Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 11. Senats vom 12.12.2017 - B 11 AL 28/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 12.12.2017 - B 11 AL 21/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 12.12.2017 - B 11 AL 27/16 R -, Urteil des 4. Senats vom 12.12.2017 - B 4 AS 33/16 R -, Urteil des 11. Senats vom 12.12.2017 - B 11 AL 26/16 R -
Kassel, den 4. Dezember 2017
Terminvorschau Nr. 59/17
Der 4./11. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 12. Dezember 2017 im Elisabeth-Selbert-Saal nach mündlicher Verhandlung über vier Revisionen und über eine Revision ohne mündliche Verhandlung aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie in Angelegenheiten des Arbeitsförderungsrechts zu entscheiden.
A. Mit mündlicher Verhandlung
1) 10.00 Uhr - B 4 AS 33/16 R -
U. W. ./. Jobcenter Delmenhorst
Streitig sind höhere
Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH).
Das
beklagte Jobcenter wies die im SGB II-Bezug stehende Klägerin, die eine
77 qm große Drei-Zimmer-Wohnung in Delmenhorst mit tatsächlichen, vom
Beklagten getragenen Unterkunftskosten von 571,16 Euro allein bewohnte,
darauf hin, dass es möglich und zumutbar sei, die KdUH auf einen Betrag
von monatlich 233,50 Euro zuzüglich angemessener Betriebs- und
Heizkosten zu senken (Kostensenkungsaufforderungen aus Februar/März
2011). Sodann bewilligte er SGB II-Leistungen für den Zeitraum von
Oktober 2011 bis März 2012 nur noch unter Berücksichtigung einer
Grundmiete von 233,50 Euro (50 qm x 4,67 Euro), Nebenkosten in Höhe von
113,50 Euro (50 qm x 2,27 Euro) und tatsächlichen Heizkosten. Im
Februar/März 2012 erfolgten Abzüge wegen erstatteter Heiz- und
Betriebskosten.
Der Beklagte bezog sich auf ein von der InWIS
Forschung und Beratung GmbH (im Folgenden InWIS) erstellten
qualifizierten Miet-, Betriebs- und Heizkostenspiegel (Stichtagsmonat
2008) und ein darauf aufbauendes Gutachten zur Bestimmung angemessener
Unterkunftskosten mit ergänzender Auswertung von Wohnungsangeboten bis
einschließlich des dritten Quartals 2009, beide von Dezember 2009.
Das SG hat den Beklagten verurteilt, für die Monate Oktober 2011 bis
März 2012 weitere 16 Euro monatlich für KdUH zu erbringen. Das LSG hat
dem Zahlbetrag für Januar/Februar 2012 verringert, insoweit die Klage
abgewiesen und im Übrigen die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Das
Konzept des Beklagten genüge im streitigen Zeitraum nicht (mehr) den
Anforderungen an die Aktualität des Datenmaterials. Die beigezogenen
Stellungnahmen wiesen bereits zur Mitte des Jahres 2011 deutliche
Steigerungen bei den Angebotsmieten aus, die im Konzept des Beklagten
nicht ansatzweise abgebildet seien. Allerdings reichten die Daten nicht
aus, um daraus ‑ im Sinne einer zweitbesten Lösung ‑ ein Konzept für die
Angemessenheit der Unterkunftskosten zu erstellen oder den
Nachbesserungsbedarf benennen zu können. Es handele sich allein um eine
Datenbankabfrage, ohne dass ein Abgleich mit den tatsächlich anmietbaren
Wohnungen, deren Größe und Ausstattungssegment möglich sei. Daher seien
angemessene KdUH unter Berücksichtigung der Tabellenwerte von § 12
Wohngeldgesetz zuzüglich eines Sicherungszuschlages von 10 % anzusetzen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine
Verletzung des § 22 SGB II. Würden schlüssige Konzepte auf der
Datengrundlage von qualifizierten Mietspiegeln erstellt, bewirke eine
(erneute) Erhebung von Daten innerhalb des Zweijahreszeitraums eine
nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit. Auch liege kein unvorhergesehener
Preissprung vor. Zudem sei ein alleiniges Abstellen auf Angebotsmieten
nicht zielführend, weil dann die Bestandsmieten vollkommen außer
Betracht gelassen würden. Ungeachtet dessen müsse die ausreichende
Verfügbarkeit von Wohnraum erst auf der Ebene des konkreten Einzelfalls
überprüft werden.
SG Oldenburg
- S 61 AS 1960/11 -
LSG Niedersachsen-Bremen
- L 13 AS 135/15 -
2) 11.45 Uhr - B 11
AL 26/16 R - M. M. ./.
Bundesagentur für Arbeit
Im Streit ist die Förderung der
Klägerin aus dem Vermittlungsbudget der beklagten Bundesagentur für
Arbeit anlässlich der Aufnahme eines Bundesfreiwilligendienstes (BFD).
