Siehe auch: Urteil des 3. Senats vom 3.5.2018 - B 3 KR 10/17 R -, Urteil des 3. Senats vom 3.5.2018 - B 3 KR 7/17 R -, Urteil des 3. Senats vom 3.5.2018 - B 3 KR 13/16 R -, Urteil des 3. Senats vom 3.5.2018 - B 3 KR 9/16 R -
Kassel, den 4. Mai 2018
Terminbericht Nr. 20/18
(zur Terminvorschau Nr. 20/18)
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 3. Mai 2018.
1) Die Revision der Klägerin ist ohne Erfolg
geblieben. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen
Anspruch auf Aufhebung des Festbetrags-Beschlusses des Beklagten zur
Festbetragsgruppe "Antianämika, andere, Gruppe 1" vom 8.10.2012 hat.
Obwohl die Klägerin nicht selbst Adressatin der Allgemeinverfügung ist,
ist sie klagebefugt, denn sie bringt Arzneimittel mit zu dieser
Festbetragsgruppe gehörenden Wirkstoffen auf den Markt und insoweit ist
eine Verletzung ihrer Rechte aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG nicht
von vornherein ausgeschlossen. Die Anfechtungsklage ist allerdings
unbegründet; die Klägerin ist weder in ihrem verfassungsrechtlich
geschützten Recht auf gleiche Teilhabe an einem fairen Wettbewerb noch
in ihren einfachgesetzlichen Anhörungsrechten als pharmazeutisches
Unternehmen verletzt. Festbeträge bilden ein preisregulierendes
Anreizsystem, mit dem Wettbewerbselemente in den Markt der GKV
eingeführt werden, die dort wegen des Auseinanderfallens von Nachfrager
und Kostenträger fehlen. Ihr wesentliches Ziel ist die Stärkung des
Preiswettbewerbs. Eine mit der Herabsetzung des Festbetrags verbundene
Wettbewerbsverzerrung kommt nur in Betracht, wenn der neue Festbetrag
nicht mit den Marktrealitäten in Übereinstimmung zu bringen, eine
wirtschaftliche Preisgestaltung nicht möglich ist und sich Anbieter
deshalb so weit vom Markt zurückziehen, dass dadurch eine Einschränkung
des Preiswettbewerbs zu befürchten ist.
Die vom Beklagten
festgesetzten Festbeträge unterschreiten diese Grenze der
Wirtschaftlichkeit nicht. Dies ergibt sich zum Berechnungsstichtag
bereits daraus, dass die Untergrenze der Ein-Fünftel-Regelung nach § 35
Abs 5 S 5 SGB V eingehalten wurde und bei 20 Arzneimitteln, die zum
herabgesetzten Festbetrag für die Versicherten zuzahlungsbefreit (§
31 Abs 3 S 4 SGB V) bleiben, sich auch keine Hinweise darauf
ergeben, dass dieser neue Festbetrag einen unerwünschten, den Wettbewerb
schädigenden Kellertreppeneffekt auslösen könnte. Die Daten des
Berechnungsstichtags waren - als die zwischenzeitlich ausgefallene
Lieferfähigkeit des zur Berechnung des neuen Festbetrages maßgeblichen
Arzneimittels wiederhergestellt war - nicht in der Weise überholt, dass
eine willkürliche Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Klägerin zu
befürchten war. Vielmehr zeigt die Wiederherstellung der Lieferfähigkeit
eines zur Festbetragsgruppe gehörenden Arzneimittels, dass es sich nicht
um einen endgültigen Marktabgang aus wirtschaftlichen Gründen handelte
und dass Anhaltspunkte für eine wettbewerbsschädigende Wirkung des
Festbetrags gerade nicht gegeben waren. Auf die Versorgungssicherheit
der Patienten und die medizinischen Bedingungen für einen Wechsel
zwischen verschiedenen Präparaten - dh auf die Rechte Dritter - kann
sich die Klägerin als pharmazeutisches Unternehmen nicht berufen.
Deshalb ist es grundsätzlich unerheblich, ob aufgrund der Besonderheiten
der betroffenen Arzneimittel Verordnungswechsel nach Möglichkeit
vermieden werden. Vor diesem Hintergrund machte allein die zeitliche
Verschiebung der Beschlussfassung auch keine erneute Anhörung
erforderlich.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 1 KR
476/12 KL
Bundessozialgericht - B 3 KR 9/16 R
2)
Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das LSG hat
zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Aufhebung
des Festbetrags-Beschlusses des Beklagten zur Festbetragsgruppe
"Levothyroxin-Natrium" vom 3.2.2014 hat. Bezüglich der Klagebefugnis und
der eigenen Rechte der Klägerin, in die durch die Herabsetzung des
Festbetrages eingegriffen werden kann, wird auf die Ausführungen unter
1) Bezug genommen.
