Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R -, Urteil des 12. Senats vom 16.12.2015 - B 12 KR 19/14 R -, Urteil des 12. Senats vom 16.12.2015 - B 12 R 1/14 R -
Kassel, den 17. Dezember 2015
Terminbericht Nr. 57/15
(zur Terminvorschau Nr. 57/15)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 16. Dezember 2015.
1) Die Sprungrevision der Klägerin führte zur
Zurückverweisung der Sache an das LSG. Der Senat selbst kann nicht
abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die
Beitragsnachforderung über 75 364,13 Euro der Beklagten für die Zeit
vom 1.12.2005 bis 31.12.2009 rechtmäßig ist. Unzutreffend hat das SG
einen sog Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV angenommen,
obwohl die Entgelte Beschäftigten konkret zugeordnet waren; dass dabei
Entgelte (auch) durch Schätzungen nach § 28f Abs 2 S 3 SGB IV ermittelt
wurden, steht der Einstufung des Bescheides als personenbezogen nicht
entgegen. Wegen dieser Beitragsfestsetzung mussten die betroffenen
Beschäftigten zum Rechtsstreit notwendig beigeladen werden. Darüber
hinaus waren auch alle von den Beitragsnachforderungen begünstigten
weiteren Fremdversicherungsträger notwendig beizuladen (vgl zum Ganzen
zB BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10; SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10;
SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4).
In der Sache hat das SG zwar zutreffend angenommen, dass ein
Prüfbescheid nach einer früher durchgeführten Betriebsprüfung der
Beitragsnachforderung nicht entgegensteht (vgl zB BSGE 115, 1 = SozR
4-2400 § 27 Nr 5). Die Beitragsforderungen sind auch nicht etwa
rechtswidrig, weil die Feststellung des BAG zur fehlenden
Tariffähigkeit der CGZP durch Beschluss vom 14.12.2010 (BAGE 136, 302 =
AP Nr. 6 zu § 2 TVG -Tariffähigkeit) nicht auf den streitigen
Prüfzeitraum zurückwirken könnte. Nach dem im Beitragsrecht der
Sozialversicherung geltenden Entstehungsprinzip kommt es für die
Beitragsbemessung grundsätzlich auf die arbeitsrechtlich geschuldeten
Entgeltansprüche an (vgl BSGE 115, 269 = SozR 4-2400 § 17 Nr 1).
Geschuldet war ‑ nach der Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP
durch das BAG auch im Zeitraum der Beitragsnachforderung ‑ wegen
unwirksamer tariflicher Regelungen ein Entgelt der Leiharbeitnehmer nach
§ 10 Abs 4 AÜG, welches dem der Stammbeschäftigten des
Entleihunternehmens entspricht ("equal pay"). Der Senat folgt der
Rechtsprechung hinsichtlich der von Anfang an fehlenden Tariffähigkeit
(BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG; Nichtannahmebeschluss des BVerfG
vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867) nach eigener Prüfung auch
insoweit, dass ein etwaiges Vertrauen der Verleiher in die
Tariffähigkeit der CGZP und hinsichtlich der daraus folgenden
Entgeltansprüche der betroffenen Beschäftigten danach nicht geschützt
ist. Ob hier wegen europarechtlich bestehender Rechte von Unternehmen
der Arbeitnehmerüberlassung ein über das deutsche Recht hinausgehender
Vertrauensschutz einzuräumen ist, bedürfte zwar möglicherweise eines
Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH, dies jedoch allenfalls erst
dann, wenn die dafür erforderliche Tatsachengrundlage und damit die
Entscheidungserheblichkeit etwaiger europarechtlicher Fragen feststeht.
