Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 4. Senats vom 12.10.2016 - B 4 AS 1/16 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.10.2016 - B 4 AS 60/15 R -, Urteil des 11. Senats vom 12.10.2016 - B 11 AL 6/15 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.10.2016 - B 4 AS 38/15 R -
Kassel, den 12. Oktober 2016
Terminbericht Nr. 38/16
(zur Terminvorschau Nr. 38/16)
Der 4./11. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 12. Oktober 2016.
1) Die Revision wurde zurückgewiesen. Die
Kläger haben mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Umwandlung der
darlehensweise gewährten Leistungen in einen Zuschuss. Diesem Anspruch
steht entgegen, dass ihr Hausgrundstück mit Einfamilienhaus wegen seiner
Größe als Vermögen zu berücksichtigen ist. Nach § 12 Abs 3 S 1 Nr 4
SGB II gilt nur ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener
Größe als Schonvermögen; maßgebend für die Angemessenheit sind gemäß
§ 12 Abs 3 S 2 SGB II die Lebensumstände während des Leistungsbezuges.
Für die Beurteilung der Angemessenheit ist die Gesamtwohnfläche des auf
dem Grundstück errichteten Hauses maßgeblich. Diese ist
bundeseinheitlich nach den Wohnflächengrenzen des zum 1.1.2002 außer
Kraft getretenen Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) zu bestimmen,
differenziert nach der Anzahl der Personen. Für Familienheime mit nur
einer Wohnung, die von bis zu vier Personen bewohnt werden, sah das
II. WobauG eine Wohnflächengrenze von 130 qm vor. Diese
Wohnflächengrenze ist bei einer Belegung mit weniger als vier Personen
um jeweils 20 qm pro Person zu reduzieren. Hiervon ausgehend beträgt die
Wohnflächengrenze einer angemessenen Wohnung im Fall der Kläger 110 qm,
denn das Haus wurde im streitbefangenen Zeitraum nur von drei Personen
bewohnt. Die Wohnfläche des Hauses von 143,39 qm übersteigt diese Grenze
nicht unerheblich. Besondere Umstände, die eine Anpassung der Werte
rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Nicht als normativer
Anknüpfungspunkt für eine Erhöhung der allgemeinen Angemessenheitsgrenze
kann entgegen der Auffassung des LSG § 82 Abs 3 S 2 II. WoBauG
herangezogen werden, wonach eine Verminderung der Personenzahl nach dem
erstmaligen Bezug der Wohnung für die Beurteilung der angemessenen
Wohnfläche von steuerbegünstigten Wohnungen unschädlich ist. Die
Verwertung des Grundstücks ist auch nicht offensichtlich
unwirtschaftlich. Zu Recht hat das LSG auf der Grundlage seiner
Feststellungen besondere Umstände verneint, wonach die Verwertung für
die Kläger eine besondere Härte bedeuten würde. Soweit die Kläger
meinen, der Beklagte hätte ein dem "Kostensenkungsverfahren" im Rahmen
des § 22 Abs 1 SGB II bei unangemessenen Kosten der Unterkunft und
Heizung entsprechendes Verfahren durchführen müssen, verkennen sie den
Regelungszusammenhang sowie den Sinn und Zweck des
Kostensenkungsverfahrens.
SG Aurich
- S 15 AS 63/10 -
LSG Niedersachsen-Bremen
- L 13 AS 34/12 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 4/16 R -
2) Die Revision
des Klägers ist hinsichtlich der von ihm erhobenen Anfechtungs-,
Verpflichtungs- und Leistungsklage unbegründet. Trotz fehlender
Bezeichnung der im Einzelnen aus Sicht des Klägers zu ändernden
Bewilligungsbescheide mangelt es nicht schon an einem hinreichend
objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne des § 44 SGB X, der eine
inhaltliche Prüfverpflichtung des SGB II-Trägers entfallen ließe. Der
Umfang des Prüfauftrags war für den Beklagten erkennbar, weil der Kläger
konkret vorgetragen hat, für welchen Zeitraum er die Berücksichtigung
seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag vom
Einkommen bzw als "besonderen Bedarf" begehrt. Der Überprüfungsbescheid
vom 9.5.2012 ist jedoch rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Rücknahme der in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erlassenen
Bewilligungsbescheide und rückwirkende Zahlung höherer Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nach gefestigter
Rechtsprechung des BSG hat die Verwaltung schon eine
Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn
die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung
ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch
den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen. Dies gilt in
gleicher Weise bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung
auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr, wenn der Antrag auf Rücknahme
‑ wie vorliegend der zweite Überprüfungsantrag ‑ nach dem 31.3.2011
gestellt worden ist. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen
nicht. Das LSG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass mit diesem
Antrag keine erneute Eröffnung des bereits zuvor abgeschlossenen
Überprüfungsverfahrens eingeleitet werden kann. Die von dem Kläger
erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage ist zum Teil schon unzulässig,
im Übrigen jedoch unbegründet gewesen.