Die herabgesetzten Festbeträge unterschreiten
auch in diesem Verfahren nicht die Grenze der Wirtschaftlichkeit.
Arzneimittel mit Wirkstärken, die seit der Herabsetzung nicht mehr zum
Festbetrag erhältlich sind, bringt die Klägerin nicht auf den Markt,
sodass sie insoweit schon gar nicht am Wettbewerb teilnimmt und deshalb
auch nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann. Die Anpassung des
Festbetrages wurde auch nicht willkürlich zu Unrecht, sondern im
Hinblick auf eine "veränderte Marktlage" eingeleitet, die sich an
verschiedenen Faktoren zeigte. Zum Berechnungsstichtag war die
Untergrenze der Ein-Fünftel-Regelung nach § 35 Abs 5 S 5 SGB V
eingehalten. Die von der Klägerin nicht näher dargelegten
Lieferschwierigkeiten für einige Produkte boten keine Anhaltpunkte für
einen verstärkten wirtschaftlich bedingten Rückzug von Anbietern. Auf
eine möglicherweise enge therapeutische Breite des Wirkstoffs kann sich
die Klägerin ebenso wenig berufen, wie auf die Frage, ob der Beklagte
schon im Verwaltungsverfahren hinreichende Ermittlungen zu
Lieferengpässen angestellt und dokumentiert hatte. Das
Stellungnahmeverfahren hat der Beklagte ordnungsgemäß durchgeführt, und
er hat die Stellungnahme der Klägerin in seine Entscheidung einbezogen.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 1 KR 80/14 KL
Bundessozialgericht - B 3 KR 10/17 R
3)
Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Das LSG hat
zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Aufhebung
des Festbetrags-Beschlusses des Beklagten zum 1.4.2014 hat, soweit das
Arzneimittel medikinet® adult betroffen ist. Obwohl die Klägerin nicht
selbst Adressatin der Allgemeinverfügung ist, ist sie klagebefugt. Der
Vortrag einer willkürlichen Zuordnung des von ihr vertriebenen
Arzneimittels zur Festbetragsgruppe schließt eine mögliche Verletzung
ihrer Rechte aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG nicht von vornherein
aus.
Die Anfechtungsklage ist allerdings unbegründet. Es liegt
keine benachteiligende Verfälschung des Preiswettbewerbs zu ihren Lasten
vor. Das Recht auf gleiche Teilhabe an einem fairen Wettbewerb ist nicht
wegen der neuen Vermarktung eines bereits vorhandenen
wirkstoffidentischen Arzneimittels verletzt. Die Zuordnung des
Arzneimittels medikinet® adult zur Festbetragsgruppe "Methylphenidat
Stufe 1, Gruppe 1" ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es
bedurfte auch keiner Herausnahme dieses Arzneimittels aus der
Festbetragsgruppe nach dessen Markteinführung im Jahr 2011. Der
beigeladene GBA ist seiner Pflicht als untergesetzlicher Normgeber
nachgekommen, indem er mit Blick auf die erteilte Zulassung
Methylphenidat-haltiger Arzneimittel zur Behandlung von ADHS bei
Erwachsenen den bis dahin bestehenden Verordnungsausschluss für diesen
Personenkreis - nach einer Übergangsregelung Mitte 2011 - endgültig im
März 2013 durch Änderung der Arzneimittel-RL (Anlage III Nr 44 -
Stimulantien) aufgehoben hat. Weitergehende
Verfahrenserfordernisse, die zu Gunsten der Klägerin einzuhalten gewesen
wären, ergeben sich weder aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art
19 Abs 4 GG) noch aus der Europäischen Transparenzrichtlinie (RL
89/105/EWG des Rates vom 21.12.1988, ABl Nr L 40 vom 11.2.1989).
Die generell-abstrakte Festbetragsgruppen- und
Vergleichsgrößenbildung der ersten Gruppe (§ 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V)
erfasste alle Arzneimittel mit demselben Wirkstoff Methylphenidat, aus
dem sowohl das nicht patentgeschützte Arzneimittel medikinet@ adult als
auch das Arzneimittel medikinet® retard besteht. Dem Indikationsgebiet
(nur) für Erwachsene wird durch unterschiedliche Wirkstärken und eine
individuelle Dosierung desselben Wirkstoffs im Rahmen einer
Gesamtstrategie Rechnung getragen.