Der Senat kann
selbst nicht abschließend entscheiden, ob und in welchem Umfang die
Beklagte berechtigt war, einen Teil der der Beitragsbemessung
zugrundeliegenden Entgelte zu schätzen und ob hierbei die an eine
Entgeltschätzung zu stellenden Anforderungen erfüllt waren. Der
Beitragsbescheid lässt schon nicht erkennen, welcher Teil der
Beitragsforderung auf Schätzungen beruht. Der Senat kann ebenso nicht
entscheiden, ob bzw in welchem Umfang die erst mit Bescheid vom 8.3.2012
geltend gemachte Beitragsforderung bezüglich der Beiträge für Dezember
2005 bis Dezember 2006 bereits verjährt war. Sollen in einer
Konstellation wie der vorliegenden über die regelmäßige vierjährige
Verjährungsfrist des § 25 Abs 1 SGB IV hinaus Beiträge wegen
vorsätzlicher Vorenthaltung unter Berufung auf die 30-jährige
Verjährungsfrist geltend gemacht werden, darf nicht in pauschaler Weise
Vorsatz unterstellt werden (vgl dazu zB BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S
34 f). Hierzu sind vielmehr genauere Feststellungen zum subjektiven
Tatbestand erforderlich, also etwa zum Kenntnisstand der die Klägerin
leitenden oder dort zB für Personalangelegenheiten verantwortlichen
Personen, welcher der Klägerin dann möglicherweise zuzurechnen ist. In
diesem Zusammenhang muss auch das Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010
näher in den Blick genommen werden.
SG Hannover - S 14 R 649/12 -
Bundessozialgericht - B 12 R 11/14 R -
2) Die Revision
der Beklagten führt auch in diesem Fall zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils des LSG und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung. Das LSG muss notwendige Beiladungen
nachholen sowie Ermittlungen zu den Voraussetzungen des von der
Beklagten geltend gemachten Beitragsnachforderungsanspruchs anstellen.
Die von der Klägerin als Arbeitgeberin von 30 beigeladenen Beschäftigten
verlangten Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und
Arbeitslosenversicherung erforderten auch die notwendige Beiladung
sämtlicher von der Beitragsforderung mitbegünstigter
Fremdversicherungsträger (vgl insoweit die Rspr-Nachweise zu Fall 1, 1.
Absatz). Das LSG muss darüber hinaus vor einer erneuten Verhandlung und
Entscheidung zunächst ausgehend von den jeweiligen für die einzelnen
Versicherungszweige geltenden gesetzlichen Regelungen ermitteln, ob
die Beschäftigten der Versicherungspflicht unterlagen und ob nicht
etwa wegen Geringfügigkeit von vornherein Versicherungsfreiheit bestand.
Jeweils nach Bejahung der Versicherungspflicht kann dann unter Würdigung
des jeweiligen Beitragssatzes und des von den Beschäftigten erzielten
Entgelts verfahrensfehlerfrei ermittelt werden, ob die Voraussetzungen
für eine Beitragspflicht und Beitragsberechnung in dem von der Beklagten
angenommenen Umfang vorlagen oder nicht. Insoweit ist zu prüfen, ob
ausgehend von § 14 Abs 1 S 3 SGB IV iVm § 3 Nr 26 EStG die für
steuerfreie Einnahmen geltenden Anforderungen vorlagen. Dazu gehört es
insbesondere, der Frage nachzugehen, ob bei dem jeweiligen Beschäftigten
überhaupt eine "nebenberufliche" Tätigkeit vorlag, ob der jeweilige
Gegenstand der Beschäftigung in der Pflege alter, kranker oder
behinderter Menschen bestand, ob die Voraussetzungen für eine
Gemeinnützigkeit des Arbeitgebers iS des Körperschaftsteuer- und
Abgabenrechts vorlagen, ob der Höchstbetrag von seinerzeit 1848 Euro pro
Jahr hinsichtlich des jeweiligen Beschäftigten noch ausgeschöpft
werden konnte, und ob zum Zeitpunkt der Entgeltabrechnung bindende
finanzbehördliche Entscheidungen über die Steuerfreiheit in Bezug auf
einzelne Beschäftigte ergangen waren. Erst wenn all dies feststeht, kann
es revisionsrechtlich auf die vom LSG in den Vordergrund gerückte Frage
ankommen, ob auch noch eine nachträgliche Geltendmachung der
Voraussetzungen des § 3 Nr 26 EStG gegenüber den
Sozialversicherungsträgern rückwirkend zur Anerkennung einer fehlenden
Beitragspflicht führt. Bezogen darauf hat das LSG im Ausgangspunkt
zutreffend die Rechtsprechung des Senats zur Kenntnis genommen, dass es
für die Frage der Beitragspflicht grundsätzlich auf die tatsächlichen
und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entgeltzahlung und
Beitragsentrichtung ankommt. Der Senat hat in seinem Urteil vom 7.2.2002
(SozR 3-2400 § 14 Nr 24; vgl auch BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7) nur für den
Fall eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Zufluss eines überhöht
gezahlten Arbeitsentgelts als Bemessungsgrundlage den Beitragsanspruch
auslöst, für möglich erachtet, wenn es sich "um eine lediglich
irrtümliche Zahlung, zB aufgrund eines Bankirrtums oder eines
Arbeitgeberversehens (zB Berechnungsfehler oder offenbare
Unrichtigkeit)" handelt. Dass hier eine dem vergleichbare Konstellation
vorliegt, hat das LSG - ohne nähere Begründung - bejaht. Zu den
tatsächlichen Grundlagen der darin liegenden Wertung fehlen
nachvollziehbare, eine Subsumtion erkennen lassende Ausführungen des
LSG. Auch diese sind - soweit nach dem Vorstehenden
entscheidungserheblich - nachzuholen.