SG Augsburg
- S 11 AS 543/12 -
Bayerisches LSG
- L 7 AS 546/14 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 37/15 R -
3) Die Revision
hatte keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere
Leistungen. Im streitigen Zeitraum vom 1.10.2012 bis 31.3.2013 hat der
Beklagte den Bedarf des Klägers zutreffend unter Berücksichtigung des
Regelbedarfs, eines Mehrbedarfs allein für eine dezentrale
Warmwasserversorgung sowie der Grundmiete, der Nebenkostenpauschale und
der bereinigten Heizkosten ermittelt. Soweit er für die Monate Januar
bis März 2013 einen Abzug von der Regelleistung für die Nutzung von
Kochgas vorgenommen hatte, hat er dies im Wege eines Anerkenntnisses
korrigiert. Auch das in dem streitigen Zeitraum anzurechnende Einkommen
aus selbständiger Tätigkeit hat der Beklagte zutreffend ermittelt und es
um die Absetzbeträge nach Maßgabe des § 11b SGB II in korrekter Weise
vermindert. Weitere Absetzbeträge für Unterhaltszahlungen können nicht
abgesetzt werden. Nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 7 SGB II sind Aufwendungen zur
Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem
Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten
Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen. Der
Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass nur laufender
titulierter Unterhalt, nicht jedoch Zahlungen auf Unterhaltsrückstände
aus der Vergangenheit als Absetzbeträge berücksichtigt werden können.
Auch die Nichtberücksichtigung von Rücklagen für Anwaltskosten und ein
neues Kfz entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BSG.
SG
Augsburg
- S 11 AS 1113/12 -
Bayerisches LSG
- L 7 AS 547/14 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 38/15 R -
4) Das LSG hat
die Berufung gegen das Urteil des SG Berlin zu Recht als unzulässig
verworfen, weil diese nicht innerhalb der Berufungsfrist formgerecht
eingelegt worden ist. Durch Übermittlung der PDF-Datei in das
elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach des LSG am letzten Tag
der Berufungsfrist wurden weder die besonderen Anforderungen des § 65a
SGG an die elektronische Form noch die Anforderungen an die Schriftform
gewahrt. Die Übermittlung entsprach mangels der erforderlichen
qualifizierten elektronischen Signatur nicht den hierfür festgelegten
Anforderungen. Die Berufung ist auch nicht deshalb als form- und
fristgemäß zu werten, weil der elektronisch übermittelte
Berufungsschriftsatz noch am Tag seines Eingangs ausgedruckt worden ist.
Allein der Ausdruck eines (nur) elektronisch übermittelten Schriftsatzes
vermag nicht die Anforderungen nach § 151 Abs 1 S 1 SGG an die
Schriftform einer Berufungsschrift zu erfüllen. Dies gilt unabhängig
davon, ob die übermittelte Datei eine Unterschrift enthält oder auf
welche Weise diese Unterschrift generiert wurde. Wenn ein Absender zur
Übermittlung eines bestimmenden Schriftsatzes als prozessualen Weg die
elektronische Übermittlung eines Dokumentes wählt, sind für die
Beurteilung der Formrichtigkeit allein die hierfür vorgesehen
gesetzlichen Voraussetzungen maßgebend. Ein ergänzender, diese
Voraussetzungen einschränkender Rückgriff auf Grundsätze, die für
originär "schriftlich" iS von § 151 Abs 1 SGG eingelegte Berufungen
entwickelt wurden, kommt nicht in Betracht. Wie das LSG zu Recht erkannt
hat, kommt schließlich auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gemäß § 67 Abs 1 SGG nicht in Betracht.