Der Beklagte hat den
Festbetrag als solchen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise festgesetzt. Die gesetzlichen Parameter des Rechenmodells (§
35 Abs 3 und 5 SGB V) wurden eingehalten. Das LSG hat für den Senat
bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass sowohl innerhalb als
auch außerhalb der Festbetragsgruppe Arzneimittel zur Behandlung von
adulter ADHS zeitnah zum Festbetrag zur Verfügung standen. Schließlich
hat die Klägerin schon selbst nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die
Standardpackung willkürlich zu ihrem Nachteil festgelegt worden sei bzw
welchen Vorteil sie aus der Festsetzung einer Packungsgröße von 50 Stück
gezogen hätte.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 1 KR
67/14 KL
Bundessozialgericht - B 3 KR 7/17 R
4)
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Zutreffend hat das
LSG den gegen das klagende pharmazeutische Unternehmen gerichteten
Bescheid des beklagten GKV-Spitzenverbandes aufgehoben, weil die darin
detailliert verfügte Auskunftsverpflichtung für den Zeitraum Januar 2013
durch die gesetzliche Ermächtigung des § 129 Abs 5c S 4 SGB V aF nicht
gedeckt war. Unbeschadet der Frage, ob das eigene Auskunftsverhalten der
Klägerin im Schreiben vom 4.7.2013 als Reaktion darauf den gesetzlichen
Anforderungen entsprach, war sie daher jedenfalls nicht verpflichtet,
die verlangten Nachweise beizubringen. Der zugrunde liegende Bescheid
hat sich nicht durch zwei nachfolgende Hilfstaxen-Festlegungen erledigt,
weil der Beklagte unter Hinweis auf dynamische Auswirkungen auf
Folgezeiträume und auf die behauptete unzureichende Abbildung der
vereinbarten Abrechnungspreise in den Hilfstaxen nachvollziehbar
dargelegt hat, dass weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Auskunft
besteht. Zum für die Anfechtungsklage maßgebenden Zeitpunkt für die
Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestimmte § 129 Abs
5c S 4 SGB V idF vom 17.7.2009 und 22.12.2010 (BGBl I 1990 bzw BGBl
I 2262), dass der Beklagte "Nachweise ... vom pharmazeutischen
Unternehmer über die vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in
parenteralen Zubereitungen verlangen" kann; nur gegenüber Apothekern
bestanden darüber hinausgehende Pflichten. Die Regelung ermächtigt
indessen nach Wortlaut und Gesetzessystematik nicht zum detaillierten
Auskunftsverlangen des Beklagten gegenüber der Klägerin zu den acht im
Einzelnen aufgeführten Punkten, insbesondere zum Verlangen einer
Aufstellung sämtlicher gewährter oder noch zu gewährender
Einkaufsvorteile und zur Vorlage von anonymisierten Rechnungskopien. Die
Befugnis zum konkreten Auskunftsverlangen kann - anders als der Beklagte
meint - aus rechtsstaatlichen und datenschutzrechtlichen Gründen nicht
in die Regelung hineininterpretiert werden. Der Bestimmtheitsgrundsatz
gebietet, dass das Handeln der Verwaltung bei grundrechtsrelevanten
Vorschriften messbar und in gewissem Ausmaß voraussehbar und berechenbar
ist. Ebenso problematisch erweist sich die Rechtsposition des Beklagten
im Lichte des Sozialdatenschutzes, wie er einfachgesetzlich im Schutz
von Betriebsgeheimnissen zum Ausdruck kommt (vgl § 35 Abs 4 SGB I, §
67 Abs 1 S 2 SGB X). Einschränkungen des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung sind - auch in Bezug auf die Erhebung von Daten (vgl
§ 67a SGB X) - Grenzen gesetzt (vgl auch die Rspr des Senats in
BSGE 115, 40 = SozR 4-2500 § 302 Nr 1). Selbst bei anonymisierten
Daten einer nur übersichtlichen Zahl der Kundenbeziehungen zu einem
einzelnen pharmazeutischen Wirkstoff ist die Gefahr von Rückschlüssen
auf einzelne Kunden nicht von der Hand zu weisen. Für das gewonnene
Ergebnis sprechen schließlich auch die Gesetzesmaterialien zur erst ab
13.5.2017 geltenden Neufassung des § 129 Abs 5c SGB V (Gesetz vom
4.5.2017, BGBl I 1050). Durch die Neuregelungen sollte gerade der
schon im Gesetzgebungsverfahren wahrgenommenen Bestimmtheitsproblematik
abgeholfen werden. In § 129 Abs 5c S 8 und 10 SGB V nF heißt es daher
nun, dass "Nachweise ... vom pharmazeutischen Unternehmer über die
Abnehmer, die abgegebenen Mengen und die vereinbarten Preise für
Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen" verlangt werden können
und dass der Anspruch "jeweils auch die auf das Fertigarzneimittel und
den Gesamtumsatz bezogenen Rabatte" umfasst (vgl dazu näher
Regierungsbegründung, BT-Drucks 18/10208 S 31; Ausschussbericht
BT-Drucks 18/11449 S 37).
Sozialgericht München - S 2 KR
904/13
Bayerisches Landessozialgericht - L 5 KR 442/13
Bundessozialgericht - B 3 KR 13/16 R