SG Koblenz - S 10 R 809/09 -
LSG
Rheinland-Pfalz - L 4 R 28/12 -
Bundessozialgericht - B 12 R 1/14 R -
3) Der Senat hat
die Revision des Klägers zurückgewiesen, weil die Beitragsfestsetzung
der Beklagten im noch streitigen Umfang rechtmäßig ist. Dass der
Beitragsbemessung die Zahlung aus der Direktversicherung von 14 409,04
Euro mit einem monatlichen Zahlbetrag von 1/120 ab 1.6.2009 bis
31.12.2014 zugrunde zu legen ist, entspricht den gesetzlichen
Regelungen. Dem steht nicht entgegen, dass eine Bank im Dezember 1999
den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erwirkt hatte,
und dass die Versicherungssumme im Dezember 2004 an die Bank (und nicht
an den Kläger) ausgezahlt wurde. Wie der Senat bereits wiederholt
entschieden hat, beseitigen Verfügungen über Versorgungsbezüge zu
Gunsten Dritter nicht deren Beitragspflicht (BSG SozR 3-2500 § 237 Nr 3,
4, 7). Da auch der Kläger trotz Pfändung und Auszahlung der
Versicherungssumme jedenfalls von seiner Verbindlichkeit gegenüber der
Bank teilweise befreit wurde, steht das einer ihm unmittelbar
zugeflossenen Vermögensmehrung gleich. Verbraucherinsolvenzverfahren
und Restschuldbefreiung wirken sich ebenfalls nicht auf die
Beitragspflicht aus. Denn der Kläger ist hier durch die Zahlung
jedenfalls tatsächlich von seiner Verbindlichkeit teilweise frei
geworden und die erst 2006 erfolgte Restschuldbefreiung konnte bei
Auszahlung im Dezember 2004 noch keine Vorwirkungen entfalten. Stellt
man auf den Zeitpunkt der erst (mit Überschreitung der Mindestgrenze für
die Beitragspflicht nach § 226 Abs 2 SGB V) ab 1.6.2009 jeweils
monatlich neu fällig werdenden Beitragsschulden ab, ist darauf
hinzuweisen, dass eine Restschuldbefreiung nicht zum Nachteil von
Neugläubigern wirkt.
SG München - S 18 KR 408/10 -
Bayerisches LSG - L 4 KR 118/12 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 19/14 R -
4) In dieser
Sache hat die Beklagte die Revision auf Anregung des Senats hin in der
mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der Senat hatte zuvor darauf hingewiesen, dass er zu der Frage, ob die
Rentenleistungen aus den Systemen ARRCO und AGIRC aufgrund ihrer
Ausgestaltung im französischen Recht die Voraussetzungen von § 247 S 2
iVm § 228 Abs 1 S 2 SGB V erfüllen, aus revisionsrechtlichen Gründen
keine über die Feststellungen des LSG zum französischen Recht
hinausgehende inhaltliche Aussage treffen darf (vgl zB BSGE 102, 211 =
SozR 4-4300 § 142 Nr 4, RdNr 14 mwN; BSGE 73, 10 = SozR 3-4100
§ 118 Nr 4). Ferner wurde auf die zwischenzeitlichen Entwicklungen, ua
die zum 1.1.2000 rückwirkende Eintragung von ARRCO und AGIRC in das sog
EESSI-Verzeichnis als "staatliches Rentensystem" (vgl hierzu ausführlich
Rundschreiben der Deutschen Verbindungsstelle
Krankenversicherung-Ausland vom 1.9.2014
SG
Karlsruhe - S 5 KR 1056/13 -
LSG
Baden-Württemberg - L 11 KR 3125/13 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 3/14 R -