| Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat in seinem angefochtenen Urteil vom 23.11.2012 zu Recht ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 9.11.2011 zurückgewiesen, in dem dieses die Klage auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 1.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2011 und die Überprüfung der im Klageverfahren von der Klägerin bezeichneten Bescheide abgewiesen hat. |
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| 1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind nur die genannten vorinstanzlichen Entscheidungen und der genannte Bescheid des Beklagten sowie das Überprüfungsbegehren der Klägerin, nicht aber - wie das LSG zu Recht erkannt hat - die Bescheide des Beklagten vom 27.10.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1.3.2012. Denn letztere haben den Bescheid vom 1.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2011 nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG geändert oder ersetzt. |
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| Voraussetzung für die Anwendung des § 96 Abs 1 SGG ist ua eine zumindest teilweise Identität der Regelungsgegenstände beider Verwaltungsakte, die ähnlich wie der Streitgegenstand durch einen Vergleich beider Verfügungssätze sowie des zugrunde liegenden Sachverhaltes zu ermitteln sind; ein bloßer Sachzusammenhang genügt nicht (BSG vom 30.9.2009 - B 9 SB 19/09 B zu einem Ausgangs- und einem Überprüfungsbescheid; BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 40/11 R - SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21 mwN; BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R - FEVS 64, 486, RdNr 14). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil in den Bescheiden vom 27.10.2011 nicht auf den früheren Bescheid vom 1.3.2011 Bezug genommen wird und in ihrer Begründung für die Ablehnung der Überprüfung der ursprünglichen Bescheide nicht auf deren mangelnde Konkretisierung abgehoben wurde, sondern auf die Verfristung des Überprüfungsantrags vom 29.8.2011 nach § 40 Abs 1 Satz 2, § 77 Abs 13 SGB II idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850). Dem Bescheid vom 1.3.2011 und den Bescheiden vom 27.10.2011 liegen unterschiedliche Anträge gegenüber dem Beklagten hinsichtlich ihrer Zeitpunkte sowie Inhalte und damit unterschiedliche Sachverhalte zugrunde. |
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| 2. Prozessuale Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten konnte nach § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Aus den Bescheiden des Beklagten vom 27.10.2011 folgt aufgrund der unterschiedlichen Regelungsgegenstände gegenüber dem hier angefochtenen Bescheid vom 1.3.2011 nichts für das vorliegende Verfahren. |
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| 3. Die Revision der Klägerin ist unbegründet, weil - wie das LSG zutreffend entschieden hat - der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 1.3.2011 zu Recht die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren beantragte "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung seit dem 01.01.2006 inklusive aller Aufhebungs- und Erstattungsbescheide" abgelehnt hat, auch wenn eine Benennung von Bescheiden im Laufe des anschließenden Gerichtsverfahrens erfolgt ist. |
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| Als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt nur § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht, nach dem ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. |
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| a) Zu den Voraussetzungen für einen Überprüfungsantrag eines Leistungsberechtigten nach § 44 SGB X hat der 4. Senat in seinem Urteil vom 13.2.2014 (- B 4 AS 22/13 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-1300 § 44 Nr 28 mwN), dem sich der erkennende Senat angeschlossen hat (Beschluss vom 4.6.2014 - B 14 AS 335/13 B), ausgeführt: Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, deren Umfang aber von dem Antrag und dessen Begründung abhängig ist. Eine solche Prüfung erfordert, dass der Antrag konkretisierbar ist und entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar ist. Andernfalls ist der Leistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung des Antrags abzusehen. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, nach dem "im Einzelfall" beim Vorliegen der Voraussetzungen die Rücknahme eines Verwaltungsaktes erfolgen soll, was in der Konsequenz bedeutet, dass der Überprüfungsantrag des Leistungsberechtigten einen oder ggf mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret aufführen muss. Dies ist nur dann entbehrlich, wenn bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne Weiteres zu ermitteln ist. Dafür streitet auch der Sinn und Zweck des § 44 SGB X, der die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer auflösen will, was jedoch nur möglich ist, wenn der Verwaltung der zu lösende Konflikt bekannt ist. Aus den von der Klägerin angeführten Überlegungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe über Gesetzesänderungen kann mangels näherer Begründungen nichts Abweichendes hergeleitet werden. |
