Befreiung von der
Versicherungspflicht erlangt werden kann, eine "approbationspflichtige"
Tätigkeit iS des § 2 BApO ist. Dagegen kann auf der Grundlage der
tatrichterlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden, ob
der Kläger aufgrund seiner entgeltlichen Beschäftigung auch
(renten)versicherungspflichtig ist (§ 1 S 1 Nr 1 Halbs 1 Alt 1 SGB VI)
und die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen von § 6 Abs 1 S 1 Nr 1
Buchst a) bis c) iVm Abs 3 S 1 SGB VI vorliegen. Insofern kommt dem
Gesichtspunkt mangelnder Streitigkeit zwischen den Beteiligten weder in
tatsächlicher noch erst recht in rechtlicher Hinsicht Bedeutung zu.
SG Gießen
- S 5 R 128/14 -
Hessisches LSG
- L 1 KR 347/15 -
Bundessozialgericht
- B 5 RE 5/16 R -
3) Die Revision
der Beklagten war erfolgreich. Das LSG hat die erstinstanzliche
Entscheidung zu Unrecht bestätigt. Für den erst in der der mündlichen
Verhandlung vor dem SG erfolgten Angriff auf den ersten
Überprüfungsbescheid vom 22.2.2010 fehlt es bereits am erforderlichen
Rechtsschutzbedürfnis. Der Bescheid vom 30.5.2011 und der
Widerspruchsbescheid vom 11.5.2012 sind im angegriffenen Umfang
rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die
Beklagte ist nicht verpflichtet, die bestandskräftigen Verwaltungsakte
zur Entgelthöhe im Bescheid vom 10.5.2004 abzuändern und für die
Zuflussjahre 1983 und 1985 zusätzlich geschätzte JEP als weitere
Entgelte vorzumerken. Wie der Senat in stRspr bereits entschieden hat
(Urteil vom 15.12.2016 - B 5 RS 4/16 R -, SozR 4-8570 § 6 Nr 7), kommt
eine Schätzung der Höhe von Arbeitsentgelt iS des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes nicht in Betracht, wenn die Zahlung
dieses Arbeitsentgelts nur glaubhaft gemacht ist. Der vorliegend zur
Entscheidung stehende Sachverhalt, gibt keinen Anlass, hiervon
abzuweichen.
SG Leipzig
- S 27 RS 628/12 -
Sächsisches LSG
- L 5 RS 736/15 -
Bundessozialgericht
- B 5 RS 8/17 R -