Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 31.3.2015 - B 12 KR 17/13 R -, Urteil des 12. Senats vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R -, Urteil des 12. Senats vom 18.11.2015 - B 12 KR 21/14 R -, Urteil des 12. Senats vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R -
Kassel, den 18. November 2015
Terminbericht Nr. 49/15
(zur Terminvorschau Nr. 49/15)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 18. November 2015.
1) Die Revision der Klägerin blieb ohne
Erfolg. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die
Voraussetzungen des § 240 Abs 5 SGB V iVm § 2 Abs 4 S 2 BeitrVerfGrsSz
nicht vorliegen, sodass bei der Beitragsbemessung von den
Bruttoeinnahmen des Ehemannes der Klägerin kein weiterer Pausch-Betrag
für Sohn B. in Abzug zu bringen ist. Für Sohn B. bestand weder eine
Familienversicherung nach § 10 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V noch scheiterte eine
Familienversicherung "nur wegen der Regelung des § 10 Abs 3 SGB V"
(dh nur wegen der Höhe des Einkommens des als Soldat tätigen Ehemannes
der Klägerin). Vielmehr war B. aufgrund seiner Tätigkeit in einer
Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nach § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V -
gegenüber der Familienversicherung vorrangig - selbst
versicherungspflichtig. Der klare Wortlaut der Regelungen schließt die
Berücksichtigung eines weiteren Pauschbetrags aus. Für eine analoge
Anwendung der Regelungen fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke,
wie sich aus dem in der Regelungsgeschichte zu § 240 Abs 5 SGB V zum
Ausdruck kommenden Sinn und Zweck der Vorschrift ebenso wie aus
systematischen Erwägungen ergibt. § 240 Abs 5 SGB V und § 2 Abs 4 S 2
BeitrVerfGrsSz verstoßen auch nicht gegen das Grundgesetz (GG). Art 6
Abs 1 GG ist nicht verletzt, weil der Gesetzgeber über einen weiten
familienpolitischen Gestaltungsspielraum für den Ausgleich von
Elternlasten verfügt. Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz liegt nicht vor, weil es einen rechtfertigenden
sachlichen Grund dafür gibt, Absetzbeträge für Kinder auf bestimmte
Sachverhalte zu beschränken. Die Anknüpfung an eine Familienversicherung
(bzw an deren Ausschluss allein aufgrund der Zuordnung des Kindes zum
nicht in der GKV versicherten Ehegatten) ist sachgerecht, weil
typischerweise nur in diesem Fall die Eltern die Kosten für die
Absicherung ihrer Kinder im Krankheitsfall selbst bestreiten. Letzteres
ist hier nicht der Fall, weil die Kosten der Absicherung des nicht
familienversicherten Sohnes B. wegen dessen versicherungspflichtiger
Tätigkeit von dem Träger der WfbM getragen werden (§ 251 Abs 2 S 1 Nr 2
iVm § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V). Dass schließlich Beiträge zur freiwilligen
Krankenversicherung der Klägerin auch aus dem auf den Sohn B.
entfallenden Teil des Familienzuschlags erhoben werden, der zum Sold des
Ehemanns der Klägerin gezahlt wird, ist gleichermaßen nicht zu
beanstanden (vgl bereits BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 20, 28).
SG Gelsenkirchen - S 11 KR 400/12 -
LSG
Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 388/13 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 21/14 R -
2) Die Revision
der Beklagten war im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht begründet. Wegen
fehlender Tatsachenfeststellungen des LSG kann der Senat nicht
abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang der Beigeladene
zu 1. in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung wegen
Beschäftigung bei der klagenden GmbH versicherungspflichtig ist. Bei der
Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit setzt die jeweilige
Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild nämlich voraus, dass
alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien für die eine oder andere
Erwerbsform in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer
Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit
diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der
Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden
(vgl BSG SozR 4‑2400 § 7 Nr 15). Obwohl das LSG zunächst zu Recht den
Inhalt des zwischen Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. geschlossenen
schriftlichen "Rahmenvertrags" (RVtr) in den Blick genommen hat,
vernachlässigt es, dass aus dem RVtr selbst noch keine
Leistungserbringungspflicht des Beigeladenen zu 1. und auch noch keine
Vergütungspflicht der Klägerin resultierte, sondern - worauf der RVtr
selbst verweist - erst aus der Übernahme der jeweiligen Einzelaufträge.
Schon nach dem RVtr kommt es für die Frage der Versicherungspflicht nur
jeweils auf die Verhältnisse an, die nach Annahme des einzelnen
Auftragsangebots gegeben waren (vgl zB BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 35
sowie Senatsurteil vom 31.3.2015 ‑ B 12 KR 17/13 R ‑ Juris RdNr 15 mwN).
