Siehe auch: Urteil des 2. Senats vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R -
Medieninformation Nr. 28/16
Keine Herabsetzung einer Verletztenrente wegen neuer prothetischer Versorgung eines Unfallverletzten
Eine Verletztenrente der gesetzlichen
Unfallversicherung kann nicht allein deshalb herabgesetzt werden, weil
der durch den Arbeitsunfall Verletzte eine neue mikroprozessorgesteuerte
Beinprothese erhalten hat. In der gesetzlichen Unfallversicherung werden
die dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund eines
anerkannten Arbeitsunfalls unter anderem mit einer Verletztenrente
ausgeglichen. Die Höhe der Verletztenrente ergibt sich aus den
Berechnungsfaktoren Jahresarbeitsverdienst und Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird in der
Praxis von medizinischen Sachverständigen anhand sogenannter
MdE‑Tabellen eingeschätzt. Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am
20. Dezember 2016 entschieden, dass die von dem Landessozialgericht
herangezogene MdE‑Tabelle, die aktuell keine Differenzierung nach der
Qualität der jeweiligen Oberschenkelprothese vornimmt, nicht zu
beanstanden ist.
Der Kläger erlitt als Schüler im Jahre 1998
einen Unfall, der zur Amputation des linken Beines im Bereich des
Oberschenkels führte. Er wurde von dem Unfallversicherungsträger mit
einer Prothese versorgt. Dieser bewilligte zunächst eine Verletztenrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 70 vom Hundert. Im
März 2006 erhielt der Kläger anstelle der bisherigen Prothese eine
mikroprozessorgesteuerte Oberschenkelprothese (sogenanntes C‑Leg). Der
beklagte Unfallversicherungsträger hob daraufhin den ursprünglichen
Rentenbewilligungsbescheid wegen einer wesentlichen Änderung der
Verhältnisse teilweise auf und gewährte nur noch eine geringere
Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vom
Hundert. Durch die Versorgung mit der C‑Leg‑Prothese sei eine deutliche
Funktionsverbesserung des linken Beines eingetreten. In den Vorinstanzen
war der Kläger erfolgreich.
Der 2. Senat des
Bundessozialgerichts hat die Revision des beklagten
Unfallversicherungsträgers zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die
Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente lagen nicht vor, weil
durch die Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten
Oberschenkelprothese keine wesentliche, zu einer niedrigeren Rente
führende Änderung eingetreten ist. Grundsätzlich ist das
Bundessozialgericht als Revisionsgericht bei der Überprüfung der
MdE‑Höhe an die tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts
gebunden. Die Prothese bewirkt aber nach den tatsächlichen
Feststellungen des Landessozialgerichts gerade keine entscheidende
Verbesserung der Erwerbsfähigkeit. Das Bundessozialgericht hätte deshalb
aus eigener Kompetenz nur dann eine geringere Minderung der
Erwerbsfähigkeit zugrunde legen können, wenn es zu der Überzeugung
gelangt wäre, die als medizinische Erfahrungssätze herangezogenen
MdE‑Tabellenwerte seien wissenschaftlich nicht mehr haltbar
beziehungsweise entsprächen nicht dem aktuellen Erkenntnisstand. Die vom
Landessozialgericht berücksichtigte MdE‑Tabelle sieht für einen Verlust
des Oberschenkels im mittleren und unteren Drittel den Wert von 60 vom
Hundert vor. Eine generelle Änderung dieses Tabellenwertes ist bisher
nicht erfolgt. Nach der wohl überwiegenden Auffassung der
unfallmedizinischen Literatur ist vielmehr nicht zusätzlich nach der
Qualität der Prothese zu differenzieren. Zwar gibt es in der
medizinischen Literatur eine Diskussion, nach der die MdE-Tabellenwerte
bei besserer prothetischer Versorgung niedriger anzusetzen sind. Hieraus
kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der aktuell geltende
MdE‑Tabellenwert als wissenschaftlich unhaltbar von der Rechtsprechung
zu korrigieren wäre.
Az.: B 2 U 11/15 R
D.G. ./. Unfallkasse Brandenburg
Hinweise zur Rechtslage
§ 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche
Unfallversicherung (SGB VII)
...
(2) Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der
sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen
Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten
auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.
...
§ 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der
Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
...
§ 73 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche
Unfallversicherung (SGB VII)
...
(3) Bei der
Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine
Änderung im Sinne des § 48 Absatz 1 des Zehnten Buches nur
wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten
auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der Minderung der
Erwerbsfähigkeit länger als drei Monate andauern. …