Die 1964 geborene, arbeitsuchend gemeldete Klägerin und die
Beklagte schlossen eine Eingliederungsvereinbarung (EV), die auf das
Ziel der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der
Klägerin als Industriekauffrau im regionalen Bereich gerichtet war. Die
Beklagte sagte in dieser EV finanzielle Hilfen zur Unterstützung der
Bewerbungsaktivitäten zu. Die Klägerin beantragte die Erstattung von
Reisekosten für ein Vorstellungsgespräch zur Ableistung eines BFD und
die Erstattung von Fahrkosten für eine Monatskarte und für Benzin- sowie
weiterer Fahrzeugkosten, die im Zusammenhang mit dem Antritt des BFD
entstehen würden. Sie verpflichtete sich in der Folgezeit zur Ableistung
eines BFD bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Ihre
Förderanträge lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, es liege beim
BFD zwar eine Versicherungspflicht vor, jedoch handele es sich nicht um
eine Beschäftigung im Sinne von § 7 SGB IV. Während das SG die Beklagte
zur Neubescheidung verurteilt hatte, hat das LSG die Klage abgewiesen.
Zwar bestehe während des BFD Versicherungspflicht, doch könnten sich die
in diesem Rahmen zu erwerbenden Kompetenzen allenfalls mittelbar auf
eine spätere berufliche Eingliederung der Klägerin auswirken.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine
Verletzung des § 45 Abs 1 Satz 1 SGB III aF, der dem geltenden § 44
Abs 1 Satz 1 SGB III entspricht. Das Berufungsgericht habe die
Anspruchsvoraussetzung der "Notwendigkeit der Förderung für die
berufliche Eingliederung" in seinem Bedeutungsgehalt verkannt. Auch ein
BFD könne grundsätzlich notwendig für die berufliche Eingliederung sein.
Erforderlich sei eine Prognose über die Eingliederungsmöglichkeit der
Arbeitslosen und eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte
Ermessensentscheidung. Auch in der Aufnahme einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung im Rahmen eines BFD könne ein
notwendiger Schritt in die berufliche Eingliederung liegen.
SG
Chemnitz
- S 24 AL 711/11 -
Sächsisches LSG
- L 3 AL 172/14 -
3) 12.30 Uhr - B 11 AL
21/16 R - C. E. ./.
Bundesagentur für Arbeit
Im Streit ist die Zahlung von
Arbeitslosengeld (Alg) im Zeitraum vom 1.2. bis 4.8.2014.
Die
1974 geborene Klägerin war seit 1.2.2001 in Nürnberg
versicherungspflichtig beschäftigt. Im Juni 2012 verlegte sie ihren
Wohnsitz von Lauf a.d. Pegnitz in die Schweiz. Das Arbeitsverhältnis
wurde durch Aufhebungsvertrag einvernehmlich bei Zahlung einer Abfindung
beendet. Am 18.12.2013 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten
arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte lehnte dies ab, weil die
Klägerin ihren Wohnsitz nicht in Deutschland habe. Die Arbeitslosenkasse
des Kanton Bern wiederum lehnte eine „Anspruchsberechtigung auf
Arbeitslosenentschädigung“ für den Zeitraum vom 1.1.2014 bis 4.8.2014
ab, weil die Klägerin eine freiwillige Leistung ihrer ehemaligen
Arbeitgeberin erhalten habe.
Klage und Berufung blieben ohne
Erfolg. Als "echte" Grenzgängerin iS des Art 65 Abs 2 Satz 1, Abs 5
Buchst a iVm Art 1 Buchst f der VO (EG) Nr 883/2004 zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit habe die Klägerin lediglich Anspruch
auf Entgeltersatzleistungen nach den Rechtsvorschriften ihres
Wohnsitzstaates, somit nach Schweizer Recht. Auf entgegenstehende
Rechtsprechung des BVerfG (SozR 3-1200 § 30 Nr 20) könne sie sich nicht
berufen, weil mit dieser nur den Belangen der im grenznahen Ausland
wohnenden Arbeitslosen entsprochen werden solle, die keine Rechte aus
den Regelungen zur europäischen Sozialrechtskoordinierung herleiten
könnten.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision
rügt die Klägerin eine Verletzung des § 30 SGB I. Die Vorschrift sei
verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dem Alg‑Anspruch eines
zuvor in Deutschland beitragspflichtigen Grenzgängers sein
Auslandswohnsitz jedenfalls dann nicht entgegenstehe, wenn die übrigen
Anspruchsvoraussetzungen gegeben seien; dies gelte auch dann, wenn er
als Unionsbürger nach Maßgabe der VO (EG) Nr 883/2004 Leistungen des
Wohnsitzstaates beanspruchen könne.