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| Nach diesen Voraussetzungen hat die Klägerin mit dem am 3.2.2011 beim Beklagten eingegangenen Schreiben keinen Überprüfungsantrag gestellt, der zu einer inhaltlichen Überprüfung einzelner Verwaltungsakte führen musste. Vielmehr ist dieser Antrag zu Recht von dem Beklagten mangels Bestimmbarkeit der zu überprüfenden Verwaltungsakte abgelehnt worden. Denn die Klägerin hat die "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung seit dem 01.01.2006 inklusive aller Aufhebungs- und Erstattungsbescheide" beantragt und keinen zu überprüfenden Bescheid genau benannt. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren kann ihrem Antrag aufgrund der in ihm angeführten, zu überprüfenden Umstände keine Konkretisierung entnommen werden. Die von ihr angegebenen Prüfungspunkte "Kosten der Unterkunft und Heizung" sowie "Einkommensanrechnung", insbesondere hinsichtlich des Kindergeldes, der Freibeträge und des Werbungskostenabzugs, sind nicht derart prägnant, dass aus ihnen konkrete Prüfungspunkte hinsichtlich bestimmter, einzelner Verwaltungsakte abgeleitet werden können. Sie stellen sich vielmehr in jedem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, in dem diese Bedarfe anfallen oder entsprechende Einnahmen zu berücksichtigen sind. |
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| Dass dem nicht weiter eingeengten Antrag vom 3.2.2011 kein konkreter zu überprüfender Verwaltungsakt oder ggf bestimmte mehrere entnommen werden konnten, zeigt auch der später im Gerichts- und nun im Revisionsverfahren von der Klägerin gestellte Antrag mit der Benennung zahlreicher Bescheide, der aber immer noch unvollständig ist, wenn zB die Überprüfung des Bescheides vom 8.2.2006 "inklusive aller Änderungsbescheide" begehrt wird, weil letztere nicht konkret benannt sind und auch kein Umstand aufgeführt wird, auf den sich die Überprüfung beziehen soll. |
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| b) Durch diese Benennung von Bescheiden, auf die sich der am 3.2.2011 gestellte Überprüfungsantrag beziehen soll, im Schreiben vom 29.8.2011 im Laufe des Verfahrens vor dem SG wird - in Übereinstimmung mit dem Urteil des 4. Senats vom 13.2.2014 (- B 4 AS 22/13 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 16) - der Bescheid des Beklagten vom 1.3.2011 nicht rechtswidrig. |
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| Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist anhand des materiellen Rechts zu ermitteln und neben der jeweiligen Klageart vor allem von dem materiell-rechtlichen Begehren des Antragstellers oder Klägers abhängig (vgl das vom 4. Senat angeführte Urteil des 5. Senats vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12 mwN, das eine Änderung der Rechtslage betraf; Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 67, 98; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 32 ff). Von der bekannten Faustformel "Bei reinen Anfechtungsklagen ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich, bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung." gibt es zahlreiche Ausnahmen (BSG vom 13.3.1997 - 11 RAr 51/96 - SozR 3-4100 § 152 Nr 7, Juris-RdNr 21 ff; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 24 RdNr 26; Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG, aaO, § 54 RdNr 67 f, 98, 132; Castendiek in SGG Handkommentar, 4. Aufl 2012, § 54 RdNr 55 ff, 76 ff, 101, 131; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, aaO, § 54 RdNr 33a, 34 ff; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, VII, RdNr 97 ff; Ulmer in Hennig, SGG Kommentar mit Nebenrecht, Stand der Einzelkommentierung 2/2009, § 54 RdNr 134 ff; vgl zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur: Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl 2013, § 113 RdNr 29 ff, 217 ff). |
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| Zumindest in Rechtsstreitigkeiten über die Beurteilung, ob ein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X vorliegt, ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über diesen Überprüfungsantrag abzustellen. Andernfalls würden die oben dargestellten Ziele des § 44 SGB X leerlaufen und die inhaltliche Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes, einschließlich möglicher Ermittlungen, von der Verwaltung auf das Gericht verlagert. Zudem erschöpft sich der Verwaltungsakt über die Ablehnung der Überprüfung in dieser - einmaligen - Regelung und hat keinerlei Wirkungen für die Zukunft, in der bei einer späteren Änderung der Sachlage eine andere Beurteilung der einmal getroffenen Entscheidung gerechtfertigt sein kann. Der Betroffene kann vielmehr, so wie es die Klägerin auch durch den Überprüfungsantrag vom 29.8.2011 gemacht hat, einen erneuten Antrag stellen, über den dann aufgrund der durch diesen Antrag neuen Sachlage zu entscheiden ist. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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