Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 5. Senats vom 23.3.2017 - B 5 RS 11/16 R -, Urteil des 5. Senats vom 23.3.2017 - B 5 RS 15/16 R -
Kassel, den 23. März 2017
Terminbericht Nr. 10/17
(zur Terminvorschau Nr. 10/17)
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 23. März 2017.
1) und 2)
Die Revisionen der Beklagten waren jeweils in der Sache
erfolgreich. Den Klägern steht kein - im Wege des Zugunstenverfahrens
verfolgter - Anspruch auf Feststellung höherer Arbeitsverdienste unter
zusätzlicher Berücksichtigung in der DDR bezogener Jahresendprämien zu.
Der Tatbestand öffentlich-rechtlicher Normen ist regelmäßig nur
dann erfüllt, wenn ein einschlägiger Sachverhalt nach Ausschöpfung
grundsätzlich aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisgrundlagen bis zur
Grenze der Zumutbarkeit (vgl BVerwG vom 26.8.1983 - BVerwG 8C 76.80,
Buchholz 310 § 86 Abs 1 VwGO Nr 147 S 9 und BVerfG vom 27.10.1999 -
1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106) zur vollen Überzeugung des hierzu
berufenen Anwenders im Sinne einer subjektiven Gewissheit feststeht. Für
das sozialgerichtliche Verfahren ergibt sich dies aus § 103 Satz 1
Halbsatz 1, § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Abweichungen von diesem
Beweismaßstab bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Nur dann ist
gewährleistet, dass normativ angeordnete Rechtsfolgen allein Fällen der
gesetzlich vorgesehenen Art zugeordnet werden und im Streitfall
effektiver Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) gewährleistet ist. An einer
einschlägigen Ausnahmeregelung fehlt es vorliegend. Die
Berufungsgerichte waren nicht ermächtigt, die Höhe geltend gemachter
Jahresendprämien lediglich zu schätzen.
Durch die Rechtsprechung
des 4. Senats, der sich der erkennende Senat anschließt, ist geklärt,
dass es sich bei sog Jahresendprämien um bundesrechtlich relevantes
Arbeitsentgelt iS von §§ 6 Abs 1 Satz 1 AAÜG, 14 SGB IV handelt (Urteil
vom 13.8.2007 - B 4 RS 4/06 R-, SozR 4-8570 § 8 Nr 4). Für den
maßgeblichen Zufluss derartiger Entgeltbestandteile trägt der
Zahlungsempfänger die objektive Beweislast. Die Beweiserleichterungen
des maßgeblichen § 6 Abs 6 AAÜG verhelfen den Klagen nicht zum Erfolg.
Zwar hat das LSG mit bindender Wirkung für das BSG (§ 163 SGG) jeweils
festgestellt, dass in den jeweils ausgeurteilten Jahren Jahresendprämien
zugeflossen sind. § 6 Abs 6 AAÜG ermöglicht es nämlich in Fällen wie den
vorliegenden, in denen Zufluss und Höhe eines Teils des Verdienstes im
Wege des Vollbeweises nachgewiesen sind, nach seinem Wortlaut und
systematischen Zusammenhang, die Möglichkeit der Glaubhaftmachung auch
auf den Grund weiterer Entgeltzahlungen zu erstrecken. Ebenso für das
Revisionsgericht verbindlich hat das Berufungsgericht aber jeweils auch
(negativ) festgestellt, dass die Höhe einschlägiger Zahlungen nicht
glaubhaft gemacht ist. Insofern ist unerheblich, dass die angegriffenen
Urteile möglicherweise nicht auf dieser Feststellung beruhen.
Die weitergehenden Feststellungen der Berufungsgerichte zur Höhe von
Jahresendprämien auf der Grundlage von Schätzungen sind dagegen
unbeachtlich. Sie gehen von rechtlich unzutreffenden Annahmen
hinsichtlich des Beweismaßes aus, die der sachlichen Prüfung durch das
BSG unterliegen. Es ist grundsätzlich unerheblich, ob gesetzliche
Beweiserleichterungen im Bereich des materiellen oder des sog formellen
Rechts verortet sind. Jedenfalls ermöglichen die Ausnahmeregelungen des
§ 6 Abs 5 und 6 AAÜG nicht darüber hinausgehende Erleichterungen in
Gestalt einer Schätzung im Sinne einer Überzeugung von der bloßen
Wahrscheinlichkeit. Die streitigen Zahlungen betreffen zudem ersichtlich
keinen "Schaden" iS von § 287 Abs 1 ZPO. Auch kann die auf gesetzlicher
Ermächtigung beruhende "entsprechende Anwendung" der Norm auf der
Grundlage von Abs 2 aaO von vorne herein nur in Betracht kommen, wenn
für den in Frage stehenden Rechtsbereich keine abschließende vorrangige
Regelung besteht. Zudem würde die entsprechende Anwendung von § 287 Abs
1 ZPO in Fällen der vorliegenden Art zunächst die rechtsgrundlose
Erweiterung von dessen Anwendungsbereich auf Fallkonstellationen mit
ungeklärter Haftungsgrundlage erfordern, obwohl die insofern
einschlägigen tatsächlichen Umstände gerade zur vollen Überzeugung des
Gerichts feststehen müssen (§ 286 ZPO). Schließlich stieße die
praktische Umsetzung eines derart methodisch fragwürdigen Tuns auf das
Problem, dass sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch hinsichtlich der
Höhe Erwägungen zu unterschiedlichen Graden der Wahrscheinlichkeit
anzustellen wären. Deren Überlagerung müsste jedoch letztlich zu bloßen
Möglichkeiten und damit zu einer Verfehlung auch der Rechtsfolge von §
287 ZPO führen.
Fragestellungen zur Ermittlung und Feststellung
des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Kalenderjahren mit
Arbeitsausfalltagen, die der Entscheidung des 4. Senats in seinem Urteil
vom 4. Mai 1999 (B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr 3) zugrunde liegen,
waren vorliegend nicht zu beantworten. In diesem Fall ebenso wie im
Urteil vom 23.8.2007 (SozR 4-8570 § 6 Nr 4) ging es dem Grunde nach um
nachgewiesene Zahlungen.
1) SG Chemnitz
- S 19 RS 897/13 -
Sächsisches LSG
- L 5 RS 782/14 -
Bundessozialgericht
- B 5 RS 15/16 R -
2) SG Dresden
- S 22 RS 110/09 -
Sächsisches LSG
- L 5 RS 738/12 -
Bundessozialgericht
- B 5 RS 11/16 R -