Bestanden Versicherungspflicht wegen Beschäftigung begründende Rechte
und Pflichten aufgrund der für die Klägerin ausgeübten Tätigkeiten
mithin allenfalls während eines laufenden konkreten Einzelauftrags,
mussten die Tatsacheninstanzen zunächst einmal diese Zeiträume sowie den
Inhalt der jeweiligen Einzelaufträge feststellen (zB Vorgaben
hinsichtlich Ort, Zeit, Dauer sowie Art der Ausführung,
Kontrollbefugnisse und deren Handhabung). Diese wie auch weitere
sachverhaltsbezogene Prüfungen muss das LSG nachholen. Der Fall bot
zudem Anlass, auf die Bedeutung verschiedener Umstände für die
vorzunehmende Gesamtabwägung einzugehen, so zB die Befugnis zur
Delegation geschuldeter Leistungen, die vermeintliche besondere Qualität
der Tätigkeit, das Unternehmerrisiko bei Nutzung eigener - ohnehin in
den meisten Haushalten vorhandener - Gegenstände wie PKW, PC,
Telefaxgerät und Mobiltelefon oder auf die Bedeutung des im Vertrag zum
Ausdruck kommenden Willens der Vertragspartner, eine selbstständige
Tätigkeit zu begründen. Das LSG wird schließlich zu prüfen haben, ob der
Beigeladene zu 1. wegen Geringfügigkeit während der einzelnen Aufträge
versicherungsfrei (§ 8 SGB IV) war.
SG Frankfurt am Main - S 18 KR 51/05 -
Hessisches LSG - L 8 KR 102/12 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 16/13 R -
3) Die Revision
der Beklagten führte in dieser Sache ebenfalls zur Aufhebung des
LSG-Urteils und Zurückverweisung an das LSG. Der Kläger kann abweichend
von der Ansicht der Vorinstanzen grundsätzlich keinen Erfolg mit seinem
Vorbringen haben, eine weitere Beitragsnachforderung sei rechtswidrig
mit Blick auf die Bestandskraft des früheren Bescheides vom 22.8.2006,
der im Anschluss an eine frühere Betriebsprüfung der Beklagten ergangen
war. Ein Vertrauensschutz des Klägers scheidet selbst auf der Grundlage
der Argumentation des LSG schon deshalb aus, weil durch den genannten
früheren Bescheid Beiträge für die Beigeladenen zu 1. und 2. des
vorliegenden Rechtsstreits seinerzeit gar nicht gefordert worden waren.
Die Berechtigung der Beklagten zu einer nur stichprobenhaft
durchgeführten Betriebsprüfung auch in Klein- und Kleinstbetrieben steht
außer Zweifel. Aus den Vorschriften über Betriebsprüfungen und der
Rechtsprechung des Senats hierzu kann auch nicht hergeleitet werden,
dass bei Erlass eines personenbezogenen Verwaltungsakts im Rahmen einer
Betriebsprüfung zugleich die Regelung getroffen wird, im Prüfzeitraum
sei ansonsten "alles in Ordnung" gewesen. Das Beitragsrecht kennt
nämlich schon keine dem § 173 Abs 2 S 1 AO entsprechende Regelung über
eine Änderungssperre. Ebenso folgt nichts daraus, dass der frühere
Bescheid vom 22.8.2006 keinen Hinweis auf eine nur stichprobenartige
Prüfung enthielt (vgl zur fehlenden Hinweispflicht schon BSGE 93, 119 =
SozR 4-2400 § 22 Nr 2). Zu Gunsten des Klägers ergibt sich auch nichts
aus dem Protokoll der seinerzeitigen Schlussbesprechung, wonach weitere
Arbeitnehmer geprüft worden seien und die Prüfung sich "zeitintensiv"
gestaltet habe. Betriebsprüfungen und Prüfberichte bezwecken nicht,
Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihnen Entlastung zu
erteilen, sondern dienen allein der Funktionsfähigkeit der
Sozialversicherung (vgl zum Ganzen zuletzt BSGE 115, 1 = SozR 4-2400
§ 27 Nr 5).
Der Senat
ist gleichwohl gehindert, abschließend selbst über die Rechtmäßigkeit
der streitigen Beitragsnachforderungen zu entscheiden, weil
Feststellungen des LSG zur Fälligkeit der Beiträge fehlen (§ 23 Abs 1
S 2 und S 3 SGB IV in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung) und
Beitragsansprüche, die in der Zeit vom 1.12.2003 bis 31.12.2005
entstanden sind, angesichts der grundsätzlich für die Verjährung
geltenden Vierjahresfrist (§ 25 Abs 1 S 1 SGB IV) zur Zeit des Erlasses
des angefochtenen Bescheides vom 25.2.2010 zum Teil verjährt gewesen
sein könnten - nämlich spätestens mit Ablauf des 31.12.2009. Eine
30-jährige Verjährungsfrist gilt nach S 2 der genannten Regelung nur bei
vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung. Feststellungen zum Vorsatz hat das
LSG jedoch - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht
getroffen: Zwar liegt vorsätzliches Handeln nach der Rechtsprechung des
Senats nahe, wenn Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum
Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und eine ohne Weiteres erkennbare
Übereinstimmung zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher
Behandlung besteht (vgl BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7). Ein solcher Fall
kann auch in der vorliegenden Konstellation vorliegen (vgl § 2 Abs 1 S 1
Nr 2 ArEV sowie §§ 14, 17 SGB IV einerseits und § 40 Abs 2, § 19 EStG
andererseits). Tatrichterlich sind allerdings insoweit die konkreten
Umstände zur inneren (subjektiven) Seite beim Beitragsschuldner
festzustellen und zu würdigen (vgl zur Zurückverweisung zwecks
Ermittlung des Vorsatzes in ähnlichen Fällen bereits BSG SozR 3-2400
§ 25 Nr 7 und BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7).
SG Mainz - S 14 KR 367/10 -
LSG
Rheinland-Pfalz - L 4 R 448/12 -
Bundessozialgericht - B 12 R 7/14 R -