SG Berlin
- S 167 AS 25172/13 -
LSG Berlin-Brandenburg
- L 25 AS 1511/15 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 1/16 R -
5) Die Revision
der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG
Erfolg gehabt. Das LSG ist bei der zu treffenden Gesamtabwägung, ob
zwischen der Klägerin und L eine Verantwortungs- und
Einstehensgemeinschaft vorgelegen hat, von einem falschen rechtlichen
Ausgangspunkt ausgegangen. Aufgrund der Feststellungen des LSG ist nicht
geklärt, ob Einkommen und Vermögen des L bei der Berechnung des
Leistungsanspruchs der Klägerin zu berücksichtigen ist, weil zwischen
ihr und L im streitbefangenen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft (§ 7
Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II) bestanden hat. Ob eine solche in Form der
Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt, ist durch das
Tatsachengericht anhand von Indizien im Wege einer Gesamtwürdigung
festzustellen. Der Senat hat insoweit nur zu überprüfen, ob das
Tatsachengericht bei seinen Feststellungen von dem zutreffenden
Rechtsbegriff der "Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft"
ausgegangen ist. Dies ist indes nicht der Fall. Das LSG hat geprüft, ob
sich die Partner einer von ihm bejahten früheren nichtehelichen
Lebensgemeinschaft nach Maßgabe der Regelung des § 1567 BGB getrennt
haben. Für die vorzunehmende Gesamtwürdigung durfte das LSG aber nicht
von dieser Rechtsnorm ausgehen und von der Klägerin den Nachweis eines
objektiv erkennbaren Trennungswillens verlangen. Das SGB II nennt
vielmehr in § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c die Voraussetzungen für die
Beurteilung einer Verantwortungs- und Einstehens-Gemeinschaft. Auf
dieser Grundlage muss im jeweiligen Bewilligungszeitraum das Bestehen
einer solchen Gemeinschaft positiv festgestellt werden.
SG
Leipzig
- S 2 AS 2298/10 -
Sächsisches LSG
- L 3 AS 609/12 -
Bundessozialgericht
- B 4 AS 60/15 R -
6) Die Revision
der Beklagten wurde zurückgewiesen. Das LSG hat zu Recht festgestellt,
dass die Auflage zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis
rechtswidrig gewesen ist. Die Voraussetzungen für die Erteilung der
Auflage gemäß § 2 Abs 2, § 3 Abs 1 Nr 3 S 3 des Gesetzes zur Regelung
der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) lagen nicht vor.
Die Klägerin
durfte durch arbeitsvertraglich vereinbarte Anwendung der zwischen dem
Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen und den
DGB-Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge der Zeitarbeit vom
Gleichbehandlungsgebot des AÜG abweichen. Als Mischunternehmen mit nicht
überwiegender Arbeitnehmerüberlassung ist die Klägerin nicht von der im
AÜG eröffneten Möglichkeit der Bezugnahme auf Tarifverträge
ausgeschlossen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, kommt es allein
auf den durch die Tarifvertragsparteien bestimmten Geltungsbereich des
jeweiligen Tarifvertrages an. Dass das AÜG darüber hinaus die
überwiegende Arbeitnehmerüberlassung in einem Mischunternehmen
voraussetzt, kann der Auslegung der Norm nicht entnommen werden: Der
Wortlaut des § 3 Abs 1 Nr 3 S 3 AÜG knüpft ‑ anders als § 6
Arbeitnehmerentsendegesetz ‑ nicht an ein Überwiegen an. Auch Sinn und
Zweck des AÜG gebieten nicht die Geltung des Überwiegensprinzips für
nicht tarifgebundene Mischunternehmen. Ferner ist die Klägerin als
Mischunternehmen nicht vom Geltungsbereich der konkret in Bezug
genommenen Tarifverträge ausgeschlossen gewesen, denn auch deren
Geltungsbereich setzt kein Überwiegen der Arbeitnehmerüberlassung
voraus. Ob das Überwiegensprinzip als Auslegungsgrundsatz nach Aufgabe
der Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit noch weiterhin
heranzuziehen ist, ist umstritten, kann hier aber dahinstehen. Denn wenn
einem Tarifvertrag das Industrieverbandsprinzip erkennbar nicht zugrunde
liegt, kann auch nicht angenommen werden, dass er auf den gesamten
Betrieb Anwendung finden soll.
SG Hamburg
- S 17 AL 24/11 -
LSG Hamburg
- L 2 AL 64/13 -
Bundessozialgericht
- B 11 AL 6/15 R -