SG Nürnberg
- S 1 AL 245/14 -
Bayerisches LSG
- L 10 AL 81/15 -
4) 13.15 Uhr - B 11 AL
28/16 R - R. B. ./.
Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin beansprucht höheres
Insolvenzgeld (InsG).
Sie war seit 1.9.1996 bei der Fa. A. S.
beschäftigt und schloss am 7.5.2009 mit dem Arbeitgeber einen
Altersteilzeitvertrag. Danach wurde ihr Beschäftigungsverhältnis ab
1.7.2009 befristet als Altersteilzeitverhältnis fortgeführt und sollte
am 30.6.2015 enden. Die ersten drei Jahre der Altersteilzeit sollte sie
weiterhin 37,5 Stunden pro Woche arbeiten, die weiteren drei Jahre
sollte sie von der Arbeit freigestellt sein (Blockmodell). Das
Arbeitsentgelt betrug während der Altersteilzeit durchgehend 50 vH des
zuvor vereinbarten Entgelts.
Am 28.3.2012 wurde über das
Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet. Im
Insolvenzgeld-Zeitraum von Januar bis März 2012 hatte die Klägerin mit
einer Arbeitszeit von 37,5 Stunden/Woche gearbeitet. Auf ihren Antrag
bewilligte die Beklagte der Klägerin InsG in Höhe von 3.927,71 Euro, das
dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt entsprach. Mit dem dagegen
eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe im
Insolvenzgeldzeitraum in Vollzeit gearbeitet, daher sei das InsG nach
dem Entgelt einer Vollzeitbeschäftigung zu bemessen. Die Beklagte wies
den Widerspruch zurück. Bei einer Verstetigung der Entgeltzahlung sei -
unabhängig von der Zahl der Arbeitsstunden - nur der Anspruch auf das
verstetigte monatliche Arbeitsentgelt insolvenzgeschützt.
Klage
und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Mit der Regelung in § 183 Abs 1
Satz 4 SGB III habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass im
Rahmen der Altersteilzeit das Lebensunterhaltsprinzip Vorrang gegenüber
dem Erarbeitungsprinzip habe. Das LSG hat der Klägerin
Verschuldenskosten in Höhe von 800 Euro auferlegt.
Mit der vom
Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 183
Abs 1 Satz 3 und 4 SGB III, Art 4 Richtlinie 2008/94/EG sowie § 192 Abs
1 Satz 1 SGG.
SG Meiningen
- S 6 AL 1182/13 -
Thüringer LSG
- L 10 AL 208/15 -
B. Ohne
mündliche Verhandlung
5) - B 11
AL 27/16 R -
D. V. ./. Bundesagentur für Arbeit
Der Kläger wendet
sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Alg durch die beklagte
Bundesagentur für Arbeit wegen der Feststellung einer verminderten
Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger.
Der Kläger
war bis zum 7.3.2011 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog im
Anschluss daran bis zum 3.9.2012 Krankengeld. Danach meldete er sich
arbeitslos und beantragte Alg. Ausgehend von einer Leistungsunfähigkeit
des Klägers für mehr als 6 Monate gewährte die Beklagte Alg ab
Antragstellung auf der Grundlage von § 145 Abs 1 SGB III. Der
Rentenversicherungsträger bewilligte dem Kläger im Dezember 2012 ab dem
1.4.2013 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung und
informierte die Beklagte hierüber im Januar 2013. Diese hob daraufhin
die Bewilligung von Alg mit Bescheid vom 10.1.2013 ab dem 13.1.2013 mit
der Begründung auf, der Kläger sei nicht verfügbar und die
Voraussetzungen des § 145 SGB III lägen nicht mehr vor. Klage und
Berufung blieben erfolglos. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das
LSG ausgeführt, die über § 145 Abs 1 Satz 1 SGB III fingierte
Verfügbarkeit des Klägers sei wegen der Feststellung einer seit dem
4.9.2012 bestehenden vollen Erwerbsminderung durch den
Rentenversicherungsträger entfallen. Die fehlende Verfügbarkeit könne
nicht bis zur tatsächlichen Rentenzahlung zum 1.4.2013 fingiert werden.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger
eine Verletzung von § 145 Abs 1 Satz 1 SGB III geltend. Das
Berufungsgericht verkenne, dass eine Lücke im Gefüge der sozialen
Sicherung vorliege. Diese Lücke habe der Gesetzgeber durch eine Änderung
der Regelungen zum Rentenbeginn im SGB VI mit der Einfügung des § 101
Abs 1a SGB VI für zukünftige Fälle geschlossen. Für die Vergangenheit
müsse eine entsprechende Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB III
erfolgen.
SG Koblenz
- S 17 AL 78/13 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 1 AL 94/14 -